Der Winter in Masuren, dem Land der 3000 Seen, ist nichts für Weicheier – denn im Nordosten Polens gibt es knackige Kälte bis minus 41 Grad.

Grimmiger Frost, schöner Wind und nur ganz wenig Schnee. Beste Bedingungen herrschen also für einen „Ritt“ über den zugefrorenen See. Pilot Jerzy Nowakowski setzt den Helm auf, dreht seine Eisyacht quer zum Wind, legt sich ins Cockpit und klappt das Visier runter. Nun bläst der Wind ins Segel, und die drei messerscharfen Kufen – zwei an den seitlichen Auslegern und eine am Bug – scharren über das Eis. Nach wenigen Augenblicken hat der Schlitten Fahrt aufgenommen und fliegt förmlich über den Niegocin (Löwentinsee). Eissegeln ist Hochgeschwindigkeitssport und Adrenalin pur.

Tatsächlich ist so eine Eissegelyacht schneller als der Wind. „Das Dreifache der Windgeschwindigkeit, bis zu 140 Kilometer pro Stunde können damit erreicht werden“, sagt Jerzy Nowakowski. Der 57-Jährige ist polnischer Meister der Klasse Monotyp XV, der einzigen zweisitzigen Eisyacht – ein gut 200 Kilogramm schweres Geschoss mit 15 Quadratmetern Segelfläche. Jerzy liebt diesen Sport, mit dem er schon als kleiner Junge begann. Heute noch lernen die Schulkinder in Masuren, dem Land der 3000 Seen, das Segeln zu Wasser und auf dem Eis. Im kontinentalen Klima frieren die Seen jeden Winter zu, und der stetige Wind sorgt für schneefreie Eisflächen.

Wer schon segeln kann, ist in einer Eisyacht im Vorteil

Nowakowski verleiht Eisyachten, überwiegend die handlichen DN-Schlitten, die von den meisten Eisseglern gefahren werden. Zudem bietet er Kurse an. Gerade ist wieder ein Grüppchen auf dem Eis. Wer segeln kann, ist dabei ganz klar im Vorteil. Doch auch wer noch nie Schot und Pinne in der Hand gehabt hat, erlernt die Technik schnell, versichert Jerzy.

Stützpunkt ist seine urige Gaststätte, die Gospoda Pod Czarnym Labedziem (Zum schwarzen Schwan) am Ufer des Löwentinsees in Rydzewo. Traditionelle Hausmannskost wie die Rote-Bete-Suppe Borschtsch oder Piroggen gefüllt mit Buchweizengrütze liefert dem Körper die nötige Energie für die sportliche Herausforderung und gegen die Kälte. Bis das Essen aufgetragen wird, wärmen sich die Gäste am Kaminfeuer in der Mitte des Speiseraums.

Die großen masurischen Seen zwischen Wegorzewo und Ruciane-Nida sind Hotspots für Eissegler. Ansonsten ist diese Region im Nordosten Polens als Winterziel ein weißer Fleck. Dabei herrscht an Schnee durchaus kein Mangel. Goldap, an der Grenze zum Kaliningrader Gebiet, ist das größte Skigebiet Masurens. Allerdings sind die Pisten mit 2000 Metern Länge und fünf Liften keine wirkliche Alternative zu den Alpen. Goldap mit bis zu minus 41 Grad Celsius gilt als der kälteste Punkt Polens. Darum war in Ostpreußen die Region seinerzeit als „deutsches Sibirien“ verschrien.

Jacek Tracz hat es noch nicht erlebt, dass Anfang Februar nicht genug Schnee lag, um den Sasinów-Lauf ausrichten zu können. Der Langlauf-Wettbewerb für jedermann findet in diesem Jahr am 7. Februar am Dylewska Góra, der Kernsdorfer Höhe, zum zehnten Mal statt. Jacek ist Meister im nordischen Langlauf und hat in ganz Polen schon viele Medaillen eingeheimst. Dekorativ hängen sie an einem Treppenpfosten in seinem Haus. Zusammen mit seiner Frau Ewa hat er in Westmasuren vor zwölf Jahren die alte Schule von Wysoka Wies, südlich von Ostroda, gekauft und mit viel Liebe zu einer sehr gemütlichen Pension ausgebaut. Schön aufgearbeitete Möbel zieren die fünf Gästezimmer. Das Herz des Hauses ist die große Küche mit einem Kachelofen und dem langen Tisch, den Ewa zum Frühstück deckt – mit frisch gebackenem Brot, selbst gemachten Marmeladen, Honig, Käse, Joghurt, süß-sauer eingelegten Gurken und Paprika. Im Winter spurt Jacek in der bis zu 312 Meter hohen Kernsdorfer Höhe die Langlauf-Loipen und verleiht Skiausrüstung. Zu seiner Kundschaft gehören dann auch die Gäste des nahe gelegenen Vier-Sterne-Wellness-Hotels Dr. Irena Eris.

Bei Sonne wie im Märchen

Temperaturen von minus 20 Grad sind in Masuren in der Winterzeit ganz normal. Da muss man sich eben warm anziehen und möglichst kuschelig logieren, um der Kälte zu trotzen. Schlafen wie die Grafen kann man inzwischen auch in zahlreichen Ordensburgen und Schlössern der ostpreußischen Aristokratie. In manchen Gewölbekellern wurden sogar Schwimmbäder eingebaut – wie in der Ordensburg Ryn, die 140 Gästezimmer bereithält. Manche halten das für verwerflich, die Hotelgäste jedoch genießen das.

Jedes noch nicht gänzlich verfallene Anwesen ist es schließlich wert, einen Nutzen zu finden. Viele Häuser wurden ohnehin nur über die Zeit gerettet, weil Kindergärten, Schulen und Verwaltungen darin untergebracht waren und das Nötigste für deren Erhalt getan werden musste.

Das im Jahr 1704 errichtete Schloss Nakomiady, vormals Eichmedien, kam 1998 zu neuen Besitzern. Joanna und Piotr Ciszek haben in Masuren lange nach einem geeigneten Objekt gesucht, nachdem sie beschlossen hatten, nicht mehr in Warschau der Karriere hinterherzujagen. Er war zuvor Softwareentwickler, sie arbeitete im Marketing, daher sprechen beide sehr gut Englisch. Neun individuell eingerichtete Zimmer vermieten sie nun an Urlauber, die besonders herzlich empfangen werden. Man hört zusammen Musik, redet und isst zusammen – so, wie es eigentlich sonst unter Freunden üblich ist. 60 Tonnen Holzpellets werden im Winter in Nakomiady verheizt, verrät Joanna. So ein Schloss mag man vergleichsweise günstig erwerben, doch die Nebenkosten sind natürlich hoch.

Man muss Glück haben. Bei grauem Himmel kann Masuren trostlos sein. Wenn die beißende Kälte nach oben kriecht und Tränen in die Augen treibt, kann man sich vorstellen, wie sich die Menschen im Eiswinter 1945 gefühlt haben müssen, als sie mit Sack und Pack auf der Flucht waren. Ist der Himmel aber blau, erscheint Masuren mit den schneebepuderten Alleen und den Eisblumen in den Fenstern alter Schuppen wie aus einem Märchen.

So ein traumhaftes Wetter erwartete die Besucher in Galiny. Die Sonne funkelte auf dem Dach des Herrenhauses. Pferdeschlitten zogen durch die Winterlandschaft, Langläufer ihre Spuren, Schlittschuhläufer ihre Kreise auf dem zugefrorenen See. Väterchen Frost hat viele Gesichter.