Wenn im Separee eines Restaurants in China der Ruf „Gan Bei! Gan Bei!“ ertönt, sollten Sie, westliche Langnase, sich ganz warm anziehen. Auch wenn die daraufhin kredenzten Schnapsgläser nur fingerhutgroß sind. Denn der Schnaps namens Maotai, gebrannt aus roter Hirse und Weizen, besitzt zwischen 50 und 60 Umdrehungen und wäre als Anästhetikum für Vollnarkosen geeignet.

Sie sollten sich keinesfalls darauf verlassen, dass Sie im Gegensatz zu ungefähr 55 Prozent aller Asiaten über genügend Mengen der Enzyme Alkoholdehydrogenase (ADH) oder Aldehyd-Dehydrogenase 2 (ALDH) verfügen, was genetisch bedingt ist und dafür sorgt, dass Ihr Körper in der Lage ist, Alkohol zu vertragen – in moderaten Mengen, aber das ist sogar dem Alkokol-intolerantesten Chinesen vollkommen wumpe. Er ruft „Gan Bei! Gan Bei!“, was so viel heißt wie „trockenes Glas“, also: „Ex und hopp!“

Ist der Aufruf zur hochprozentigen Druckbetankung erfolgt, haben Sie nur zwei Möglichkeiten, sich diesem Ritual zu verweigern: Entweder Sie sind eine Frau oder Sie sind als Mann in der Lage, glaubhaft zu versichern, dass Sie Medikamente einnehmen, die sich mit Alkohol nicht vertragen. Die Ausrede empfiehlt sich besonders, wenn Sie auf dem Stuhl Platz genommen haben, der sich gegenüber der Tür des Separees befindet. Dieser Ehrenplatz, der Sie als „wichtigste Person“ der Runde kennzeichnet, eröffnet Ihnen nun die einmalige Chance, an Grenzen zu stoßen, die Sie vermutlich niemals kennenlernen wollten. Denn nun haben Sie die ehrenvolle Aufgabe, nach einem ersten Schnäpschen zum Aufwärmen mit jedem Einzelnen der Anwesenden noch einen ganz persönlichen Maotai zu kippen. Dazu gehen Sie bitte im Uhrzeigersinn um den Tisch herum, rufen „Gan Bei! Gan Bei!“, stoßen an und überwinden sich. Danach werden Sie wissen, dass chinesische Fingerhüte verdammt groß sein können.