Namaste, lieber Santosh,

„Schau nur“, hast Du gesagt, „wie die Handwerker vor über 600 Jahren die großen Granitbrocken verfugt haben, ohne Mörtel, ohne sonstige Hilfsmittel ...“ Kundig hast Du mich auf diese und andere Details hingewiesen und so die Ruinen der ehemaligen Königstadt Vijayanagar in Südindien lebendig werden lassen. Dabei kommst Du als Informatiker eigentlich aus einer ganz anderen Richtung. Seit Juli 2016 aber arbeitest Du als Guide für ein luxuriöses Resort in der Nähe der Ruinen von Vijayanagar.

Das Resort gehört zu einer kleinen Gruppe, die sich in kurzer Zeit einen Ruf als besonders innovativ erworben hat. Vier Anlagen sind es derzeit, eine fünfte, südlich von Goa, wird demnächst eröffnet. Orange County heißen diese Resorts, wie ein Vorort von Los Angeles. Der Name der Hotelgruppe soll an die Ursprünge der Besitzerfamilie erinnern. Sie haben über Generationen Orangen angebaut.

Erschöpft, aber voll wunderbarer Eindrücke bin ich aus Vijayanagar zurückgekommen. Danach habe ich mich den Annehmlichkeiten der weiträumigen Anlage überlassen. Ich habe dort einen Jal Mahal, einen Wasserpalast, bewohnt. Wie ein Maharadscha der Neuzeit habe ich mich gefühlt: eigener Pool, Räume von dezentem Luxus, Regenwald-Dusche im Bad – ein gelebtes Märchen aus 1001 Nacht.

Dankbar bin ich Dir übrigens, lieber Santosh, dass Du mit guten Argumenten die Frage anderer Besucher gekontert hast, ob es nicht dekadent sei, in dieser ländlich geprägten Umgebung so nobel zu wohnen und sich verwöhnen zu lassen. Indien, so hast Du geantwortet, steht schon lange nicht mehr ausschließlich für Elend und alle Probleme dieser Welt. Zu Indien gehört eben auch ein gut situierter Mittelstand, einige Hundert Millionen stark inzwischen. Und einige von ihnen genießen es, in Resorts wie diesem auf Ausländer zu treffen, die sich für Indiens glanzvolle Vergangenheit und Gegenwart interessieren.

Dein Bernd Schiller