Der Taj Mahal in Indien Symbol ewiger Liebe; die Tempel von Khajuraho hingegen begeistern mit Skulpturen und Reliefs rund um Sex.

Es kann nur eine Fata Morgana sein, die der Morgennebel da urplötzlich ausatmet. Ein ätherisch flirrender Hauch, weiß und transparent wie ein Hochzeitsschleier, zart und filigran wie ein Schmetterlingsflügel. Einmal Augen reiben, doch das vermeintliche Trugbild will nicht verblassen. Im Gegenteil: Mit jedem Lidschlag materialisiert es sich deutlicher. Und als sich der Dunst vom nahen Fluss endlich verflüchtigt, strahlt er dann ganz real unter blauem Himmel: der einzigartige und wunderbare Taj Mahal. Oder wie es der große Dichter Rabindranath Tagore einst poetisch pries: „Eine Träne auf der Wange der Zeit.“

Unvergleichlich in Perfektion und Symmetrie, spiegelt der „Kronen­-Palast“ jedenfalls wie kein anderes Bauwerk den Glanz jener versunkenen Ära, in der die Mogulkaiser von Agra aus über Indien herrschten. Doch nicht nur das: Der spezifische Zauber des Ortes erwächst natürlich auch aus seinem hinreißend romantischen Ursprung – als Manifest inniger Liebe. Als 1631 nämlich Mumtaz Mahal, die Lieblingsfrau des Großmoguls Shah Jahan, bei der Geburt ihres vierzehnten Kindes stirbt, gibt dieser – tief erschüttert ob des Verlustes –ein Mausoleum in Auftrag, das alles bisher Dagewesene an Schönheit und Vollkommenheit übertreffen sollte.

Heute hat der Taj Mahal den Charakter eines Wallfahrtsortes

Für diese ehrgeizige, überirdisch grandiose und über alle Maßen kostspie­lige Vision, alle damaligen Weltwunder zu übertreffen, verpflichtete der Großmogul die besten Baumeister seiner Zeit – Spezialisten aus Persien und Afghanistan, aus Lahore und Delhi, aus Schiras und Samarkand. Mehr als 1000 Elefanten transportierten das Baumaterial aus ganz Asien an den ­Jamuna-Fluss, 20.000 Arbeiter schufteten fast zwei Jahrzehnte lang an der „Perle der Paläste“. Wann genau das Wunder vollbracht war, ist bis heute umstritten – eine Inschrift über dem Haupteingang verweist auf 1648. HeftigSpekuliert wird auch noch über die Identität des eigentlichenSchöpfers; möglicherweise war der künstlerisch begabte Shah Jahan selbstselbst geistiger Vater des Entwurfs.

Das atemberaubend schöne Grabmal aus weißem Marmor steht auf einer 100 mal 100 Meter großen Plattform. Inmitten eines Gartens aus symmetrisch angelegten Wasserläufen, in denen es sich spiegelt. Es wird gekrönt von einer 57 Meter hohen Zwiebelkuppel und flankiert von vier minarettartigen Türmen, die leicht nach außen geneigt sind – bei einem Erdbeben würden sie also nicht auf das Grabmal stürzen. Blendnischen und Zierpavillons vermitteln den ­Eindruck schwebender Leichtigkeit. Schriftbänder mit Suren aus dem Koran säumen die Portale. Blumen- und Rankenreliefs aus Marmor schmücken den unteren Teil der Fassade. In den Marmor wurden 28 verschiedene Arten von Edel- und Halbedelsteinen wie Jade, Lapislazuli, Saphire und sogar Diamanten eingefügt; nahezu alle Flächen sind in irgendeiner Form verziert. Im Zentrum der Anlage stehen die Kenotaphe (Scheingräber) von Mumtaz Mahal und Shah Jahan, sie sind verschwenderisch geschmückt mit Intarsien aus Halbedelsteinen und umgeben von einem prächtigen Marmorgitter. Die sterblichen Überreste des Paares ruhen unmittelbar darunter in einer nicht zugänglichen Grabkammer. Auf ewig verbunden – wie im ­Leben, so auch im Tode. Kein Wunder folglich, dass dieses marmorne Symbol tiefer Zuneigung für frisch vermählte indische Eheleute fast Wallfahrtsortcharakter hat; der Besuch soll die gegenseitige Liebe dauerhaft machen und bestärken.

So unangefochten das Taj Mahal den touristischen Thron Indiens besetzt, so felsenfest behauptet sich an Nummer zwei eine für viele noch aufregendere Attraktion. Oder besser gesagt, eine erregendere. Im kleinen Ort Khajuraho, eine Tagesreise südlich vom Taj Mahal, haben es 22 alte Tempel zu weltweitem Ruhm gebracht: als Indiens wohl delikatestes Kulturerbe. Denn in Khajuraho geht es zur ­Sache.

Insgesamt schmücken mehr als 2000 Skulpturen
Insgesamt schmücken mehr als 2000 Skulpturen © Getty Images/Lonely Planet Images | Patrick Horton

Ungeniert und ungehemmt geben sich hier attraktive Menschen – von unbekannten Steinmetzmeistern vor 1000 Jahren kunst- und fan­tasievoll aus Sandstein skulptiert – erotischen Spielen hin. Zumeist spärlich bekleidete Herren und Damen bei freizügigem Sex zu zweit, zu dritt oder gar zu viert; zugange sind aber auch Männer mit Männern, Frauen mit Frauen, auf einem Fries sogar Soldaten, die die Liebe zu ihrem Pferd wortwörtlich genommen haben. Dass sich ein steinerner Beobachter des sodomitischen Aktes bestürzt die Hände vors Gesicht schlägt, macht immerhin deutlich, dass derartige Praktiken auch damals schon nicht ganz so en vogue gewesen sein können.

Im erotischen Freilichtkino von Khajuraho gibt es raffinierte Verführung zu bestaunen und ausgedehntes Vorspiel. Kopulationen von vorn und von hinten, von unten, von oben. Reiterspiele und Hängepartien, Oralsex und Onanie. Leidenschaftlich verschlungene Paare, die sich in kaum erdenklichen Stellungen und technisch vertrackten Verrenkungen ergehen – eine überaus plastische und vollkommen tabulose Zurschaustellung von sexueller Aktivität, wie man sie nirgendwo sonst je in aller Öffentlichkeit gesehen hat.Geschweige denn an gottgeweihten Tempeln.

Doch was im prüden Indien von heute unvorstellbar wäre, war zur Bauzeit der Tempelstadt zwischen 950 und 1070 offensichtlich völlig normal. Die Stifter der Tempel waren Könige der Chandella-Dynastie, die ihre Hauptstadt wie ein Bilderbuch ausschmückten. Mit Szenen des hö­fischen Lebens und der altindischen Liebeslehre Kamasutra, die damals hoch im Kurs stand. Und mitverantwortlich war für ein Klima sexueller Unverkrampftheit, an dem übrigens auch Frauen maßgeblich Anteil hatten. Und zwar keinesfalls als Lust- oder Sexualobjekte für Männer, sondern, das zeigen die Friese ganz klar, als gleichberechtigte und selbstbestimmte Partner im Liebesspiel.

Die Tempel von Khajuraho sind mehr als ein Kamasutra-Katalog

Um Missverständnissen vorzubeugen:Das Skulpturenensemble besteht nur zu etwa zehn Prozent aus solch frivolen Akten, die außerdem oft gar nicht so leicht zu entdecken sind in der überbordenden Fülle der Szenen und Figuren. Denn insgesamt schmücken mehr als 2000 Skulpturen auf bis zu drei Etagen die Steilwände der Tempel – allein am Kandariya Mahadeva, dem mit 31 Meter höchsten und gleichzeitig prächtigsten Tempel, wurden Hunderte von Skulpturen gezählt, viele von ihnen annähernd einen Meter hoch. Hier tummeln sich Götter und ihre diversen Inkarnationen, Fabelwesen und Elefanten, Könige und Höflinge, Musikanten und Tänzer, Krieger und Tiere. Besonders reizend sind außerdem die Surasundaris, die „schönen Mädchen“, bei denen man ein wei­teres Mal seinen Augen kaum trauen mag. So sinnlich, so verführerisch, so kokett schauen die Sandsteinladys von den Wänden.

Viele halten Spiegel in den Händen für den kritischen Blick auf die eigene Schönheit. Andere schminken sich die Lippen oder tuschen sich die Wimpern. Wieder andere spielen mit Bällen oder Äffchen.Eine schreibt einen Liebesbrief, eine bezirzt einen alten Mann, der Geldbündel in den Händen hält. Was die Mädels fast alle gemeinsam haben: Sie sind ausgestattet mit so tollen Figuren und so prallen Brüsten, dass manchem Künstler dereinst die Fantasiehormone wohl kräftig durchgegangen sind. Gut möglich aber auch, dass die Inder das Silikon erfunden habenEin Zufall freilich ist das alles nicht. In der indischen Kunst hat die Darstellung weiblicher Schönheit keinesfalls nur dekorative Funktion; ihr wird auch eine Unheil abwehrende Magie zugeschrieben. Frei nach dem Motto: Wo sich Schönheit, Liebe und Erotik finden, bleibt kein Raum mehr für dämonische und zerstörerische Kräfte. Für Leute vom Fach ist außerdem völlig klar, dass in der sexuellen Ekstase das Göttliche erfahren wird und damit das eigentliche Ziel eines jeden Lebewesens.

Wissenswertes

Anreise: z. B. mit Air India von Frankfurt nach Delhi.Z(ab 505 Euro, Flugzeit ca. 8 Stunden); ur Einreise ist ein Visum zwingend erforderlich , das vorab besorgt werden muss (bei Gruppenreisen über den ReiseVeranstalter)

Übernachtungen: In Agra z. B. Hotel Mansingh Palace, DZ/F ab 80 Euro, www.mansinghhotels. com; in Khaju­raho im Ramada, DZ/F ab 60 Euro, www.ramadakhajuraho.com

Pauschal: z. B. die zehntägige Tour „Vom Taj Mahal zum Ganges“ , ab 1085 Euro ohne Flug, www.gebeco.de

Auskunft: india-tourism.net www.incredibleindia.org

Beste Reisezeit:

Von Oktober bis April ist es im Norden regenfrei bei angenehmen Temperaturen

Währung:

Währung ist die Rupie (1 Euro aktuell 70 Rupien). Geld kann in Banken und vielen Hotels getauscht und in größeren Städten auch mit Kreditkarte an Bankautomaten abgehoben werden

S prache:

Amtssprache ist Hindi. Daneben gelten auch Englisch (noch aus der Kolonialzeit) und 17 gleichberechtigte Regionalsprachen als Amtssprache.

Gesundheit:

Unbedingt empfehlenswert sind Malariaprophylaxe und Tetanusschutzimpfung, ratsam Hepatitis- und Typhusschutz. Meiden Sie beim Essen und Trinken alles, was mit Leitungswasser in Berührung gekommen sein könnte. In die Reiseapotheke gehören Mittel gegen Durchfall und Erkältungen sowie eine Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor.

Reiseführer:

Polyglott on tour „Indien“ (12,95 Euro)

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Deshalb seien die Gesichter der Liebenden auch nicht von Lüsternheit und Erregung geprägt, sondern von einer fast schon weltentrückten Gelassenheit. Die Vereinigung ist hier also kein in erster ­Linie körperlicher Akt, sondern eine spirituelle Verbindung zweier Prinzipien und damit eine religiöse Form der Gotteserfahrung. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag – die Tempel von Khajuraho sind sehr viel mehr als ein steinerner Kamasutra-Katalog. Aber erkläre das mal einer den Busladungen verschämt kichernder Touristen.