Eine Gruppenreise durch Irland ist Garant für Spaß, Gemeinschaftsgefühl und viele schöne Eindrücke in landschaftlicher und kultureller Hinsicht.

„Oh, nein, Tino, du weißt, ich kann es nicht sehen, wenn du so nah an den Abgrund gehst!“ Die junge Frau dreht sich zu den Umstehenden um und seufzt. „Er soll mir doch vorher Bescheid geben, damit ich weggucken kann.“ Spricht sie etwa von ihrem Kind, das dort zu nah an den Steilklippen herumturnt?

Nein, die 32-jährige Nina Anderson ist unser Tourguide. Und damit irgendwie doch so etwas wie eine Mutter. Sie führt unsere Gruppe durch die neuntägige Reise „Highlights of Ireland“ – und einer der Höhepunkte ist eben diese Wanderung entlang des Cliffs of Moher im Südwesten der Grünen Insel. Der 40-jährige, waghalsige Tino, „das Auge“, so zeigt sich schnell, macht hervorragende Fotos, und zwar um jeden Preis und mit vollem Körpereinsatz.

Auf dieser Reise ist Nina zuständig für Unterhaltung, Zufriedenheit und Sicherheit einer gemischten Gruppe im Alter von Mitte 20 bis knapp 60 Jahren, die sich aus neun Frauen und zwei Männern zusammensetzt. „Den hohen weiblichen Anteil haben wir auf all unseren Reisen. Frauen fahren nicht gern allein durch die Weltgeschichte, hier hat man Anschluss und ist sicherer.“

Am Ankunftstag hat Nina die Gruppe im Hotel in Dublin willkommen geheißen und auf Doppelzimmer aufgeteilt. Meine Zimmermitbewohnerin ist die 30-jährige Jennifer aus Portland in Oregon. Zum Glück ist sie geduldig, wenn ich nach Vokabeln suche – es soll noch etwas dauern, bis ich gewohnt bin, stets mit allen Englisch zu sprechen.

Ein wichtiges Wort auf Gaeilge, dem irischen Gälisch, lernen wir gleich am ersten Abend, als wir uns im Pub zuprosten: Slàinte, sprich: „ßlahntsche“ – auf eine schöne Zeit! Mein Tischnachbar Paul, der in den nächsten Tagen so etwas wie der Ruhepol der Gruppe sein wird, reist sehr viel. In diesem Jahr ist Irland ein Teil seiner mehrwöchigen Europa-Tour. Der Australier hat viel erlebt und viele Geschichten zu erzählen. Das macht er breit grinsend, immer Ruhe ausstrahlend. Eine Art Papa Kelly. Im Pub erzählt Paul mir, dass er deutsche Wurzeln hat – seine Großmutter ist eine sogenannte Gottscheer. Sie lebt noch heute in einer deutschen Sprachinsel in Slowenien.

Der Anbieter G Adventures führt mehrheitlich Kanadier und US-Amerikaner nach Europa, auf diesem Irland- Trip spüren viele Teilnehmer ihren Wurzeln nach. Immerhin haben allein Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Millionen Iren als Folge einer lang andauernden großen Hungersnot ihr Land in Richtung Neue Welt verlassen.

Die 26-jährige Kanadierin Kay fühlt sich in Eire angekommen – als habe sie einen irischen Teil in sich entdeckt. Die eher zurückhaltende junge Frau strahlt übers ganze Gesicht, als sie auf einer Wanderung hört, welche Erdhöhlen irische Kobolde als Behausung vorziehen. Bei unserem Besuch auf den Aran-Inseln kauft sie sich einen grasgrünen Wollpullover, der mit ihren grünen Augen um die Wette leuchtet.

Die Reise führt uns zu vielen Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel zu den Bauwerken von Newgrange, deren Entstehung in einer Zeit um 3200 vor Christus angesiedelt wird und die damit älter sind als die ägyptischen Pyramiden und das englische Stonehenge. In Drumcliff besuchen wir das Grab des berühmten Dichters William Butler Yeats. In Sligo findet während unseres Aufenthalts ein Musikfestival statt. Es ist regnerisch, doch das macht den Besuchern nichts aus. Die ganze Stadt ist auf den Beinen. Selbst als es wie aus Eimern gießt, bleiben die Leute auf den Straßen. Sie ziehen ihre Kapuzen über – so unaufgeregt, wie sich jemand kratzt, wenn es juckt. Regenschirme gehen auf und wieder zu, Kinder tanzen leichtfüßig durch die feiernden Massen.

Als wir am dritten Reisetag Galway erreichen, erzähle ich den anderen, warum ich mir genau diese Reise ausgesucht habe. Natürlich auch, um darüber zu berichten, doch habe ich vorab so viel über die Hafenstadt gelesen, dass ich sie unbedingt besuchen musste. Die mittlerweile elf Bände der Kriminalromane von Ken Bruen spielen in Galway, und ich will die Straßen sehen, durch die sein Protagonist, Detektiv Jack Taylor, streift, die Pubs, in denen er trinkt, den Oxfam-Laden, in dem er sich einkleidet, und den Spanish Arch, einen alten Teil der Stadtmauer, zu dem es ihn hinzieht, wenn er allein sein möchte. Bei einer Stadtführung laufen Krimiszenen vor meinem inneren Auge ab, und abends unterstützen mich meine neu-irischen Schwestern Mendy, Kay, Larissa und Jen auf der Suche nach Spuren von Ken Bruen. Es wird eine lange Nacht, immerhin finden wir seinen Lieblings-Pub und sprechen mit einigen, die den Schreiber kennen. „Wenn ihr ihn noch findet“, so mahnt uns lachend ein alter Ire, „nehmt ihn bloß mit! Jemanden, für den sich so hübsche Ladys interessieren, wollen wir lieber loswerden!“

Unser ganz persönliches irisches Highlight haben Mendy, Kay und ich auf den Aran-Inseln. Als die Gruppe während einer Radtour an einem eher untypischen weißen Sandstrand Pause macht, stürzen wir uns wagemutig ins 15 Grad kühle Nass des Atlantiks. Am Abend erzählen wir jedem, der nicht rechtzeitig weghört, dass wir echte Wikingerfrauen sind. Slàinte!

Vielleicht liegt es am Reisen in der Gruppe, dem lockeren Umgangston untereinander oder der Tatsache, dass uns die Neugier auf Land und Leute eint: Die Stimmung ist ausnahmslos gut. Allmorgendlich packt unsere Großfamilie die Koffer und zieht mit Kleinbus oder Bahn in den nächsten Ort, das nächste Hotel. Nina zählt vor und nach jedem Ausflug die Teilnehmer durch, und jeder grinst, wenn mal wieder Larissa fehlt. Sie ist ständig mit ihrer geliebten roten Fotokamera auf Extratour. Wo ist Margret? Jemand hat sie im Souvenir- Shop gesehen, da kommt sie und zeigt stolz die T-Shirts, die sie für ihre Kinder in Kanada erstanden hat.

In Killarney, wo wir tagsüber mit Pferdekutschen durch den riesigen Nationalpark fahren, entdecken Mendy und ich abends in einem Pub ein neues Getränk: halb Guinness, halb Cider, ein Schuss Cassis. Dass das Zeug Schlangenbiss heißt und man tunlichst unterlassen sollte, das Dunkelbier mit egal was zu mischen, hat uns vorher niemand erzählt. Doch als Irish Girls finden wir sicher zum Hotel zurück.

Als wir am Mittag unseres vorletzten Tages mit der Bahn in Cork einfahren, sehe ich schon aus dem Zugfenster: Das wird meine irische Lieblingsstadt (sorry Galway, sorry Jack Taylor). Das Zentrum liegt, vom River Lee umrundet, auf einer Insel, alte Baukunst in einem Mix mit moderner Architektur. Am liebsten würde ich täglich meine Einkäufe im schönen English Market erledigen. Neun Kilometer nördlich liegt das Blarney Castle mit einer echten Touristenattraktion: Wer auf dem Rücken liegend kopfüber in luftiger Höhe den Blarney-Stein küsst, soll die Gabe der Sprachgewandtheit erlangen. Immerhin hat sich mein eingerostetes Englisch seit der Reise gebessert ...