Es ist der Traum vieler Städter, einmal Kanada mit dem Wohnmobil zu erkunden. Denn so eine Tour öffnet den Blick auf ganz neue Horizonte

Was für eine Weite! Wer als Kontinentaleuropäer nach Kanada fliegt und dort mit dem Wohnmobil durch das Land fährt, dem wird als Erstes dessen Grenzenlosigkeit auffallen. Das Weideland der Prärie scheint endlos, das Auge findet keinen Halt. Und dann sind da – ganz im Westen – die Rocky Mountains. Auch auf ihre Art grenzenlos. Mächtig ragen die grauen, rauen Felsen in den Himmel. Einige von ihnen erreichen fast eine Höhe von 4000 Metern. Im Norden sind ihre Spitzen oft vergletschert. Das Problem: Wer Kanada erkunden will, benötigt mehr als einen Urlaub und muss sich entscheiden. Kanada ist mit 9,98 Millionen Quadratkilometern das flächenmäßig zweitgrößte Land der Welt und fast so groß wie Europa. Mitteleuropäer neigen leicht dazu, die Distanzen zu unterschätzen. Etwas mehr als 35 Millionen Menschen leben in dem Land. Das sind rund drei Einwohner pro Quadratkilometer. Damit gehört Kanada zu den am dünnsten besiedelten Ländern der Erde.

Wir haben Calgary als Ausgangspunkt für unsere Reise durch den Süden der Provinz Alberta gewählt. Mit dem Wohnmobil wollen wir uns zunächst auf den Weg nach Waterton machen, dorthin, wo Alberta an den US-Bundesstaat Montana grenzt. Von Waterton aus soll die Tour später in die Region um Canmore und Banff – also hinein in die Rockies – führen.

Alberta ist die westlichste der Prärieprovinzen Kanadas und in weiten Teilen von der Prärie geprägt. An der Westgrenze der Provinz dominieren die Ausläufer der Rocky Mountains. Dank seiner Ölvorkommen ist Alberta zudem Kanadas reichste Provinz. „Ein Besucher aus Deutschland sollte sich unbedingt auf die Weite und die großen Distanzen einstellen“, sagt Marionetta Hehn, Sprecherin von Travel Alberta. Sie empfiehlt eine Reisedauer von mindestens zwei Wochen, denn „Alberta ist flächenmäßig fast zweimal so groß wie Deutschland“.

Bevor es jedoch losgeht, gilt es, das möglichst schon in Deutschland gebuchte „Motorhome“ abzuholen. „Grundsätzlich müssen Urlauber, die mit einem Wohnmobil das Land erkunden wollen, mindestens eine Übernachtung in Kanada vorweisen“, sagt Sophie Neubauer, Sprecherin von ADAC Reisen. Das diene angesichts des gut neunstündigen interkontinentalen Fluges – beispielsweise von Frankfurt/Main aus – der Sicherheit der Kunden und hilft natürlich den Hotels in Kanada.

Man könnte so einen Trip von Deutschland aus auch selbst zusammenstückeln, Hotelzimmer, Stellplätze auf den sogenannten Campinggrounds und Mietwagen sind über das Internet zu finden. Für deutsche Reiseveranstalter spricht aber, dass sie im Paket nicht nur bessere Preise – vor allem für Frühbucher –, sondern auch bessere Versicherungen und im Schadensfall mehr Sicherheit bieten können.

Auf dem Weg zur Station des Wohnmobilverleihers fallen einem die großmotorigen Trucks auf, die bei Kanadiern besonders beliebt sind. Spätestens auf dem Hof des Verleihers stellt man fest, dass dies auch für Wohnmobile gilt, und man fragt sich mit einigem Bedenken, wie man so ein Monstrum durch die Lande lenken soll. Es ist daher wichtig, sich schon in Deutschland bei der Planung seiner Reise über einiges klar zu werden. So ähneln zwar die übermotorisierten Fahrzeuge vieler Kanadier denen ihrer US-amerikanischen Nachbarn. Die Benzinpreise an den Tankstellen aber – leider – nicht.

Gut einen Dollar und 40 Cent, also rund einen Euro, kostet uns der Liter Benzin, und unser Ford E350 Super Duty schluckt etwa 25 Liter auf 100 Kilometer. Natürlich nur, wenn wir mit entspannten 80 Stundenkilometern in flacher Landschaft unterwegs sind. Bei der Planung des Benzinverbrauchs liegt daher die Gefahr nahe, sich mächtig zu verkalkulieren. 1000 Kilometer – bei der Abgabe unseres Wohnmobils nach einer Woche zeigte unser Tacho eine von uns gefahrene Distanz von 1500 Kilometern an – kosten rund 350 kanadische Dollar, also in etwa 250 Euro.

Neben der Wahl des richtigen Fahrzeuges ist es wichtig, sich bei dessen Übergabe Zeit zu nehmen. Die Mitarbeiterin unserer Autovermietung erklärte uns mit atemberaubender Geschwindigkeit all die Dinge, die man im Auto beachten muss und die auf dem Campingplatz wichtig werden können: wie der Anschluss an das Stromnetz funktioniert, wo der Wasserschlauch angebracht und der Abwasserschlauch untergebracht wird.

Auf unsere Nachfragen reagierte die Verleihmitarbeiterin irritiert und verwies uns zwar freundlich, aber bestimmt auf das Handbuch. Allerdings ist es besser, sich nicht abwimmeln zu lassen, sondern hartnäckig nachzufragen. Gegebenenfalls ist sogar die eine oder andere Vorführung sinnvoll. In der Wildnis gibt es dazu keine Möglichkeit, wenn der Generator, der Strom liefern könnte, dann nicht anspringt.

Es ist also gut, sich für den Tag, an dem man das Wohnmobil ausleihen will, nicht zu viel vorzunehmen. Das fällt einem schwer, denn man will gern los, das Land erkunden. Aber die Zeit, die man bei der Ausleihe in Nachfragen, kleinere Tests oder auch in eine kleine Runde auf dem Parkplatz der Verleihfirma investiert, könnte später Gold wert sein. Grundsätzlich gilt, nichts am Fahrzeug selbst zu reparieren und stattdessen die rund um die Uhr besetzte Hotline anzurufen – selbst wenn nur der Reifen zu wechseln ist.

Allerdings, auch das erfahren wir rasch, gestaltet sich das Fahren mit dem Camper verhältnismäßig einfach. „Man braucht keine Bedenken zu haben, da die Straßen sehr breit sind in Kanada und die Menschen sehr rücksichtsvoll Auto fahren“, sagt Marionetta Hehn. „Zudem gibt es auf den Campingplätzen immer Leute, die einem sehr gern weiterhelfen.“

Nachdem wir unsere „Wohnung auf sechs Rädern“ übernommen haben, machen wir uns auf den Weg nach Waterton. Der Highway 2 führt mehr oder weniger schnurgerade in Richtung USA. Auch wenn Highways ein rasches Vorankommen ermöglichen, verbreiten sie eher Langeweile. Die Allgegenwärtigkeit der Natur kennzeichnet das Wesen Kanadas. Seine Einwohner pflegen ihr sympathisches Image von den hartgesottenen Draußen-Menschen, die ihren Wohlstand mit mehr oder weniger hartem Kampf den Naturgewalten abtrotzen. Doch Kanada ist ein hochentwickeltes Land. Und da, wo der Mensch unterliegen würde, hat er sich mit mächtiger Technik verbündet.

Aber keine Frage: Die klimatischen Verhältnisse im Westen Kanadas sind nicht ohne. Während es im Sommer richtig heiß werden kann, sorgen im Winter Luftströme arktischen Ursprungs schon mal für Temperaturen bis zu minus 40 Grad. Als beste Reisezeit für einen Camper eignen sich daher die Monate zwischen Mitte Juni und Mitte September. Dann fliegt auch der größte Teil der jährlich rund 70.000 deutschen Urlauber ein, was eine rechtzeitige Buchung sinnvoll macht.

Wir waren in der letzten Septemberwoche dieses Jahres unterwegs – mit deutlich spürbaren Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht. Marionetta Hehn schwärmt vom September als „sehr schöne Reisezeit, weil es schon ruhiger wird und das Wetter noch immer mild ist“. Ein Naturschauspiel bieten zu dieser Jahreszeit vor allem die vielen, auch in Nadelwäldern wie Farbtupfer verbreiteten Lärchen.

Spätestens in Waterton wird deutlich, dass Kanada außerhalb seiner Metropolen ein Land ist, das die Menschen sich mit den Tieren teilen. Allenthalben wird vor Bären, Pumas oder aggressiven Elchen gewarnt. Eine Vielzahl von Hinweisschildern erklärt dem Besucher, dass Lebensmittel entweder im Camper oder in isolierten Boxen gelagert werden müssen. Wer mit dem Zelt unterwegs ist und am Abend gegrillt hat, dem wird geraten, zur Nachtruhe die Kleidung zu wechseln.

Wir nehmen die Hinweise mit einer Mischung aus Unbekümmertheit und Leichtfertigkeit zur Kenntnis. Als wir in Waterton auf einem Hotelparkplatz einem schwarzen Bären begegnen, rutscht uns dennoch für einen Moment das Herz in die Hose. Auch wenn Bären vornehmlich Früchte und andere Pflanzen fressen, gelten Spätsommer und Herbst als eine besondere Zeit. In diesen Wochen legen die Tiere sich für den Winter einen Fettvorrat an.

Alberta ist aber kein gefährliches Reiseziel. Man sollte nur nicht auf wild lebende Tiere zugehen und darf sie auf keinen Fall füttern. Kanadier raten, stets einen Sicherheitsabstand von 100 Metern einzuhalten, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Unser Bär macht sich glücklicherweise lediglich an ein paar Mülltonnen zu schaffen und trollt sich anschließend. Der Eindruck, den die Begegnung hinterlässt, ist jedoch nachhaltig. Vor allem, weil Kanada mit seiner urwüchsigen Natur ein Top-Ziel für Wanderfreunde ist. Doch die beeindruckenden Momente auf einer Wanderung über einsam gelegene Wege sind es wert. Gerade im Herbst beeindrucken die kanadischen Wälder mit einzigartigen Gerüchen, einer geradezu atemberaubenden Stille und einem Übermaß an Farben.

Es sind die Momente der Ruhe, die in uns eine tief verwurzelte Verbundenheit mit der wilden wie romantischen Natur freilegen. Innehalten, die Farbenpracht der Bäume und das Bergpanorama auf sich wirken lassen – in diesen Augenblicken sind Europa und dessen hektisches Leben weit, weit weg. Man glaubt, dass die Weite einen positiven Einfluss auf den Charakter der Menschen hier hat.

Für unseren Weg von Waterton nach Canmore und Banff planen wir deutlich mehr Zeit ein, achten etwas genauer auf die Benzinanzeige – auf Nebenstrecken ist die Zahl der Tankstellen überschaubar – und nehmen die alten Landstraßen durch die Rocky Mountains. Breit ausladende Täler mit türkis schimmernden Seen, die aussehen, als seien sie mit Photoshop bearbeitet worden, laden zum Anhalten und Fotografieren ein. Von den Füßen gewaltiger Felsungetüme kriechen Nadelwälder in Richtung Bergspitze. Immer wieder stechen inmitten grüner Nadelwälder gelb-bunte Tupfer vereinzelter Laubbäume ins Auge.

Vor allem der Kananaskis-Trail bis nach Canmore sowie der durch zwei Nationalparks führende Icefields-Parkway nach Jasper sind beeindruckend und vermitteln dem Besucher das Gefühl, wirklich in Kanada zu sein. Je weiter nördlich man kommt, desto häufiger werden die Eisgletscher, deren Zungen hier und da noch weit ins Tal reichen. Banff und Canmore sind typische Touristenstädte, wie man sie aus den europäischen Alpen kennt. Touristen, die mit dem Camper unterwegs sind und die unberührte Natur Kanadas suchen, werden diesen Orten wohl eher nur eine Stippvisite abstatten.

Dazu gibt es in den Rocky Mountains viel zu viele schön gelegene Campgrounds. Dort erlebt man sie kostenlos, die unbeschreiblichen Momente, in denen man bei sternenklarer Nacht vor dem Camper sitzt, alles um einen herum im tiefster Dunkelheit und Stille versinkt und man endlich jenes Gefühl verspürt, das der Grund für die Reise nach Kanada ist: Freiheit.