Der Berliner Szene-Stadtteil Kreuzberg macht gegen Besucher mobil - und wirkt dabei fast schon etwas spießig

Das Feindbild steht fest: Es ist jung, kommt aus England, Italien oder Schweden, zieht morgens einen ratternden Rollkoffer übers Kopfsteinpflaster und leert nachts grölend Bierflaschen. Alteingesessene in Berlin-Kreuzberg wollen die lauten Besucher am liebsten vertreiben, notfalls auch mithilfe der sonst so verhassten Polizei. "Hilfe, die Touris kommen", lautete die Überschrift auf einer Einladung der Grünen - die sonst immer demonstrativ für Toleranz werben. Mehr als 120 Menschen sind ihr gefolgt, der Saal an einer Seitenstraße Kreuzbergs ist überfüllt. Das Thema polarisiert in der ganzen Hauptstadt, aber hier im linksalternativen Kiez ist der Zorn am größten.

"Wir sind kein Zoo", ruft ein junger Mann in tief hängender Jeans und blauem Kapuzenpullover in den Saal. "Touristen sollen sich den Ku'damm oder Alex geben." Wenig später empört sich bei der Debatte ein Mann im farbbespritzen Overall: "Warum kann man das denn nicht verbieten?" Er wird immer lauter: "Ja, warum denn nicht?" Zustimmendes Gemurmel im Publikum, das sich einig ist: Großstadt und Toleranz ja, aber nicht mehr gegenüber der stetigen Flut der Touristen, die durch die Kneipen und Klubs Kreuzbergs zieht.

Die meisten der Männer und Frauen im Publikum sind zwischen 35 und 65, viele tragen Wolljacken, Cargohosen oder Lederjacken. Die Grünen-Politiker am Tisch gehören zu den Jüngeren im Saal. Ein Satz, der immer wieder fällt: "Ich wohne seit mehr als 20 Jahren in Kreuzberg." In den vergangenen Jahrzehnten stand der Stadtteil für alternative Kultur, hohen Ausländeranteil oder Straßenschlachten mit der Polizei. Nun fallen Sätze über "die Touristen", die an Fremdenfeindlichkeit erinnern könnten. Eine schwarz gekleidete Frau mit rot gefärbten Haaren erzählt von Erbrochenem auf dem Bürgersteig und Nächten voller Technomusik aus den Open-Air-Klubs, die aus dem Kreuzberger Spreeufer eine der beliebtesten Partymeilen der Stadt gemacht haben. Ihre Wut klingt wie die Empörung eines schwäbischen Dorfbewohners über ein Punkkonzert in den 80er-Jahren: "Sie pinkeln in die Hauseingänge, werfen Bierflaschen und grölen herum." Als immer mehr geschimpft wird, sagt ein alter Mann mit weißem Bart und Ringelpulli: "Das ist Sarrazin-Denken."

In den vergangenen Jahren sind in den Innenstadtteilen Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg immer mehr Hostels, billige Hotels mit Mehrbettzimmern, eröffnet worden. Dazu kommt die "Schwarz-Hotellerie": Wohnungen werden für Tage, Wochen oder Monate an junge Touristen oder ausländische Studenten vermietet. Das ist zwar meist illegal, weil die entsprechende Gewerbeanmeldung fehlt, aber sehr beliebt. Jedes Jahr meldet die Stadt stolz neue Touristenrekorde. Knapp 21 Millionen Übernachtungen werden gezählt. 112 000 Hotelbetten gibt es, 15 000 weitere sind geplant. Gegenüber, auf der anderen Spreeseite, entsteht derzeit Deutschlands größte Jugendherberge. Bauanträge für weitere Hostels werden gestellt. Selbst Gerhard Buchholz, der für die Berliner Tourismusagentur Visitberlin arbeitet, gibt zu: "Die Politik ist letztlich überrollt worden von der Entwicklung."

Eine Einigung im Kampf um den Kiez zeichnet sich nicht ab. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) setzt auf die Besucher, weil Berlin mangels Industrie sonst kaum Einnahmequellen hat. Der Tourismus bringt bis zu neun Milliarden Euro Umsatz. Die Initiatoren der Kreuzberger Debatte schlagen zwar Beschränkungen des ungezügelten Hotel-Baus vor und fordern eine Tourismussteuer, die den Kiezen zugute kommt. Aber die Grünen-Wirtschaftspolitikerin Nicole Ludwig stellt auch fest: "Ich möchte euch eine Hoffnung nehmen: Kreuzberg wird nicht mehr das Kreuzberg von vor 30 Jahren werden.