Inmitten kontrastreicher Landschaft ihrer gleichnamigen Provinz glänzt die Provinz mit Geschichten voller Zauber.

Wie schwarzer Samt spannt sich die Dunkelheit über das Dächermeer des Albaicín und verschlingt die Farben des Tages. Still liegt da in Granadas ältestem Stadtteil die Calle Pernaleros Alto. Nur eine Katze ist auf dem holprigen Pflaster der Straße unterwegs und verschwindet schnell wieder in den Schatten. Fast unbemerkt öffnet sich, eingekeilt zwischen den Fassaden der Nachbarhäuser, der ­Flügel einer Holztür und macht den Eingang frei in das Reich von Antonio Vallejo. Wo in der beachtlichen Größe einer 200 Jahre alten Höhlenwohnung einmal die Großeltern des charisma­tischen Granadino lebten, wird heute allabendlich der Kunst des Flamenco gehuldigt, jenem Markenzeichen andalusischer Kultur, das seine Ursprünge in der Volksgruppe der Gitanos, der Zi­geuner, hat.

Unter dem weiß getünchten Gewölbe des Templo del Flamenco reihen sich kleine Tische aneinander, an denen nach und nach immer mehr Menschen Platz nehmen. Vor sich Teller mit schmackhaften Tapas, den spanischen Appetithappen, im Glas Vino Tinto oder kühle Sangría. Kurz vor zehn betreten die Künstler die Bühne. Drei Männer, drei Frauen, alle in typischer Flamencoaufmachung. Unter ihnen Antonio, ganz in Schwarz, mit Hut und Schal, drei Tage alte Bartstoppeln auf Wangen und Kinn. Mit den ersten Klängen einer virtuos gespielteGitarre nimmt die Gruppe, singend und tanzend, ihr Publikum mit auf eine emotionaleReise. Eine Reise voller Leidenschaft und Dramatik, auf der man keine Spanischkenntnisse braucht, um das Feuerwerk aufwühlender Gefühle, die sich zwischen Glück und Trauer bewegen, zu verstehen.

Der Flamenco ist
untrennbar mit
Andalusien verbunden.
Der leidenschaftliche
Tanz
wird auch häufig
spontan in den Bars
der Stadt getanzt
Der Flamenco ist untrennbar mit Andalusien verbunden. Der leidenschaftliche Tanz wird auch häufig spontan in den Bars der Stadt getanzt © Getty Images

Die Musik von Antonios Flamencoshow ist längst verklungen, wenn der Morgen über dem ehemaligen Maurenviertel erwacht und dessen ganze Schönheit offenbart: die engen steilen Gassen, die ihr Netz über einen Hügel werfen, begleitet vom Weiß der Häuser. An vielen von ihnen hängt ein Schild und verrät den Namen des Gebäudes: Carmen de la Estrella oder Carmen de Santa María. „Der Begriff ,Carmen‘ stammt aus dem Arabischen und lässt sich übersetzen mit Weintraube oder Weinranke“, sagt Stadtführerin Cristina Carmona. Deshalb der Name. Das Laub der Reben beschattet die herrlich begrünten Innenhöfe dieser Häuser, die sich im Duft von Jasmin und Geranien wie Schätze hinter den Mauern verstecken.

Ein Gang durch die Alhambra ist eine Begegnung mit Geschichte

Die Touristen zieht es vor allem in die Höhe des Gassengewirrs: zum Mirador San Nicolás, wo man vor einer Brüstung um die besten Plätze konkurriert. Von hier offenbart das alte Viertel eine sensationelle Aussicht – auf die ­Dächer des Albaicín Bajo in der Tiefe, wo der Río Darro ein Stück weit als pittoresker Bach in Erscheinung tritt und die Grenze zum Hügel gegenüber absteckt, aus dessen Grün Granadas berühmte Alhambra wächst. Exotisch und fremd wie ein Ort aus tausendundeiner Nacht, eingerahmt von den schneebepuderten Gipfeln der Sierra Nevada.

Ein Gang durch das weitläufige Gebiet der Alhambra ist auch eine Be­gegnung mit der Geschichte der Stadt. Zwischen 711, als die maurischen und arabischen Eroberer ins Land kamen, und 1492, als Granada als letzte islamische Hochburg fiel und die Rückeroberung Spaniens durch die katholischen Könige ihren Abschluss fand, erblühte die einst unbedeutende Siedlung zu großer Schönheit. Schicksalhaft mag da das Jahr 1238 gewesen sein, als unter der Dynastie der Nasriden mit dem Wiederaufbau und der Erweiterung einer einstigen Festung der Grundstein für al-kalat al-Hamrá, die aus roter Erde erbaute Burg, gelegt wurde. Genera­tionen von Nasridenkönigen perfektionierten die Alhambra, in deren Mauern neben der Zitadelle auch die Paläste der Sultane und eine inzwischen nicht mehr existierende Stadt mit Wohnhäusern, Moscheen und Bädern lagen.

Bis in die Gegenwart bewahrte diese mächtige Anlage ihren Zauber. Entsprechend hoch ist die Zahl der Besucher, die sich tagtäglich über das 720 Meter lange und 220 Meter breite Gelände ­ergießt – vorbei am herrschaftlichen ­Renaissancepalast des christlichen Königs Karl V., der erst im 16. Jahrhundert entstand und ein irritierendes Gegenstück zur islamischen Baukunst entwirft, weiter zur Festung Alcazaba und schließlich zu den Palacios Nazaríes. Äußerlich unauffällig, erinnert deren ­Innenleben mit seiner verschwenderischenFülle an Dekor an einen orientalischen Traum und schreibt ein wundervolles, aus Holz und Gips geformtes, in Stein gehauenes Stück Poesie.

Zwischen der Alhambra und den ­etwas abseits platzierten Gärten des Generalife, des Sommersitzes der ­Nasriden-Herrscher, wo Hecken paradie­sische Räume um Wasserbecken und sprudelnde Brunnen kreieren, wo Rosen neben Orangenbäumen blühen, verläuft ein Weg bergab. Die Cuesta de los ­Chinos bringt Fußgänger bis zum Flüsschen Darro, in dessen ­Gesellschaft sie wenig später die Plaza Nueva erreichen. Nur ein paar Querstraßen weiter feiert sich das christliche Granada mit der Grabkapelle der Katholischen Könige, vor allem aber mit seiner Kathedrale, einem „Meisterwerk der spanischen ­Renaissance, das auf den Resten einer Moschee ­entstand“, so Cristina.

Umdrängelt von alten Bauten mit schwarz ­vergitterten Balkonen und vielen Geschäften, thront der Kirchenbau mitten im Zentrum, wobei sich seine reich geschmückte Fassade an der Plaza de las Pasiegas wie ein opulentes Bühnenbild zwischen den Häuserfronten aufspannt und eine ganze Seite des Platzes besetzt. Wie zum Trotz gleich nebenan die Alcaicería, in deren Gassen maurische Seidenhändler einmal Handel trieben. Und auch wenn der frühere Basar heute mit dem Verkauf von buntem Schmuck und Gewürzen, von Taschen und Schlappenaus Leder die Grenze zum Kitsch überschreitet, ­beschwört die Architektur noch immer die Welt des Orients.

Der Plaza de Bib-Rambla
war früher für seinen duftenden Blumenmarkt bekannt.
Heute ist er eine der Hauptschlagadern des Lebens in Granada
Der Plaza de Bib-Rambla war früher für seinen duftenden Blumenmarkt bekannt. Heute ist er eine der Hauptschlagadern des Lebens in Granada © Getty Images

So schön wie Granada selbst ­erweist sich auch seine Provinz. Sie trägt den gleichen Namen und bündelt zwischen ihren Grenzen unterschiedliche Naturbilder – wintersporttaugliche Gebirge und subtropische Badeplätze am Meer, unwirtliches Ödland und fruchtbare Ebenen, reißende Flüsse undgemütlich dahin vagabundierende kleine Bäche. Eine Region, gepflastert mit verträumten Dörfern und geschichtsträchtigen Städtchen, die ein Vorbeikommen lohnen. So wie Guadix, nicht nur von Hollywood als begehrteFilmkulisse entdeckt und gelegen in einer Hochebene, wo Weizenfelder und Steineichenwälder auf karge Mondlandschaften treffen, wo die Natur bizarre Formationen aus roter Erde geschaffen hat.

Granada bietet viele Möglichkeiten für Barhopper

Etwas außerhalb von Guadix’ ­sehenswerter Altstadt befindet sich eine ab­solute Besonderheit: das Barrio de Cuevas, in dem der Mensch bereits vor Hunderten von Jahren einfache ­Behausungen in den weichen Löß grub. Heute sollen es 2000 Höhlen sein und allesamt bewohnt. Gegenüber der Kirche an der Plaza Padre Poveda vermietet María ein schlichtes Höhlenquartier an Touristen, und direkt nebenan hat das Centro de Interpretación Cuevas de Guadix eine ehemalige Höhlenwohnung in ein Museum verwandelt und macht die Besucher mit dieser traditionellen Wohnform vertraut.

Ebenfalls in Kirchennähe: der Aufstieg zu einer Aussichtsterrasse, die das ganze Viertel überblickt. Dabei wird sich mancher an Tolkiens „Herrn der Ringe“ erinnert fühlen und erwarten, Bilbo Beutlin aus seiner Tür treten zu sehen. Doch anders als das imaginäre Auenland in dem Fantasy-Klassiker zeigt sich das Barrio ungleich rauer. Vor der Kulisse narbiger Felsgebilde liegen die Wohnhöhlen – mit weiß gekalkten Fassaden und eingezäunten Höfen, während der Rest der Häuser unter der Erde verschwindet. Nur die Schornsteine ragen wie Pilze aus den spärlich bewachsenen Hügeln und hinterlassen den Eindruck einer fremden Welt.

Egal wie spannend ein Ausflugstag in der Provinz verläuft, an seinem Ende ruft einen ihre Kapitale doch wieder zurück – mit der Aussicht auf ein spätes Abendessen und, quasi als Ouvertüre, auf einen Zug durch die Bars der Stadt. Granada sei ein Mekka für Barhopper, so Guide Cristina. Mit über 2560 Möglichkeiten, auf ein Glas Bier oder Wein einzukehren. Entsprechend mischt man sich etwa im früheren jüdischen Viertel Realejo unter die Einheimischen und probiert sich durch moderne wie traditionelle Tabernas. Wobei es in Granada, anders als im restlichen Königreich, zum Getränk eine Tapa, die aus Oliven, Schinken oder anderen Leckereien bestehen mag, gratis gibt. Na dann: Salud!