Patmos in der griechischen Ägäis ist ideal für Natur- und Kulturgenuss sowie für Begegnungen mit Malern und Schauspielern.

Später Vormittag auf der ­Platia Lesvias, dem größten Platz von Chora und dem schönsten auf der Insel Patmos. Bilderbuch-Griechenland: Ein paar alte Männer sitzen vor der Taverna Vangelis. diskutieren, andere spielen mit ihrem Komboloi, der Perlenkette, die an Orten wie diesem zu jedem Mann gehören.Katzen schnurren um die weißen Tische oder dösen auf dem Binsengeflecht der Stühle. Ein Bus, der sich über Serpentinen in das Oberdorf gequält hat, hält an. Ein Pope steigt aus, überquert eilig die Platia und verschwindet in einer Seitengasse. Als auch der Bus verschwunden ist, und mit ihm der Dieselgeruch, liegt wieder eine träge, mediterrane Mittagsruhe über diesem Platz, den weißen Gassen, über ganz Patmos, dieser abgelegenen Insel im Osten der Ägäis. , die in vielfältiger Weise dem Himmel so nah ist.

Noch Frühling oder schon Sommer? Es ist noch nicht lange her, als Regen und Wind die Wiesen, die Berge und die weißen Häuser im Hafenort Skala und oben in Chora verwaschen aussehen ließen. Alle Insulaner, Griechen wie Zugezogene, waren nach der langen Winterpause damit beschäftigt, ihre Pensionen und Kaffeehäuser zu renovieren, Geschäfte, Ateliers und Bars aufzuräumen. Oder auch nur durchzuatmen. bevor die ersten Besucher kommen, Stammgäste zumeist: zum Malen und Meditieren, zum Wandern, Pilgern, Beten. Nicht zuletzt zum Baden.

Skala ist internationaler geworden, aber typisch griechisch geblieben

Und jetzt, kurz vor der Saison, die in Patmos später als auf den Kykladen beginnt, ist über Nacht die Natur explodiert. Die Bergwiesen sind voller Anemonen, Margeriten, wildem Lavendel und Mohn. Aus den Büschen und Sträuchern riecht es intensiv nach Thymian, Rosmarin und Oregano., als wolle die Insel ihre Liebhaber auf einem bunten, duftenden Teppich begrüßen. Wir waren am frühen Morgen mit einem Schiff aus Rhodos gekommen. Schroff und grau hatten die Hügel von Patmos im nebligen Dunst gewirkt. Erst als kurz darauf die Sonne über die Berge gekrochen war und die weißen Häuser von Chora, darüber das festungsähnliche Kloster des Johannes und schließlich den Hafen von Skala erreicht hatte, war der Vorhang endgültig hochgezogen. Patmos leuchtet wie vor Jahrzehnten, als wir das erste Mal hier unterwegs waren: nur ein paar Häuser mehr am Berg, ein paar Tavernen und Bars mehr am Hafen, gleich hinter dem Pier. Und wo früher nur Kaiki und andere Fischerboote gelegen hatten, dümpeln jetzt Katamarane und große Yachten. Maultiere, die uns hätten den Berg hochtragen können, gibt es ebenfalls nicht mehr, dafür immerhin fünf Taxis. Bunt ist Skala geworden, ein bisschen internationaler, und doch typisch griechisch geblieben.

Wenig später sitzen wir am Rande von Chora auf einer Terrasse hoch über der Bucht von Skala und halten die Luft an: Was für ein Panorama! Das Schauspielerpaar Barbara Hoffmann und Till Sterzenbach hat sich hier oben ein Refugium geschaffen, eine Künstlerklause unter einem Himmel, der für Monate stahlblau sein wird, unter einer Sonne, die den alten Griechen einen göttergleichen Status wert war. Vierzig Jahre, nachdem sie in München gemeinsam die Otto-Falckenberg-Schule besucht und sich danach aus den Augen verloren hatten, hat das Paar auf Patmos wieder zueinander gefunden. Jetzt entwickeln sie, die beide große Erfolge auf vielen Bühnen Europas gefeiert haben, immer neue Theaterprojekte, für die sie in ganz Griechenland verehrt werden. Vom Traumblick lassen sie sich in ihrem Paradies nicht ablenken, wohl aber von der Apokalypse inspirieren, der Offenbarung Gottes, die auf dieser Insel ihren geistigen Ursprung hat. Vor über 1900 Jahren soll ein Johannes, dessen Herkunft im Dunkeln der Geschichte bleibt, diese Visionen gehabt und einem Schüler diktiert haben.

Gut tausend Jahre später, 1088, entstand das Kloster, das seither den Namen des später heilig gesprochenen Johannes trägt; eine wuchtige Festung des Glaubens, berühmtes Pilgerziel und Weltkulturerbe seit 2006. Das von außen so düster und von innen so hell wirkende Kloster zieht nicht nur orthodoxe Christen an. So war etwa der Verleger Axel Springer, Gründer dieser Zeitung, von der Himmelsburg und den spirituellen Impulsen, die von ihr ausgehen, in seinen letzten Lebensjahren derart angerührt, dass er sich ein Haus auf Patmos zulegte. Ein Felsen, auf dem der Legende nach die ersten Christen getauft wurden und eine Höhle, in der sich Johannes die Apokalypse erschlossen haben soll, sind heute so gut besucht wie das Kloster, das seinen Namen trägt.

365 Kirchen und Kapellen, quer über die Dörfer und die Hügel verteilt: Da darf man wohl von der Insel mit dem Heiligenschein sprechen. Annoula, eigentlich Brigitte Hurdalek, hat dieses Prädikat als Untertitel für ihren hausgemachten Reiseführer gewählt, eine informative Sammlung amüsanter Anekdoten und nützlicher Tipps.

Was die Insel mit dem Heiligenschein für eine ehemalige Chansonsängerin bedeutet

Annoula betreibt mit Stavros, ihrem Mann, das familiäre Hotel ­Golden Sun hoch über der Bucht von Grikos. Annoula ist Wirtin, Märchendichterin und Philosophin des Alltags. Auch sie, die ehemalige Chanson- und Gospelsängerin aus Berlin und München, hatte ein bewegtes, von Theater und Kunst beeinflusstes Leben, bevor sie vor 25 Jahren auf Patmos sesshaft wurde. Heute gilt Annoula als Doyenne der bunten deutschen Kolonie auf Patmos. Diese Kolonie, vorwiegend eine Truppe erfolgereicher Frauen, trifft sich gern bei Katharina Schneider im Art-Café am Hafen von Skala: ein in Stein gefasstes Poesiealbum über zwei Stockwerke, ein blumenreiches Gesamtkunstwerk voller Gemälde, Statuen und blühender Miniaturen. Katharina war Floristin im Harz, als sie 1992 zum ersten Mal nach Patmos kam. Vier Jahre später startete sie mit ihrem Künstlertreff in die erste Saison. Alle kommen sie zu ihr, zu Lesungen, Live-Musik oder auch nur zum Chillen – die Touristen, die Theatermacher Barbara und Till, Annoula und natürlich Reno, ein Maler aus dem Frankenland, dessen Bilder viele Wände dieses wunderbaren Hauses schmücken.

Reno, alias Reiner Grunwald, kommt seit 26 Jahren jeden Sommer nach Patmos, um seine Liebe zur Insel auszuleben, vor allem aber, um Urlauber sehen und malen zu lehren. Ein Jahr lang hat er in Paris als Kunstpädagoge gearbeitet, dann hat er sich selbst nach Patmos versetzt, wie er schmunzelnd sagt. Sein fränkischer Humor, seine Gabe, mit Menschen, mit Licht und mit der Insel umzugehen, haben ihm die vielen Stammgäste gebracht, die Jahr für Jahr bei SKR, dem Spezialisten für Kreativreisen, Malkurse bei ihm buchen.

Nur wenige der Schönen und Reichen besuchen die Insel

Auch Helga Sosath aus Hamburg-Bramfeld gehört schon lange zu seiner Fangemeinde. Die Freizeitmalerin findet seit 2004 auf Patmos die Motive, die sie mag, sowie die innere Ruhe, die sie gut durch den Rest des Jahres trägt. Sie kommt stets im Juli, wandert mit Reno und seinen „Jüngern“ auf den Hausberg Ilias, legt, wenn ihr danach ist, den Pinsel zur Seite und geht baden oder schaut aufs Meer.

Früher Nachmittag. Ein letzter Bummel mit Till Sterzenbach durch Chora, den schönsten Ort, der wie das Kloster mit dem Welterbe-Status ausgezeichnet ist. Wir streifen durch stille, verwinkelte Gassen. Über hellblauen Türen und weißen Fenstersimsen ergießen sich Bougainvillea-Kaskaden. Andreas, ein Freund von Till, bittet uns auf ein Glas Retsina in sein Atelier. Er ist Maler, Lebenskünstler vor allem, wie so viele auf der Insel. Danach noch ein kurzer Blick in die Goldschmiede-Galerie von Maria Papakonstantinou aus Athen, die auch von den wenigen Schönen und Reichen besucht und geschätzt wird.

Zwar ist die Insel bezüglich Promis nicht mit Mykonos oder St. Tropez zu vergleichen. Und doch gedeihen, eher im Verborgenen, auch auf der heiligen Insel einige glamouröse Blumen. Manchmal kommt der ehemalige König von Spanien, manchmal der Aga Khan, oft Mitglieder eines superreichen iranischen Clans. Niemand macht ein Aufhebens um sie, zuweilen werden sie abends bei Benetos, dem besten Lokal der Insel, gesehen, aber nicht wahrgenommen.

Letzter Abend, Abschluss in Katharinas Art-Café, hoch über der Hafenmeile und doch mittendrin. Wenn der weltliche Zauber der heiligen Insel sicht- und hörbar gemacht werden sollte, dann wäre ihre Dachterrasse der geeignete Ort. Von der Promenade dringt Lachen und Licht herauf. Aus den Küchen der Nachbarschaft duftet es nach Aioli und griechischen Kräutern. Vom Schiff am Kai gegenüber, einem französischen Luxuskreuzer, klingen melancholische Chansons von Édith Piaf, Juliette Gréco und Jacques Brel herüber. Sie mischen sich mit Bouzouki- und Sirtaki-Klängen aus den Tavernen nebenan und verwehen mit dem Wind, der das Meer kräuseln und die Boote im Hafen tänzeln lässt.