Kakao, Voodoo und eine Flussfahrt auf den Spuren von Ponce de León: Jenseits der Resorts von Punta Cana lässt sich die Dominikanische Republik intensiver erleben

Das hauchfeine Pulver auf der Zunge löst eine wunderbare Geschmacksexplosion aus. Durchdringend schokoladig, süß und samtig. „99 Prozent Kakao und etwas Zucker“, schwärmt Tourguide Norbert, während er den Rest des tiefbraunen Staubes von der Reibe klopft. Zuvor hatte er der Reisegruppe, die ihn an diesem Tag auf seinem Island-Explorer-Ausflug begleitet, demonstriert, wie aus den Kernen der birnenförmigen Kakaofrucht der Schokoladengrundstoff hergestellt wird. Bereitwillig probieren die Gäste das weiß-glibberige Fruchtfleisch und lassen sich die Produktionsschritte von Fermentierung, Trocknung, Röstung und Mahlen bis zum transportfähigen Kakaomasse-Rundklotz erläutern.

Farmchef Don Ramon sitzt nebst Ehefrau Donna Ada, Sohn und Enkel auf einer Bank und schaut dem Treiben lächelnd zu. Eine leichte Brise macht die 38-Grad-Schwüle erträglich, immer wieder schieben sich gnädig Wolken vor die Sonne. Norbert Edrich (63) kennt Don Ramon seit mehr als 15 Jahren, der Ton ist freundschaftlich. Der gebürtige Pfälzer, der seit 20 Jahren in der Karibik lebt, hat Freude daran, Touristen Einblicke in seine Wahlheimat Dominikanische Republik zu geben – jenseits des „Fantasy-Landes“. So nennt er die All-inclusive-Resorts am Bavaró-Strand von Punta Cana. Aber er verurteilt sie nicht. Im Gegenteil: Die Hotels seien wichtigste Arbeitgeber in der Region. Allein in der Fünf- Sterne-Urlaubswelt der Palladium-Hotelgruppe – vier Resorts mit 2000 Betten – sind 2500 Leute beschäftigt.

Viele Besucher wären erstaunt, wie reichhaltig dies Ganzjahresziel ist

Vom dominikanischen Leben bekommen die Gäste allenfalls den Hauch einer Ahnung, wenn das Zimmermädchen wieder mal herrlich inbrünstig singt und karibische Bachata- Klänge aus Lautsprechern morgens den Tag am Pool einläuten. Rumliegen, Rum trinken, unter Palmen am türkisblauen Wasser dösen. Dazwischen eine Runde Hobie-Cat-Segeln, schwimmen und überlegen, in welches der zehn À-la-carte- und fünf Buffet-Restaurants man als Nächstes geht. Doch erst ein Ausflug ins Inselinnere lässt den Urlaub zur Reise werden. Viele „Dom Rep“-Besucher wären erstaunt, wie reichhaltig Landschaft und Geschichte des Ganzjahresziels sind.

Auf der Farm von Don Ramon in den saftig grünen Hügeln von Anamuya zeigt Norbert seinen Gästen die Fülle karibischer Natur: „Hier liegen Sternfrüchte unterm Baum, da drüben wachsen Papaya, Ananas und die Igelfrucht Guanábana, und dort seht ihr Avocado!“ Die rotfleischige Sapote hatte die Gruppe bereits zu Beginn der Tour in einem bei Einheimischen beliebten Restaurant als Milchshake probiert. Jetzt wird weiter verkostet: Kokosnuss, Wassermelone, ein Schlückchen Kaffee aus eigenem Anbau, verfeinert mit Vanille, Gewürzen und viel Zucker. Was für ein üppiger Garten der Schöpfung, freut sich die Besucherin insgeheim. Bis Norbert erwähnt, dass es selten Äpfel für Einheimische gibt, als Delikatesse zu Weihnachten. Der Obstteller im Hotel erhält eine andere Dimension.

Im Kleinbus geht es weiter ins Innere der Insel von La Española, Klein Spanien, wie Christoph Kolumbus im Jahr 1492 seine Entdeckung im Atlantik nannte. Oder von Quisqueya, dem wunderbaren Land, wie die Ureinwohner, die Taino, sagten. Es geht vorbei an Häuschen mit bunten Fassaden, manchmal mit Wellblechdächern. Am Rande einer Rinderweide spielen Kinder und Jugendliche Baseball. Der Nationalsport lässt Jungenträume so hoch fliegen wie in Alemania Fußball. Das Idol heißt hier nicht Hummels, sondern Alex „A-Rod“ Rodríguez, der in der US-Baseball-Ligue einen 250-Millionen-Dollar-Vertrag für zehn Jahre abschloss.

Unser Ziel ist Higüey, die Hauptstadt der Provinz La Altagracia, genauer gesagt der Markt. Von einer staubigen Hauptstraße mit Megaverkehrsrummel fallen die Ausflügler hinein in eine Gasse, die an orientalische Basare erinnert. Die Hitze steht über Obst- und Gemüseständen und Säcken mit Reis. Reis mit roter Bohnensoße plus ein Stückchen Huhn obendrauf oder Kochbananenkuchen dazu – fertig ist das dominikanische Standardgericht. Dann wartet schon der Kleinbus zur Weiterfahrt. Nicht ohne dass Norbert noch eine Flasche hochprozentigen Zuckerrohrschnaps gekauft hat, der besser schmeckt, als er riecht, wie ein Mitreisender versichert.

Der karibische Klare ist ein Geschenk für Edward, den Schamanen. Der Besuch beim Voodoopriester in einer haitianischen Community in den Zuckerrohrfeldern wird später bei den Ausflüglern heiß diskutiert werden. War da eine besondere Energie im Spiel, als der attraktive Anfang-Dreißiger im schwarzen Umhang seine Bauchmuskeln so anspannte, dass sie einer spitzen Machete standhielten? Oder war es nur ein Trick wie vielleicht auch das kurze „Fußbad“ in den Glassplittern, die möglicherweise gar nicht scharf waren? War er in Trance oder lediglich durch ein besonderes Kraut in seiner Zigarre ein wenig abwesend? Norbert antwortet ausweichend und verweist lieber auf die große Bedeutung von Voodoo in Teilen Afrikas und der Karibik.

Was bleibt, ist der Eindruck, einer außergewöhnlichen Zeremonie beigewohnt zu haben, die mitteleuropäische Geister nur schwer nachvollziehen können. Und das lag nicht nur am rhythmischen Trommeln von Edwards Helfern oder den Bändchen, die – Zufall oder nicht – in Schwarz-Rot-Gold den Besuchern vom Voodoopriester jeweils ums Handgelenk gebunden wurden. Norbert trägt bereits so viele Bändchen in unterschiedlichen Farben am Arm, dass „Wolle“ Petry neidisch wäre.

Besonderer Unterhaltungs-Spot mit Tanz ist ein lokaler Car Wash

Immer wieder bringt der Tourguide bei Stippvisiten auch Kleiderspenden für die Arbeiterfamilien mit, zum Beispiel von befreundeten Reisemanagern aus Punta Cana. Leise erzählt er von bedrückenden Verhältnissen im benachbarten, krisen- und erdbebengeschüttelten Haiti. Viele Haitianer kämen in die Dominikanische Republik, um der Armut zu entfliehen. Sie müssten die Arbeiten übernehmen, die Einheimische ungern erledigten.

Neben der aktuellen Geschichte wird beim Entdeckerausflug auch die Historie des Landes gestreift. An der Ostküste in der Nähe der Mündung des Yuma-Flusses ins Meer ­residierte vor über 500 Jahren Kolumbus’ Statthalter Ponce de León. Frischen Fisch wird man damals auch gern verzehrt haben, heutzutage jedoch mit Blick von der Terrasse des Restaurants La Bahia über die traum­schöne Bucht. Anschließend führt eine kleine Bootsfahrt flussaufwärts. Die Landschaft ­entfaltet einen fast magischen Zauber. ­Pelikane ziehen flach übers dunkelgrüne ­Wasser, an den steil aufragenden Ufern haben die Wurzeln mächtiger Bäume die Schwerkraft scheinbar außer Kraft gesetzt. In ihren Ästen hängen meterlange Flechten, in den Kronen nisten Fischreiher, ein Geier zieht ­seine Kreise. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen.

Nach einer knappen halben Stunde endet die Fahrt an einer seichten Stelle, in der ein Felssturz das weitere Passieren verhindert. Für die Besichtigung von nahe gelegenen ­Höhlenzeichnungen der Ureinwohner bleibt an diesem Tag leider keine Zeit, auch nicht für das Wohnhaus von Ponce de León, in dem er einst mit Frau und drei Töchtern wohnte. Es ist heute ein Museum – und ein guter Grund, vielleicht einmal wiederzukommen.

Unser Ausflug klingt an einem lokalen Unterhaltungsspot aus, einem Car Wash. Das Areal, wo Autos von Hand gewaschen und poliert werden, ist nur Teil der Partywahrheit: In engster Nachbarschaft liegen eine dauer­beschallte Lounge- und Tanzfläche, gern auch ein Friseur- und Kosmetiksalon und ein Handyshop. Die Wartezeit auf das gewienerte Blech lässt sich zum Beispiel mit einer Partie Billard, einem Presidente-Bier oder Cuba ­Libre verkürzen, und die ein oder andere ­Karibikschönheit kümmert sich gern näher um den Fahrer. Begleiter Norbert drückt es so aus: „Dominikaner haben keine Berührungsängste.“ Ihr Leben schmeckt nicht immer süß, intensiv ist es ganz bestimmt.