Queen Victoria liebte die Highlands. Heute ist ihr damaliges Quartier Inverlochy Castle eines der feudalsten Hotels der Region

Auf allen Hügeln liegt Nebel, es regnet unaufhörlich“, notierte Königin Victoria in ihrem Tagebuch, als sie am Morgen des 10. September 1873 auf Inverlochy Castle erwachte. Schon bei ihrer Ankunft am Vorabend hatte das Wetter zu wünschen übrig gelassen. „Es begann wieder heftig zu regnen. Es wurde dunkel, und wir konnten die Berge gerade noch erkennen“, beschreibt sie den Moment, da sie mit ihrer Entourage aus Tochter Beatrice, einer Hofdame, Privatsekretär General Henry Ponsonby, Leibarzt Dr. Fox sowie neun Dienstboten, darunter ihr Lieblingsdiener John Brown, die Vorfahrt erreichte. Doch schon immer sind die Menschen eher trotz als wegen des Wetters nach Schottlands gereist, auch wenn die Einheimischen mit ganzjährig lodernden Kaminfeuern und der generellen Verfügbarkeit von Single Malt Whisky wirkungsvolle Strategien im Umgang mit dem Klima entwickelt haben.

Victoria, die die Gegend bereits 26 Jahre zuvor in Begleitung ihres Gatten Albert besucht hatte, war weit davon entfernt, ihre Begeisterung durch das Wetter trüben zu lassen. Zum einen schaffte die Sonne es gelegentlich doch durch die Wolken, sodass sie Zeichnungen anfertigen und nach dem Lunch und dem Klavierspiel mit ihrer Tochter ausfahren konnte. Zum anderen war die Aussicht vom Haus auch bei verhangenem Himmel „wunderschön, besonders von meinem Wohnzimmer aus, das auf den Ben Nevis weist und außerdem eine entzückende Aussicht auf Fort Williams bietet“, schreibt sie.

Seit 1969 ist das Schloss ein Hotel mit viktorianischer Atmosphäre

Der Ben Nevis, mit 1344 Metern der höchste Gipfel der britischen Inseln, ist noch immer von Victorias Drawing Room aus zu sehen – zumindest, solange sich kein Nebel über die West Highlands senkt. Mit goldenen Rokoko-Spiegeln, einem funkelnden Kronleuchter und einer Farbpalette aus freundlichen Gelbtönen und der Aussicht auf den Garten, das Loch, Moorlandschaft und Berge zur einen, auf Ben Nevis zur anderen Seite hat der Raum noch immer das Flair eines schottischen Adelssitzes.

Hier sinken heute die Hotelgäste in tiefe Sessel, um einen Cocktail zu nehmen, bevor sie aus fünf Gerichten pro Gang ihr Menü zusammenstellen und in einen der drei Dining Rooms hinübergehen. Nun demonstriert der mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Küchenchef Philip Carnegie, wie sich schottische Klassiker in Geschmackserlebnisse verwandeln, an die man lange zurückdenkt. In der Großen Halle, wo ein offenes Feuer im Kamin flackert und dralle Putten von der Decke lächeln, hat eine Harfenspielerin Platz genommen. Sie schafft eine Geräuschkulisse, die das Klirren des französischen Tafelsilbers diskret überdeckt. Seit 1969 ist das Schloss ein Hotel; 1996 kaufte es ein malaysischer Geschäftsmann und steckte noch mal eine Menge Geld hinein. Mit nur 17 Zimmern hat es die Atmosphäre eines viktorianischen Familiensitzes bewahrt. Die Zugeständnisse an das 21. Jahrhundert sind fast unmerklich in die mit Antiquitäten und viktorianischen Tapeten gestalteten Zimmer gefügt; Flachbildfernseher sehen aus wie gerahmte Spiegel, Laptops sind in zierlichen antiken Schreibtischen versenkt.

Einzig die kulinarischen Höhenflüge heutiger Gäste dürften Königin Victoria bei ihrem Besuch versagt geblieben sein. Gut hatte sie es trotzdem in dem erst 1863 errichteten Neubau. Die Gastgeber Lord und Lady Abinger hatten den Anstand, ihre Monarchin nicht mit ihrer Anwesenheit zu behelligen – Begrüßung und Verabschiedung ausgenommen. Zum Dank für die erwiesene Gastfreundschaft erhielten sie ein kostbares Armband für Lady Abinger sowie signierte Ausgaben ihres schottischen Tagebuchs, das unter dem Titel „Leaves from the Journal of our Life in the Highlands“ entstanden war. Schließlich gehört es seit jeher zu den vornehmsten Pflichten des Adels, den Souverän bei seinen Reisen durchs Land im eigenen Heim aufzunehmen – ein Brauch, der manchen Aristokraten an den Rand des Ruins trieb.

Der 1344 Meter hohe Ben Nevis zieht jedes Jahr 100.000 Besucher an

Die Erinnerung an Victorias Besuch ist bis heute gegenwärtig; nicht nur auf Inverlochy Castle, wo ihr Schlafzimmer als „Queen Victoria Suite“ königliche Träume garantieren soll. Ein Foto zeigt die 54-jährige Monarchin zu Pferd im Park, die Zügel hält ein Schotte im Kilt: John Brown. Im West Highland Museum in Fort William ist ein kleiner Raum der Königin, ihrem Zeitalter und ihrem Lieblingsdiener gewidmet. John Brown (1826–1883) war in den Ställen Balmorals tätig, als Victoria und Albert 1847 das Schloss erwarben, und wechselte, als wäre er Teil des Inventars, mit dem Kauf in den Dienst der Königin. Die Natur der Beziehung zwischen der Monarchin und diesem Bediensteten war bald Gegenstand vernehmlichen Getuschels. So widmete sie ihm das Reisetagebuch, das von ihrem Besuch auf Inverlochy Castle berichtet. Zwar bewies Victoria durch Jahrzehnte öffentlich gelebter Trauer um den 1861 verstorbenen Gatten Albert die Dauerhaftigkeit ihrer ehelichen Verbundenheit. Doch ihrer Familie blieb der Schotte, der offiziell als Victorias persönlicher Diener und Leibwächter fungierte, suspekt. Ihre Kinder vermuteten, seine Herkunft habe keinen unwesentlichen Anteil an der königlichen Leidenschaft für Schottland. Immer wieder baten sie Victoria, ihn zu entlassen, doch die Monarchin wollte davon nichts wissen. Nach ihrem Tod im Jahr 1901 ließ ihr Sohn Bertie, nun König Edward VII., Browns Statue in Balmoral abreißen.

Erst die Liebesgeschichte Victorias und später aller Viktorianer mit den Highlands sorgte für einen touristischen Boom. Stilecht in Tweed-Anzüge gekleidet erklommen die Besucher den höchsten schottischen Berg und gingen auf die Jagd. Landbesitzer ließen sie gegen Gebühr auf Rotwild schießen, das sie eigens für diesen Zweck ausgesetzt hatten. Als Robert Louis Stevenson seinen auf einer wahren Begebenheit beruhenden, in der Gegend spielenden Roman „Entführt oder Die Abenteuer des David Balfour“ veröffentlichte, gab es kein Halten mehr: So spannend wie das Buch musste auch eine Reise in die Highlands sein.

Im Mittelpunkt stand stets der Ben, wie ihn Einheimische den Berg liebevoll nennen. Als der Botaniker James Robertson 1771 den Ben Nevis hinaufstapfte, um für das College Museum of Edinburgh Pflanzen zu sammeln, ging diese Tour als erster aufgezeichneter Aufstieg in die Geschichte ein. Der Dichter John Keats stieg im August 1818 hinauf und blickte in dichten Dunst: „Upon the top of Nevis blind in Mist!“ rief er in der schriftlichen Verarbeitung seiner Enttäuschung aus. Clement Wragge bestieg den Gipfel an jedem Sommertag der Jahr 1881 und 1882, um Wetterdaten zu sammeln. Sein Beispiel inspirierte die Schottische Meteorologische Gesellschaft und die Königlichen Gesellschaften Londons und Edinburghs zum Bau einer Wetterstation. Bis zur Schließung 1904 sammelten drei Männer hier jede Stunde die Wetterdaten – bei Sturm, Schnee und eisiger Kälte. An klaren Tagen genossen sie eine Aussicht bis zur Isle of Skye.

Die Jahrhundertwende brachte bessere Straßen, mehr Freizeit und einen Besucher-Boom. Als Henry Alexander aus Edinburgh im Mai 1911 seinen Ford Model T den Berg hinauflenkte und auch den Rückweg auf intakten Reifen schaffte, bewies er weniger viktorianischen Entdeckerwillen – Victoria war 1901 gestorben – als beträchtliche Belastbarkeit seines Fahrzeugs. Heute erklimmen jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen den Ben Nevis.

Auch sonst hat sich seit den Tagen Victorias in den Highlands einiges geändert. Aber nicht so viel wie anderswo. Gerade im Winter lockt die eher schroffe Landschaft, zumal wenn die Gäste nach einem in der Natur verbrachten Tag in ein feudales Hotel mit gemütlich knisterndem Kaminfeuer zurückkehren können. Für Gäste, die über Weihnachten und Silvester buchen, bietet Inverlochy Castle spezielle Arrangements – vom Begrüßungschampagner bis zum Dinner in hochherrschaftlichem Ambiente. Die Rede der Queen – heute Elizabeth – am Nachmittag des ersten Weihnachtstages wird natürlich direkt übertragen.