Kleine Fluchten: In der ländlichen Idylle Mecklenburgs logieren die Gäste des Schlosshotels Kittendorf hinter herrschaftlichen Mauern.

Kittendorf. Im Grunde fehlt nur noch eine verwilderte, undurchdringliche Dornenhecke. Und natürlich ein Prinz auf weißem Pferd, der gekommen ist, um das schöne Dornröschen aus seinem hundertjährigen Schlaf wach zu küssen. Dann wäre die Illusion vom verwunschenen Märchenschloss perfekt. Aber auch die Realität besitzt genügend Magie, um die Gäste von Schloss Kittendorf zu verzaubern. Mit Türmen und Zinnen, Erkern, Balkonen und Säulen thront das einstige Heim derer von Oertzen im stillen Grün eines Parks, den kein Geringerer als Preußens berühmter Gartenarchitekt Peter Joseph Lenné entworfen haben soll.

Kittendorf zählt gerade mal 300 Einwohner. Ein kleiner Ort zwischen Mecklenburgischer Seenplatte und Mecklenburgischer Schweiz. Und ein schöner Platz für das herrschaftliche Anwesen, dessen Geschichte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Die Zeit der Familie von Oertzen begann hier allerdings etliche Jahre früher. Damals – man schrieb das Jahr 1751 – ließ der alte Hofmarschall von Blücher, der keine männlichen Erben und nur Töchter hatte, die Schwiegersöhne wahrhaftig um den Besitz seiner beiden Güter knobeln. Georg Ludwig von Oertzen erspielte sich so Gut Kittendorf und ergänzte den alten Gutshof später um neue Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Aber erst sein Enkel Hans Friedrich, wie Vater und Großvater Kammerherr und damit hoher Beamter am Hof, ließ 1848 bis 1853 den märchenhaften Bau im englischen Tudorstil errichten. Obwohl die Oertzens keine Herzöge waren, durften sie ihr neues Zuhause „Schloss“ nennen – „geadelt“ vom mecklenburgischen Großherzog als Dank für ihre politischen Verdienste.

1945 dann das Ende für die Familie von Oertzen in Kittendorf – der Flucht vor den russischen Truppen folgte die Enteignung. Das Schloss erlebte in den folgenden Jahrzehnten unterschiedlichste Nutzungen, war mal Krankenhaus, mal Schule. 1992 kaufte Johann Trettler, ein Unternehmer aus Berlin, von der Treuhand das verwahrloste Haus und steckte ein Vermögen in dessen Rekonstruktion. Knapp 20 Jahre später bekam Schloss Kittendorf dann noch einmal neue Besitzer: einen großen Freundeskreis, dem der Erhalt des Kulturdenkmals sehr am Herzen lag.

Hotel Schloss Kittendorf
Hotel Schloss Kittendorf © PR

Die ehemalige historische Gutsanlage existiert nicht mehr, nur noch der Schlossbau erinnert an Vergangenes und beweist sich heute als romantische Hoteladresse. Die Schlossherren auf Zeit bewohnen 25 Zimmer und Suiten, jeweils individuell in Größe und Schnitt. Eingerichtet sind sie in einer geschmackvollen Mischung aus Modernem wie Antikem. Doch trotz allen Komforts kommen die Gästequartiere eher schlicht daher, verglichen mit der Pracht der „offiziellen“ Räume, die zum Speisen, Feiern, Tagen dienen. Über hohe Türen verbunden, glänzen da Säle und Salons mit reichem Stuck und knarrendem Parkett, mit funkelnden Kronleuchtern und Spiegeln, alten Gemälden und opulenten Kaminen.

Verwöhnzeit vor dem Kaminfeuer im Vestibül oder in der Orangerie

Im Restaurant mit seinem intimen Separée finden sich die Gäste ab 18 Uhr zum Abendessen ein, wo ihnen neben dem täglich wechselnden Dreigangmenü eine kleine Speisekarte mit Fisch, Fleisch und Vegetarischem eine Alternative geboten wird. Gefrühstückt wird im Gartensaal nebenan, dem vielleicht schönsten Raum des Schlosses. In einem Erker steht hier ein weißer Steinway-Flügel mit goldener Ornamentik. „Er stammt aus dem Nachlass der DDR und stand einst im Palast der Republik“, erzählt Hotelleiter Gunnar Biermann. „Wie es heißt, hat Fidel Castro schon darauf gespielt.“ Wie auch anderswo schauen die Fenster des Gartensaals auf die seitlich gelegene Terrasse. Die Mittagssonne wirft hier die Schatten lichter Platanenkronen als feines Netz auf die Fassade, zu deren Füßen ein Wasserlauf den Romantikfaktor erhöht. „Das ist die Peene, die, aufgestaut zu einem Teich, über unser Grundstück weiter Richtung Ostsee fließt“, so Biermann.

Wer die Zeit nicht beim Plausch vor dem Kaminfeuer im Vestibül, bei Kaffee und Kuchen in der Orangerie oder bei Kosmetik, Massage und Sauna im einladenden Wellnessbereich verbringt, den treibt es ins Freie, wo eine Reihe von Wegen den 20 Hektar großen Park erschließt, der einmal 100 Hektar maß und als Mecklenburgs größte Grünanlage galt. Die Gäste überqueren auf Brü-cken die Peene und gelangen so in die hügelige Landschaft dahinter. Oder sie spazieren über die stattliche vierreihige Lindenallee, auf der der Hausherr früher zum Jagen in den Forst ritt.

Geeignete Ziele für erlebnishungrige Ausflügler finden sich einige rund um Kittendorf. So der Ivenacker Tiergarten, keine 20 Kilometer Richtung Norden. Eine kurze Wanderstrecke führt dort vorbei an jahrhundertealten knorrigen Stieleichen, von denen die älteste mit 1000 Jahren stattliche 35 Meter misst. Der Besucher bewegt sich im selben Gatter wie das Damwild, und auch dem freundlichen schwarz-blond-behaarten Turopolje-Schwein, das schmatzend im Schlamm nach Eicheln wühlt, kommt er nahe. Obwohl von Menschenhand berührt, wirkt das Gelände des Tierparks, wo trockener Waldboden auf sumpfige Flächen trifft, ungebändigt. Nichts ist gestylt. Und niemand denkt ans Aufräumen, wenn er einen entwurzelten Baum am Wegesrand entdeckt, hilflos wie ein gefällter Riese, erstickt von Moos, die toten Äste im dunklen Moorwasser hängend. Wissenswertes über die Ivenacker Eichen erfährt man auch rund 20 Kilometer südwestlich von Kittendorf in Waren (Müritz), wo nach einem Bummel durch die hübsche Altstadt ein Besuch im Müritzeum zum Pflichtprogramm gehört. Man muss kein Kind sein, um in dem modernen Naturerlebniszentrum beim Blick in Schränke, Drücken von Knöpfen und Öffnen von Schubladen jede Menge Spaß zu haben. Die Welten des Waldes, der Vögel und der Fische verraten einem da aufs Spannendste ihre Geheimnisse in der eiszeitlich gestalteten Natur der Region.