Die schönste Reise sollte doch eigentlich die sein, auf der man sich gerade befindet! Gut, das klappt nicht immer. Aber ich befinde mich, während ich diese Zeilen schreibe – und sie wenig später im Abendblatt erscheinen – gerade auf einer solchen Reise, deren Spuren sich wie ein grobstolliger Reifen in feuchter Erde tief in meine Erinnerung einprägen werden. Es ist die bislang längste Motorradtour meines Lebens: von Hamburg den ganzen italienischen Stiefel hinunter nach Kalabrien, weiter nach Sizilien, dann mit der Fähre von Palermo zurück nach Livorno und über die Dolomiten zurück in den Norden. Die Vorfreude dauert bereits seit ein paar Monaten an. Ich habe geplant, mich informiert, mein Motorrad und meine Ausrüstung vorbereitet. Am Ende entscheide ich jetzt spontan, lasse mich treiben, genieße den Weg und die Freiheit, fertige Pläne mit einem Zug am Gashebel einfach hinter mir zu lassen.

Mehr als 5000 Kilometer werde ich am Ende gefahren sein, unzählige Kurven genommen, unvergessliche Blicke genossen haben. Aber das Ende dieser Reise ist hoffentlich noch weit, weit weg: Ich sitze gerade auf der Terrasse einer Pizzeria in Avellino. Das ist eine kleine Provinzstadt in Kampanien. Die Stadt ist vor fast 3800 Jahren von der heißen Asche des Vesuvs begraben worden. Aber deshalb bin ich gar nicht hier – ich wollte einfach nur duschen, essen und schlafen.

Der Tag heute – ein Wahnsinn: Die Gebirge auf der Apenninenhalbinsel brauchen den Vergleich mit den Alpen in Sachen Fahrspaß nicht zu scheuen. Leere Pässe voller toller Ausblicke. Der Gran Sasso d’Italia („großer Fels“) ragt hinauf bis auf 2912 Meter über dem Meeresspiegel.

Apropos Meer: Das habe ich auf der Strecke bislang noch gar nicht gesehen. Die meist überfüllten Küstenstraßen habe ich bislang gemieden. Die Strecke in Kürze: von Hamburg bis Lörrach mit dem Autoreisezug (das letzte Jahr der Verbindung!), Luzern, am Vierwaldstättersee entlang, hoch nach Andermatt. Eigentlich sollte es über den Gotthard gehen, doch da es sich vor dem Tunnel endlos staut und sich viele Autos über den Pass quälen, fahre ich über den Furkapass (und gönne mir einen Abstecher über Grimselpass), dann via Simplonpass an den Lago Maggiore, durch die Ebenen der Emilia Romagna in die Toskana (Volterra, San Gimignano), das Chianti-Gebiet hinüber nach Umbrien (Perugia, Spoleto, Norcia) in die Abruzzen, südlich von Neapel dann endlich ans Meer bis nach Kalabrien.

Am Ende geht es den ganzen Tag eigentlich nur um eines: den Weg genießen – und das Ziel immer noch ein paar Kurven weiter weg zu schieben ...

Manchmal könnte ich alle paar Kilometer anhalten und ein Foto machen – aber dann käme ich wohl niemals an. Endlos viele Bilder lege ich einfach im Kopf ab. Die werden niemals ein Like bei Facebook bekommen, die werde ich niemandem zeigen können – aber an denen werde ich mich auch in vielen Jahren noch erfreuen. Wenn ich unmerklich im größten Fotoalbum meines Lebens „blättere“.