Altona. Der letzte soll im Dezember nach München rollen. Viele verbinden Kindheits- und Urlaubserinnerungen mit dieser Art des Verreisens.

Es ist besiegelt: Die Tage der Autoreisezüge sind auch in Hamburg gezählt. Der letzte wird nach derzeitiger Planung der Bahn am 10. Dezember 2016 Hamburg in Richtung München verlassen. Trainspotter und etwaige Trauergäste sollten sich dieses Datum daher schon mal vormerken.

Nicht wenige aus dem Norden, die das allgemeine Reisefieber im Wirtschaftswunder der 60er-Jahre bereits mit vollem Bewusstsein auskosteten, dürften jetzt vermutlich einmal mehr in Melancholie verfallen. Weil „die“ – gemeint ist natürlich die böse Bahn – ihnen was wegnehmen will, was sie in ihrer gewissen Verklärtheit und ihrer Sehnsucht nach der guten alten Zeit stets als das Nonplusultra des Reisens empfunden haben, vom Fliegen vielleicht einmal abgesehen.

Die Fahrt mit dem Autoreisezug der Deutschen Bundesbahn: Die hatte ja wirklich was, jedenfalls dann, wenn es gelang, das Familienauto ohne Delle und Kratzer in der Verladestation Hamburg-Altona zunächst durch einen Teil der Bahnhofshalle, häufig von neidischen Blicken verfolgt, hinaus auf den Bahnsteig zu fahren und von dort dann über eine klappernde Rampe ins Unter- oder aufs Oberdeck der doppelstöckigen Transportwaggons zu rangieren, während die Zugbegleiter in den Schlaf- und Liegewagen die Betten bauten, dabei freundlich fragten, ob es am nächsten Morgen Kaffee oder doch lieber Tee zum Frühstück sein sollte, und die Mütter ihren (kleinen) Kindern schon mal prophylaktisch die bedruckten Schlafanzüge überstreiften.

Wenn der Zug dann rollte, packte Mutter mit Glück etwas zum Knabbern aus

Autoaufbrüche waren damals, Ende der 60er-Jahre, übrigens kein Thema, obwohl die dahinzuckelnden Autoreisezüge häufig auf irgendwelchen Provinzbahnhöfen halten mussten, um Express- und Güterzüge passieren zu lassen. Man sorgte sich mehr um die Stabilität der Ski- oder Dachgepäck­träger, wenn das Auto auf dem Oberdeck stand. Seit den 90er-Jahren kamen jedoch zwangsläufig abschließbare Trägerkonstruktionen in Mode, noch ein wenig später wurde diese Form des Diebstahls während der Fahrt ärger­licherweise professionalisiert.

Der zweite Vorteil des Autoreisezugs war die ungeheure Zeitersparnis, denn man fuhr schließlich nachts und bekam so – Hin- und Rückreise zusammengenommen – im Prinzip mindestens einen vollen Urlaubstag geschenkt. Darüber hinaus sparte man natürlich auch einige Tankfüllungen und – nebenbei – die horrenden Kosten für Raststättenbesuche, vor allem aber Nervenkraft. Staus, Starkregen oder plötzliche Wintereinbrüche waren kein Thema, und es saßen keine Kinder auf der Rückbank, die alle zwei Minuten quengelten: „Wann sind wir da?“ Überdies gab es wegen der Reservierungspflicht auch keinen Stress wegen der Platzwahl im Zug – außer wenn Vater die kompletten Reiseunterlagen im Auto vergessen hatte ...

Wenn der Zug sich dann rumpelnd in Bewegung setzte, packte Mutter Wurst- und Käsestullen, mit Glück auch etwas zum Knabbern oder Süßigkeiten, mit ganz großem Glück Papp­becher aus ihrer großen Reisetasche aus, während Vater mit seinem Schweizer Taschenmesser eine Flasche schweren Rotwein entkorkte, den „Schlummertrunk“, wie er dann zu bemerken pflegte, gefolgt von der geseufzten Feststellung: „So, jetzt beginnt der Urlaub.“

So lernte Vater aber auch zwangsläufig viele fremde Reisende kennen, denn Korkenzieher und Pappbecher waren Utensilien, die offenbar bei rund 90 Prozent der Mitreisenden dummerweise zu Hause „schlummerten“.

Leider durften Kinder keine Coca-Cola trinken (so wie im Flugzeug), denn die machte wach, nicht etwa dick, und wir sollten schließlich schlafen. Wenn wir dann kurz vor Bremen mit unserem Schlaftier aufs oberste Bett hinaufkletterten, ließen uns die monoton ratternden Räder des Zugs zumeist schon nach kurzer Zeit wegnickern.

Ein geradezu unverschämter Luxus

Man muss es jedoch (leider) sagen: Wer mit dem Autoreisezug in den Urlaub fuhr, zählte gewissermaßen zu den Privilegierten. Es war ja auch ein geradezu unverschämter Luxus, ein Auto, das doch eigentlich zum Reisen gedacht war, huckepack auf der Schiene mitzunehmen! Historisch betrachtet, war das aber schon seit dem Jahre 1840 so, als nur fünf Jahre nach dem Beginn des offiziellen Schienenverkehrs auf deutschem Boden die ersten „Equipagewagen“ eingeführt wurden, auf denen die Reisenden in ihren festverzurrten Kutschen saßen und Kilometer abspulten. Die Kutscher saßen (selbstverständlich) bei Wind und Wetter oben auf dem Bock, und weil Pferde nicht transportiert werden durften, standen an den Zielbahnhöfen Gespanne zum Ausleihen bereit.

90 Jahre später – das Auto hatte die Kutsche längst verdrängt, war aber nach wie vor den Besserverdienenden vorbehalten – fuhr dann der erste reguläre Autoreisezug von Hamburg nach Basel. Eigentlich war es ein Extrazug, ein sogenannter Eilgüterexpress, der dem Personenzug vorausfuhr. Die Fahrt dauerte damals gut 33 Stunden, und so wie die Reisenden in ihren Schlafwagenabteilen hatten auch deren Autos ein Dach überm Kopf – zum Schutz vor den ätzenden Rußschwaden der Dampflokomotiven. Bis zum Jahre 1939 entstanden rund 50 Autoverladebahnhöfe im damaligen Reich.

Die geschlossenen Autotransportwaggons waren nach dem Krieg noch bis Anfang der 60er-Jahre im Einsatz. 1956 war der reguläre Autoreisezugverkehr wieder aufgenommen worden, in jenem Jahr wurden exakt 930 Autos verladen, und die einfache Strecke von Hamburg nach Basel kostete 95 Mark. 1973, zur absoluten Hochzeit der Autoreisezugs, als die Bahn mehr als 185.000 Autos (und Motorräder) sowie fast eine halbe Million Menschen transportierte, gab es insgesamt 163 Verbindungen, 49 davon im innerdeutschen Schienenverkehr.

Als beliebteste Strecken galten Hamburg–München (Auto-Traum-Express), der Hochrhein-Auto-Express von Hamburg nach Lörrach sowie der Christophorus-Express von Düsseldorf nach München. Und wer im Sommer unbedingt mit dem eigenen Wagen (zumeist auch mit dem eigenen Hund, dem das Fliegen in der Transportbox erspart werden sollte) in Spanien urlauben wollte und eine gut bestückte Reisekasse besaß, konnte sich noch bis 2014 über Nacht ins südfranzösische Narbonne schaukeln lassen – inzwischen für rund 1800 Euro hin und zurück.

Nachfrage um rund 30 Prozent zurückgegangen

Nein, „billig“ war der Autoreisezug nie. „Dennoch sind die Geschäftsfelder Nachtzug und Autozug seit Jahren defizitäre Nischengeschäfte“, sagt Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis. „In beiden Geschäftsbereichen stehen den Betriebskosten geringe, stagnierende Einnahmen und jährliche Verluste in zweistelliger Millionenhöhe gegenüber.“ In den vergangenen zehn Jahren sei die Nachfrage um rund 30 Prozent zurückgegangen – schon 1978 hatte die Bahn etwa 40 Prozent ihrer Autozugverbindungen zusammengestrichen; von da an ging es scheibchenweise weiter, bis heute.

Kürzlich sagte Bahnchef Rüdiger Grube im Abendblatt-Interview: „Die Autoreisezüge rechnen sich einfach nicht – es ist ein reines Saisongeschäft. Außerdem sind die Transportwagen uralt. Wir dürften sie nur weiter betreiben, wenn wir viele Millionen Euro für die Sanierung oder den Neukauf in die Hand nehmen. Dieses Geld können wir aber nicht in ein dauerhaft defizitäres Nischengeschäft stecken.“ Wenn also der Altonaer Fernbahnhof nach Diebsteich verlegt wird, wird der Autoreisezug endgültig Bahngeschichte sein.

Und auch die Politik lässt ihn ohne Gegenwehr aufs Abstellgleis rollen: „Im Oktober 2014 hat der Senat wenigstens noch bedauert, dass die Autoreisezug-Verbindungen von und nach Hamburg reduziert werden“, klagt Linken-Politikerin Heike Sudmann, „jetzt ist es ihm egal. Das ist nicht nur unter Umweltgesichtspunkten, sondern auch hinsichtlich der europäischen Integration und für den Tourismus und Großveranstaltungen in der Hansestadt höchst bedenklich und nicht nachvollziehbar.“ Die Einstellung von Autoreisezügen und Nachtzügen führe zu einer Verkehrsverlagerung von der Schiene auf die Straße, und das sei eine antiquierte und überholte Verkehrspolitik. „Kaum zu glauben, dass die Bahn eine solche Politik betreibt und der Senat schweigt und nichts unternimmt!“

Auf Heike Sudmanns Kleine Anfrage antwortete der Senat: „Angesichts der verhältnismäßig kleinen Zahl dort verladener Fahrzeuge hat das Vorhandensein einer Verladeanlage keine spürbaren Auswirkungen auf die Erfüllung der verkehrlichen oder touristischen Zielsetzungen des Senats.“ Offenbar gibt es auch keine privaten Unternehmen, die das Autoreisezug­geschäft von der Bahn übernehmen wollen. „Andere Nutzer und Interessenten werden über die geplante Einstellung des Angebots zur Autoverladung fristgerecht informiert. Darüber hinaus sind der zuständigen Behörde weitere Pläne nicht bekannt“, heißt es ebenfalls in der Senatsantwort.

„Die Kunden haben das Angebot nicht mehr ausreichend genutzt“

Der ADAC registriert zwar eine Reihe von Anfragen seiner Mitglieder zum Ende der Autoreisezüge. Vor allem Motorradfahrer seien enttäuscht, die ihre Bikes bisher gerne auf dem Weg in die Berge bis München per Zug transportierten, um sich die ermüdende Autobahnfahrt zu sparen. Gleichwohl sieht man beim größten deutschen Automobilclub, dass es insgesamt wohl keinen Markt mehr für das Geschäft mit dem Autoreisezug gibt. „Die Kunden haben das Angebot nicht mehr ausreichend genutzt“, sagt Carsten Willms, verkehrspolitischer Sprecher des ADAC Hansa. „Auch wenn wir das nicht toll finden: Die betriebswirtschaftliche Entscheidung der Bahn ist nachvollziehbar. Und eine spürbare Entlastung der Straßen haben die Autoreisezüge angesichts der geringen Nutzungszahlen sowieso nicht gebracht.“

Der Preisverfall bei der Fliegerei, das boomende Mietwagengeschäft und nicht zuletzt die Tatsache, dass selbst moderne Kleinwagen längst zu bequemen, klimatisierten Wohnzimmern geworden sind, denen auch voll beladen an der ersten Steigung nach der Werratalbrücke auf der A 7 in Richtung Süden nicht die Puste ausgeht wie einem 34-PS-Käfer mit Brezelfenster, haben das langsame Sterben dieses extravaganten Verkehrsmittels unaufhaltsam vorangetrieben.

Doch trotz aller Vorzüge der heutigen Mobil-Spaß-Gesellschaft sollte man uns Nostalgikern ein Tränchen der Betroffenheit gönnen: Eine Stunde vorm Zielbahnhof wurden wir vom Zugbegleiter geweckt. Wir mümmelten rasch zwei Brötchenhälften mit Emmentaler-Scheibletten und Nutella, tranken unseren Kaffee und Tee sowie ein Glas Orangensaftnektar – und dann waren wir eigentlich auch angekommen. Ganz ohne Quengeln.