Auf der Baleareninsel reaktivieren junge Leute alte Handwerksgewerbe – und produzieren von edlen Weinen über Naturseifen bis zu Olivenölen

Unter den Platanen von Sóller spielen Kinder, Menschen drängen sich an Marktständen. Es ist ein sonnenreicher Sonnabend in der mallorquinischen Kleinstadt im Nordwesten der Insel hinter den Tramuntana-Bergen, und wie immer ist Anabel Ferrer mit ihrem Auto voller Körbe und Kisten, einem Tisch und einer rosa-rot gestreiften Markise angereist.

Wie eine Mademoiselle aus Paris steht sie da, an ihrem Marktstand mit herzförmigen Seifen und weißen Tüllsäckchen mit Waschpompons – und wäre es nicht ihr reizender Anblick, so würde allein der Duft von Thymian, Zitronengras, Mandarine und Pfefferminze Besucher geradezu magisch anziehen. Die 35-jährige Anabel Ferrer gehört zu einer neuen, gut ausgebildeten Generation von Mallorquinern, die sich aufgemacht haben, erfolgreich die Geschäfte ihrer Vorfahren weiterzuentwickeln, Traditionen wieder zu beleben, einheimisches Handwerk neu aufzumischen. Sie wissen um den Wert der Inselhistorie, sowohl kommerziell als auch kulturell, und sie sind europäisch denkende Regionalisten. Auch Anabel Ferrer, die versichert, dass ihre wohlig in der Hand liegenden Seifen auf jahrhundertealte Rezepturen zurückgehen.

Zum Weingut Biniagual gehört sogar ein Dorf, in dem auch die Mitarbeiter leben

Die Zutaten stammen aus ihrem Kräutergarten in ihrer Heimatstadt Pollença im Norden Mallorcas: Geranie, Zitronengras, Lavendel. Das Olivenöl, auf dem die Seifen basieren, kommt aus Sóller, für seine besonders hohe Olivenqualität bekannt. Seife zu machen „ist eine alte bäuerliche Tradition“, sagt Ferrer: „Fette, Wasser und Asche oder Natronlauge köcheln, und dann langsam das erwärmte Olivenöl zufüllen, bis eine Art Pudding entsteht.“ 40 Tage braucht ihre Seife, in Förmchen gegeben, zum Trocknen. Alles ist 100 Prozent Natur. Rund 200 Seifen produziert sie pro Woche, verkauft sie für knapp vier Euro das Stück auf den Märkten Mallorcas und über Facebook.

Kann man von der häuslichen Beauty-Produktion leben? „Fast“, sagt Anabel Ferrer lachend. Ihre Kunden schätzen auch die klaren, mehrsprachigen Etiketten auf den Seifen. Salbei-Mandarine wirkt demnach tiefenreinigend, Geranie ausgleichend und der Bestseller Zitronengras revitalisierend.

Eine Tradition, die bis ins 18. Jahrhundert reicht, hat die Bodega Biniagual. Zwei Generationen hat es gedauert, die Familienkellerei – heute unter deutscher Leitung – wieder zu etablieren. Noch dazu beherbergt das vielleicht hochwertigste unter Mallorcas mehr als einem Dutzend tollen Weingütern mehr als nur Weinanbau: Ein ganzes, mittelalterlich anmutendes Dorf gehört dazu, mit 20 Bewohnern der Besitzerfamilie und Bodega-Mitarbeitern.

Namensgleich mit dem Gut ist das toprestaurierte Dorf, mitsamt Kopfsteinpflaster und Kirchlein, Ur-Bodega von 1734, Dorfbrunnen und Palais ein Geheimnis mitten im Herzen der Insel, fünf Kilometer südlich von Mallorcas Weinhauptstadt Binissalem. „Wir hegen und pflegen unsere Reben das ganze Jahr“, sagt Charlotte Miller senior, knapp 70, „jede wird mindestens siebenmal im Jahr beschnitten und angefasst.“ Die ehemalige Ärztin aus dem Bayerischen kümmert sich um die Rebstöcke sorgsam wie um Patienten, führt seit dem Tod ihres Mannes mit ihrer Tochter das Weingut weiter und hat dessen sechs hochwertige Weine, allen voran den preisgekrönten Gran Verán (ab gut 30 Euro die Flasche), weltweit zu einem Topseller gemacht. Schweizer schwören auf den satten Roten mit Balsamico-Note, Japaner auf den zarten Weißwein Blanc Verán aus Premsal- und Chardonnay-Trauben. Schon die Mauren bauten im 13. Jahrhundert Wein auf Mallorca an, doch Anfang des 20. Jahrhunderts fraß die Reblaus die Felder kahl. Erst in den vergangenen zehn Jahren ist das Wein-Business auch durch Winzer wie die Millers wieder zu voller Blüte herangereift. Rund 140.000 Flaschen im Jahr werden in der Bodega abgefüllt. „Die gesamte Ernte machen wir per Hand“, betont Charlotte junior, 39 Jahre alt: „Die Winzer hier nehmen sich alle Zeit der Welt.“

Erst seit Kurzem werden auf Mallorca auch Craft-Biere gebraut. Damit ist ein Trend auf die Balearen geschwappt, der zuvor Chicago und Kopenhagen, Berlin und Tel Aviv gleichermaßen erfasst hat. Mit den fantasievoll kreierten Bieren nehmen junge Individualisten die etablierte Biergilde aufs Korn. Im Juli gab es die erste Weltmesse der Alternativ-Brauer, das Global Craft Beer Festival in Berlin. Bis dahin haben es Guillem Coll und Marie Isabel Rotger zwar noch nicht geschafft, aber mächtig stolz auf ihre Weizenmühle, die Zentrifuge und vier brandneue, zimmerhohe Aluminium-Bierkessel sind die Quereinsteiger auf jeden Fall.

Die Kessel stehen in einem Ladenlokal in Sóller, und weil nicht nur sie selbst von dort stammen, sondern auch sämtliche Geschmacksstoffe ihres zu 100 Prozent naturreinen, stark hopfigen Biers, gaben Coll und Rotger ihm den Namen Sullerica – „eins aus Sóller“. Das Kreativbier schmeckt dezent nach Orangenblüten, die im Tal von Sóller besonders üppig gedeihen. Oder nach Oliven. Oder nach Rosmarin. Vier Sorten kreiert das Ehepaar, mal mit vier, mal mit sieben Prozent Alkoholgehalt, und bastelt gar an einer Sorte mit dem Geschmack von Sobrasada, der mallorquinischen Paprikawurst. Den Hopfen importieren sie aus Nordamerika, das Malz aus England und den Weizen aus Heidelberg. Warum wird man Bierbrauer, noch dazu im Land des Vino? „Mein Mann liebt Bier und hat ewig in der Küche experimentiert“, sagt Marie Isabel. Er war Informatiker, sie Bankangestellte. Sie investierten 100.000 Euro, und seit Anfang des Jahres sind beide hauptberuflich Kreativbrauer, die 1300 Flaschen pro Woche abfüllen. Zu den Abnehmern gehören Privatkunden, Kneipen und Restaurants; Preis ab Laden für die 33-cl-Flasche: zwei Euro.

Ihren Standort in der Altstadtgasse von Sóller haben die Trendbrauer ganz bewusst ausgesucht: „Hier kommt das sauberste und unverkalkteste Wasser Mallorcas aus der Leitung“, sagt Guillem – für einen Bierbrauer ist das schon die halbe Miete.

Berühmt für die Insel sind Stoffe, die nach ihrer gezackten Musterung Flammen- oder Zungenstoffe genannt werden. Auf Mallorquinisch heißen sie Robas de Llengües und sind über die Landesgrenzen hinweg so bekannt, dass ihnen im Völkerkundemuseum von Stockholm eine ständige Ausstellung gewidmet ist. Auf dem Dachboden von Tomeu Fuster Capllonch hängen an Wäscheleinen Hunderte von gewundenen, frisch gefärbten Baumwollsträngen in Schattierungen von Rosa über Blau bis Violett. Diese Farbenpracht weben Tomeu Fuster Capllonch und seine Belegschaft in fünfter Generation per Hand auf Webstühlen zu Stoffen aus Baumwoll-Leinen-Gemisch. Tomeu Fuster Capllonch entwickelt die Tradition noch weiter: Mit den Stoffen produziert er Plateaupumps, Tischläufer oder Sitzpolster für die Chill-out-Lounge. Im familieneigenen Laden Teixits Vicens nahe Pollença im Norden der Insel stellt er die Produkte aus. „Alt heißt nicht altmodisch“, sagt Capllonch.

Kultkoch Tim Mälzer kauft Olivenöl auf Mallorca – bei den Solivellas-Brüdern

Bei gutem Olivenöl sind die Spielräume enger. Soll es Virgen Extra sein, also der Qualitätskennzeichnung Natives Olivenöl Extra entsprechen, darf der Säuregehalt nicht über 0,8 Prozent liegen. Und die Solivellas-Brüder Pep und Sebastià können es besser. Ihre Öle bewegen sich unter einem Säuregehalt von 0,2 Prozent. Damit locken die Brüder aus Alcúdia namhafte Kundschaft an. Mallorcas Starkoch Marc Fosh kauft bei ihnen ein, auch der deutsche Kultkoch Tim Mälzer zählt zum Kundenkreis. Immerhin in zweiter Generation produzieren Pep und Sebastià auf dem Familienhof Es Guinyent im Norden Mallorcas jährlich 60.000 Flaschen.

Die Öl-Brüder legen, wie die meisten Jung-Traditionalisten Mallorcas, gerne selbst Hand an. „Wir beobachten täglich den Reifeprozess unserer Oliven“, sagt Pep Solivellas. Sie beschneiden die Kronen der Bäume, um mehr „kühlende Meeresbrise“ durchzulassen; pressen aus neun Kilo Oliven innerhalb weniger Stunden nach der Ernte genau einen Liter Öl, das – auch ein Novum – „ungefiltert“ in die Flasche kommt. „Pikanten Abgang“ nach traditionellem Familienrezept hat ihre Spezialität. Aber weil sie gerne kreativ sind, haben sie auch etwas Neues erfunden: marinierte Oliven, in Curry-Sesam-Paste, Zimt-Anis-Mischung oder Honig.