Abendblatt-Redakteur Edgar S. Hasse begleitet die Reise der Hanseatic als Kreuzfahrtseelsorger im Auftrag der Nordkirche und berichtet regelmäßig über die Weihnachtsreise. Heute: Die Walfängerkirche in Grytviken.

Grytviken. Das Christkind wohnt auch in der Antarktis: Mit spitzem Turm ragt die alte Walfängerkirche in Grytviken (Südgeorgien) in den polaren Sommerhimmel. Das 1913 erbaute Gotteshaus ist in diesen Adventstagen mit Tannengrün, Christbaumkugeln und einem Weihnachtsbaum geschmückt. An Heilig Abend findet hier sogar eine Christmette statt, an der die zehn Inselbewohner teilnehmen werden – vorausgesetzt, es ankert gerade ein Kreuzfahrtschiff in der King-Edward-Bucht und bietet das erhoffte musikalische Programm an.

Gut 2000 Kilometer östlich von Argentinien befindet sich mit der Walfängerkirche der für lange Zeit südlichste Sakralbau der Welt. Doch weil die Antarktisforschung weiter Fahrt aufgenommen hat, gibt es jetzt auch kleine Kirchen auf dem eisigen antarktischen Festland. Sie dienen den Forschern in diesen Weihnachtstagen als Orte des Gebets und der Besinnung. Dazu zählen die Kapelle für den Heiligen Franz von Assisi in der argentinischen Esperanza-Station auf dem nördlichen Teil der Antarktischen Halbinsel genauso wie russisch-orthodoxe Dreifaltigkeitskirche auf King Georg Island im Zentrum der Südshetlandinseln.

Wer die alte Walfängerkirche von Grytviken auf Südgeorgien besuchen will, muss beim Kirchgang aufpassen. Überall am Wegesrand und am Strand liegen nur scheinbar dösende Seebären. Die männlichen Exemplare verteidigen aufmerksam und wehrhaft grunzend ihren Harem und zeigen gern ihre Zähne.

Die Passagiere des Kreuzfahrtschiffes MS Hanseatic der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten erlebten jetzt in der Adventszeit in dieser Kirche ein besinnliches Konzert. Kreuzfahrdirektorin Ulrike Schleifenbaum gab Einblicke in die Geschichte des Sakralbaues. Nachdem der norwegische Kapitän Carl Anton Larsen die Walfangstation Grytviken im Jahr 1904 gegründet hatte, ließ er 1913 aus Norwegen diese bereits gebaute Holzkirche importierten. Die Walfänger – während der Sommersaison waren hier Hunderte von Männern beschäftigt – sollten nach ihrem blutigen Arbeitsalltag ein bisschen zur Ruhe kommen. „Während des Falklandkrieges diente diese Kirche sogar als Unterkunft für Flüchtlinge“, sagt Ulrike Schleifenbaum.

Seit Weihnachten 2013 befindet sich Whalers Church nicht mehr im Besitz der norwegischen Familie Larsen, sondern der zu England gehörenden Regierung Südgeorgien – ein Geschenk der Nachfahren des berühmten Stationsgründers. „Für und im Namen meiner Familie wurde beschlossen, dass alle Rechte und Pflichten, die auf Seiten der Familie Larsen liegen, bedingungslos an die Regierung Südgeorgiens und der Südsandwichsinseln gehen werden“, heißt es in einem Brief der Familie.

Wie Heinz Ahammer, langjähriger Logistik-Koordinator beim Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut und Lektor auf der Weihnachtsreise der Hanseatic sagt, bahnte Kapitän Carl Anton Larsen dem industrialisierten Walfang den Weg. Er sei ein erfolgreicher Unternehmer und Kapitalist gewesen, der zugleich Herz für seine Mitarbeiter zeigte. So ließ Larsen in Grytviken neben der Kirche ein Kino, eine Skischanze und einen Fußballplatz bauen.

Gut zehn britische Staatsbürger leben heutzutage in Grytviken. Dazu zählen Mitarbeiterinnen des Verkaufsshops und der Einwanderungs-Beamte. Er kommt an Bord der Kreuzfahrtschiffe, erledigt die notwendigen Formalitäten und achtet darauf, dass keine Pflanzenteile und –samen an den Klettverschlüssen der Polarkleidung eingeschleppt werden.

Die 1965 stillgelegte Walfangstation ist heute ein Industriedenkmal. Überall künden Harpunen, Tanks, Pumpen und Maschinenhäuser vom industrialisierten Walfang im vergangenen Jahrhundert. Bis zur Schließung der Station sollen hier pro Saison Zehntausende von Walen erlegt worden sein.

Zu den Ritualen des Grytviken-Aufenthaltes zählt auch ein Besuch auf dem Friedhof, der jetzt von friedlich dösenden See-Elefantenbullen belagert wird. Am Grab des Polarforschers Sir Ernest Shackleton (1874-1922) gedachten die Reisenden der MS Hanseatic jenes mutigen Expeditionsleiters, der sich selbstlos für seine Leute einsetzte. Hanseatic-Kapitän Carsten Gerke hielt eine bewegende Rede – ein Plädoyer für das Leben am anderen Ende der Welt.

Abendblatt-Redakteur Edgar S. Hasse begleitet die Reise der Hanseatic als Kreuzfahrtseelsorger im Auftrag der Nordkirche und wird regelmäßig über die Weihnachtsreise berichten.