Dear Anne,

wenn ich mich früher als Kind entscheiden musste, wollte ich beim Spielen eigentlich immer Indianer sein. Bei meiner Reise durch Texas hatte ich allerdings schon damit gerechnet, dass ich mit jahrzehntelanger Verspätung wohl die Seiten wechseln würde. Und tatsächlich kam ich nicht drum herum, nun doch einmal Cowboy zu sein. Ein bisschen zumindest und vor allem natürlich an den Tagen, als ich auf deiner Wildcatter Ranch Landluft im Lone-Star-State schnupperte. Sicher, man könnte in der Abgeschiedenheit des nordtexanischen Hill Country einfach entspannen: im Pool, im Whirlpool oder noch besser im Schaukelstuhl auf der Veranda der Lodge, wo man morgens gemütlich hin und her wiegend der Sonne beim Aufgehen über der weiten Landschaft zuschauen kann.

Ich wollte mir die Zeit aber lieber damit vertreiben, mich unter waschechten Cowboys wie Nick und Clint, den zwei sehr netten, bodenständigen Guides, einmal ein bisschen wie im eigenen Western zu fühlen. Schön war es dabei, einmal ganze, lebendige Longhorn-Rinder auf der Weide zu sehen und nicht nur die Hörner, die als Standard-Wild-West-Deko in jeder Saloonwand hängen. Ich werde sicher nie das Gefühl ihrer langen, rauen, schleimigen Zungen vergessen, mit denen sie unersättlich versucht haben, jeden auch noch so kleinen Futterkrümel von meiner Hand zu lecken. Bogenschießen war hingegen zwar nicht ganz meine Sache. Dafür hat mir das Tontaubenschießen umso besser gefallen.

Dein Cowgirl Brady konnte mich sogar davon überzeugen, für einen Ausritt aufs Pferd zu steigen, ohne den der Ranch-Urlaub nicht komplett gewesen wäre. Und das, obwohl ich vor langer Zeit nur einmal auf einem Pferd gesessen und keine sonderlich angenehmen Erinnerungen mehr daran hatte. Dass ich ein blutiger Reitanfänger war, spielte letztlich jedoch keine Rolle. Brady erklärte alles ganz entspannt, ritt vorweg und mein Pferd folgte so brav, dass ich mich beim Querfeldeinausflug über das große Wildcatter-Anwesen darauf konzentrieren konnte, ein bisschen John Wayne zu spielen.

Die Abende konnten dazu nicht passender ausklingen: bei den würzigen BBQ-Rippchen im Ranch-Restaurant und später vor allem in der rustikal schicken Lodge. Neben ein paar hübschen Westerndetails hatte die auch einen Kamin für wohlig heimelndes Flammenkino kurz vorm Schlafengehen.

Einen Cowboyhut und Stiefel habe ich mir im Gegensatz zu vielen anderen Touristen nicht zugelegt. Aber wenn ich wieder mal Cowboy spielen will, dann schaue ich bei dir vorbei.

So long, yee-haw! Sascha Rettig