Kleiner Abstecher von Andalusien nach Marokko – mit der Fähre ab Tarifa in den Norden Afrikas. Die Autofähre, ein Katamaran, hat modernsten Standard. Diese Tour durch die Stadt macht Lust auf mehr.

Die Verlockung liegt nur etwa 14 Kilometer entfernt – auf der anderen Seite der Straße von Gibraltar. Dort ist Afrika. Vielmehr Marokko, der Eingang zum afrikanischen Kontinent. Täglich legen mehrere Fähren von Tarifa nach Tanger ab – 45 Minuten soll die Überfahrt dauern, schreibt die Fährgesellschaft FRS. Der Gedanke, einfach mal Pause zu machen von Stränden und weißen Dörfern in Andalusien, liegt nah.

In einem Büro an der Straße zum Fährhafen in Tarifa nimmt der Mitarbeiter unsere Daten auf, wir füllen Ein- und Ausreiseformulare für die marokkanische Grenzpolizei aus, um später Formalitäten abzukürzen. Eigentlich verlangen die Marokkaner einen Reisepass, doch ist man in der Gruppe unterwegs, tut es auch der Personalausweis.

Die Autofähre, ein Katamaran, hat modernsten Standard. Und wankt trotzdem nach links und rechts, hoch und nieder. Vorsichtshalber verteilen die Mitarbeiter blaue Spucktüten. Doch mir macht nicht einmal ein Hauch von Übelkeit zu schaffen – dank wunderbarer Tabletten gegen Reisekrankheit. Und nach gut 40 Minuten ist schon Tanger in Sicht. Am Fährhafen, dem Gare Maritime, trennen sich die Reisenden. Wir als Gruppe können direkt durchgehen – die FRS-Reiseleiterin erledigt alle Formalitäten. Abgesehen von ein paar arabischen Schriftzeichen merkt man hier noch nicht, dass man nicht mehr in Europa ist.

Es fühlt sich ein bisschen an wie Klassenfahrt. Wir Touristen werden in Gruppen eingeteilt: Deutsch-, Englisch- und Spanischsprachige kommen in einen Bus, Franzosen und Italiener in den anderen. Das Glück ist auf unserer Seite: Rachid wird uns durch den Tag begleiten. „Ah, Weltmeister“, begrüßt er uns, als er uns als Deutsche identifiziert hat, und lacht. Der Sieg bei der Fußball-WM liegt ja noch nicht lange zurück. Rachid ist um die 40 und leitet diese Touren regelmäßig. Er spricht hervorragend Deutsch, Englisch, Spanisch, aber auch Italienisch, Französisch, Tamazight und Arabisch. „Ich habe ein halbes Jahr eine Sprachenschule besucht“, sagt er zur Erklärung.

Mit dem Bus geht es durch den modernen Teil von Tanger (die Marokkaner sagen „Tanscha“) mit etwa einer Million Einwohnern. Hier sehen die Gebäude nicht viel anders aus als in Spanien, aber die Menschen auf den Straßen tragen vorwiegend Dschellabas, die langen traditionellen Gewänder, und die meisten Schilder sind arabisch. „Es gibt mehr als 150 Moscheen, aber auch fünf Synagogen und zwölf katholische Kirchen“, sagt Rachid, als wir erst durch das französische Viertel fahren, danach durch das belgische, das niederländische und das spanische. In Tanger waren im vergangenen Jahrhundert vielfältige politische Mächte am Werk, erklärt uns unser Guide. Arabisch sei jetzt die Amtssprache, „aber hier wird marokkanischer Dialekt gesprochen mit spanischem Einfluss“. Mehr als 4000 Wörter aus dem Arabischen hätten Eingang in die spanische Sprache gefunden.

Busfahrer Mohammed fährt vorbei an Villen mit Gärten, in denen es keinen Wassermangel zu geben scheint. Wir erhaschen einen Blick auf die Sommerresidenz des Königs von Marokko, Mohammeds VI., vielmehr auf die Zufahrt zu seinem Palast, und auch der König von Saudi-Arabien hat hier in der Nähe einen Sommersitz. Kein Wunder, das Klima ist erträglicher als in seiner Heimat. „Im Sommer sind es im Schnitt 24 Grad, nur im August haben wir auch mal 35 Grad“, sagt Rachid, im Winter lägen die Temperaturen bei durchschnittlich zwölf Grad.

Nicht alle wohnen derart privilegiert. Der Staat unterstütze den Bau von Sozialwohnungen, sagt unser Reiseführer. Etwa sechs Kilometer vor den Toren der Stadt seien in den vergangenen Jahren etwa 25.000 Sozialwohnungen gebaut worden. „Man muss 5000 Euro anzahlen, der Rest kann mit der Zeit abbezahlt werden“, sagt Rachid, der mit Frau und Kind in einer dieser 60 Quadratmeter großen Wohnungen lebt.

Oben am Kap Spartel mit dem Leuchtturm von 1864 blicken wir etwa 300 Meter in die Tiefe – auf den Eingang der Straße von Gibraltar. Es ist der nordwestlichste Punkt Afrikas. Hier warten etliche Händler, die kleine Stände aufgebaut haben und Dolche, Armbänder mit Fatimas Hand und Fez, die typischen roten Kopfbedeckungen, anbieten. Wir kaufen nichts, wer weiß, was noch alles kommt.

Die berühmte Herkulesgrotte, die auf dem Tourplan stand, ist wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen. Dafür steuert Mohammed einen staubigen Platz an, an dem Dromedare, vielmehr ihre Besitzer darauf warten, dass jemand zum Reiten kommt. Die Tiere sind Hitze und Lasten gewöhnt. „Sie können 14 Tage ohne Wasser leben, dann trinken sie bis zu 140 Liter auf einmal. Und sie können Lasten bis 250 Kilo tragen“, sagt Rachid. Und so zahlen die meisten von uns zwei Euro, um eine Runde auf dem Dromedarrücken zurückzulegen. Man fühlt sich in die Kindheit zurückversetzt. Es ist wie Ponyreiten, nur höher. Und exotischer. Zumal das Auf- und Absitzen deutlich anspruchsvoller ist. Frauen gegen Kamele einzutauschen sei übrigens verboten, scherzt Rachid, ebenso wie die Polygamie, die der König 2004 abgeschafft habe. Auch der habe nur eine Frau.

Mit dem Bus geht es wieder vorbei an den Villen ins Herz von Tanger – Richtung Altstadt. Bevor wir in die Kasbah, die ehemalige Festung, eintauchen, besichtigen wir die Steingräber der Nekropole, einer ehemaligen Begräbnisstätte, die die Phönizier hier angelegt haben sollen. Die Gräber wurden aus dem Felsen gehauen. Nun liegen sie offen da, in manchen wächst Gras. Eine Sehenswürdigkeit, aber ein wenig lieblos präsentiert. Dafür öffnet sich ein fantastischer Blick zum Meer – und zu einer mächtigen Baustelle. In Tanger entsteht gerade ein neues Kreuzfahrtterminal. „Für all die Aida-Schiffe, die hierherkommen“, erklärt Rachid.

Dann geht es zu Fuß weiter zum ehemaligen Sultanspalast aus dem 18. Jahrhundert, der in der Kasbah liegt. Der Sultan habe eine Art Versailles bauen wollen, sagt Rachid. „150.000 Sklaven haben daran gearbeitet.“ So groß ist das weiße Anwesen mit dem säulenverzierten Innenhof, das heute ein Museum beherbergt, dann doch nicht geworden. Den Raum, den der Sultan seiner Lieblingsfrau (sie hatte ihm seinen ersten Sohn geboren), zugedacht hatte, kann man besichtigen. Er ist größtenteils gekachelt und wirkt kühl. Möbel gibt es darin keine mehr. Vielleicht haben sich die Frauen des Sultans ohnehin lieber im üppigen Garten mit den exotischen Pflanzen aufgehalten, der Besuchern ebenfalls offen steht.

Danach führt Rachid uns weiter in die Medina, die Altstadt von Tanger. Eng sind die Gassen, manche in strahlendem Kobaltblau oder Ziegelrot getüncht. Wie mühsam es hier ist, ein Haus zu sanieren, merken wir, als uns ein Arbeiter entgegenkommt, der etwa ein Dutzend Ziegelsteine mit einem Seil zusammengeschnürt hat, um sie auf dem Rücken zu einer Baustelle zu schleppen. In den unwegsamen Gassen, in denen es immer wieder Stufen gibt, kann man nicht einmal einen Handkarren benutzen. In vielen Eingängen verstecken sich winzige Läden. Manche verkaufen Stickseide, andere Backwaren, dazwischen gibt es Nähstuben, in denen Männer auf dem Boden sitzen und per Hand nähen. Straßenschilder sind Mangelware, aber Rachid kennt sich aus und lotst uns vorbei an Wohnhäusern, Läden und Marktfrauen, die auf der Straße sitzend Obst und Gemüse verkaufen. Wer an fast septisch saubere Waren aus einem deutschen Supermarkt gewöhnt ist, kommt aus dem Staunen nicht heraus – die Medina ist eine bunte, laute, faszinierende Welt voller fremdartiger Gerüche.

Im Restaurant Hammadi sind die Tische schon für uns gedeckt. An rot-weiß gestreiften Diwanen werden auf niedrigen Tischen orientalisch gewürzte Gemüsesuppe mit Koriander, gegrillte Hackspieße und Couscous mit Hähnchen, Gemüse und Safran serviert. Dazu gibt es süßen Pfefferminztee. Wer möchte, bekommt Bier oder Cola, die auch süßer schmeckt als gewohnt. Vom Nachtisch, honigtriefendem Backwerk, bleibt dann viel auf den Tellern.

Danach tauchen wir wieder ein in die Gassen, in denen Dschellabas, Babuschen (die typischen gelben spitzen Pantoffeln), Teppiche und Lederwaren verkauft werden. Natürlich werden wir angesprochen, schließlich sind wir unverkennbar Touristen, aber es ist nicht wirklich lästig. In einer Weberei zeigt uns Rachid seine Wurzeln. Er zieht sich ein blaues Berber-Gewand über und bindet sich den typischen Turban. Und weil die Kamelhaar-Schals so wunderschön und so unglaublich weich sind, kaufen etliche Tour-Teilnehmer welche. Die Händler akzeptieren neben dem Plastique fantastique, wie Kreditkarten hier genannt werden, auch Euro. Vielleicht sind 15 Euro für hiesige Verhältnisse (wo ein Kilo Sardinen 1,50 Euro kostet und drei Kilo Tomaten einen Euro) zu viel, aber zum Feilschen bleibt wenig Zeit. Ein Lehrer verdiene etwa 900 Euro im Monat, erzählt uns Rachid, ein Handwerker 500 bis 600 Euro.

Für die Rückfahrt kaufen wir an einem kleinen Stand frisch gebackene Brotfladen und duftende mit Hähnchen und Gemüse gefüllte Teigtaschen. Denn Zeit für einen Cafébesuch haben wir nicht mehr, wir müssen zurück zum Hafen. „Yallah, yallah“ („los, los“), treibt uns Rachid an, die Fähre wartet nicht.

Wir holen uns also Tee vom Bordrestaurant und lassen uns Teigtaschen und Fladen schmecken. Mit zurück reist der Wunsch, wiederzukommen. Dann wollen wir tiefer eintauchen in dieses Land.