Der Hamburger Marcus Gladers lebt seit sieben Jahren in der Metropole. Im Schnelldurchgang zeigt er seine Lieblingsplätze.

Drei Stadtviertel, drei Seiten, drei Gesichter Shanghais – es ist ein straffes Programm, das Marcus Gladers zusammengestellt hat, um mir seine Stadt zu zeigen, gut drei Stunden hat er dafür angesetzt. Der rote Faden der Tour: Gladers, einst in Hamburg zu Hause, seit sieben Jahren in Shanghai, führt mich an seine Lieblingsplätze der 25-Millionen-Metropole. „Es sind gerade die Kontraste, man hat einerseits viel Geschichte, auch im Baustil, aber auch Ultra-Modernes“, wagt er eine erste Annäherung, um sein Zuhause in Asien zu erklären. „Einmal im Jahr bin ich in Hamburg“, sagt der Unternehmer, 47, der Firmen im Bereich Lebensmittelsensorik und Produktoptimierung berät, also ihnen unter anderem hilft, ihre Produkte an den chinesischen Geschmack und Markt anzupassen.

Die Tour beginnt ein paar Straßen abseits vom Bund, wie die Flaniermeile, die Promenade in Downtown, genannt wird. Unten fließt der Huangpu, Shanghais Fluss, mitten in der City. Auf der einen Seite dominieren die alten Kolonialbauten, prächtige Hotels mit eindrucksvollem Interieur wie Peace Hotel oder Waldorf Astoria, auf der anderen Seite Pudong, das Finanzviertel, wo Wolkenkratzer wie riesige Stangen in den Wolken verschwinden. Sie haben Spitznamen wie „Spargel“ oder „Flaschenöffner“. Wir wählen die engen Straßen, Richtung Altstadt. An der Zhonghua Road geht es los, dann hinein in die Dajing Road. Kleine Läden in uralten Häusern werben für Alltagswaren, während Fahrräder und Mopeds sich hupend den Weg hindurch bahnen, teilweise so schwer beladen mit Kisten, Kästen oder sperrigen Gütern, dass die Fahrer zu Jongleuren werden. Es ist Mittag, „nachmittags und abends tobt hier das Leben“, sagt Marcus Gladers. „Das Leben findet auf der Straße statt, das Lebendige und Quirlige, das mag ich“, formuliert der Geschäftsmann. Wir lassen uns durch die Gässchen treiben, ziellos, eine Straße ähnelt der nächsten, ein Labyrinth. Plötzlich stehen wir unvermittelt am Eingang des Yu-Garten-Viertels – ein Klassiker unter den Sehenswürdigkeiten Chinas: Durch ein Gewirr von Gassen muss man hindurch, Tempelgebäude, Souvenirs und landestypische Kunst locken in den touristisch dekorierten Läden, die abends in buntes Glitzerlicht getaucht sind. Am Mittag ist es noch nicht überlaufen, daher für einen Besuch zu empfehlen.

Wir erreichen das berühmte Huxing-Ting-Teehaus – ein paar Stufen hinauf, und von dort genießt man einen schönen Blick auf den Yu-Garten, auf Tempelbauten, aber auch auf die Hochhäuser, was für ein Ambiente. Es ist das älteste Teehaus der Stadt und liegt mitten in einem Teich. Man muss dazu über eine Zickzackbrücke gehen, die die bösen Geister abhalten soll; denn die Chinesen glauben, dass Geister nur geradeaus gehen. Queen Elizabeth hat hier schon Tee getrunken, Bill Clinton und Wladimir Putin auch. 400 Jahre ist der Yu-Garten alt, im Chinesischen Yù Yuán, genannt. Fische schwimmen im Teich, Plätze laden zur Pause ein, Idylle pur. Der Garten zählt zu den berühmtesten Beispielen chinesischer Gartenkunst, eine Oase, ein Ruhepunkt innerhalb der Riesenmetropole. Wir wählen einen anderen Weg, Richtung Henan Road – dahinter sind Gassen mit maroden Häusern, an denen der Putz bröckelt. Hierhin verirren sich selten Touristen. Müll türmt sich in manchem Hinterhof, einige Häuser und Plätze sind leer, abrissreif, warten teils auf Restaurierung oder Neuaufbau, es ist die andere, die düstere Seite der Altstadt. „Die Stadt ist immer in Bewegung“, sagt Marcus Gladers. „Wenn man eine kurze Zeit mal nicht in Shanghai war und zurückkommt, hat sich das Gesicht der Stadt schon verändert.“

Mit der U-Bahn, Linie 10, fahren wir weg von der Altstadt, nach Hongkou, „ein ganz normales Wohnviertel, wo Angestellte wohnen, die Mittelschicht“, erklärt mir Marcus, während wir in der durch die Klimaanlage heruntergekühlten U-Bahn einen Platz suchen. Auch das ist sein Lieblingsort, die U-Bahn, sagt er. „Es ist die größte der Welt, und man kann hier viel beobachten, das Alltagsleben der Chinesen.“

Ein echter Geheimtipp: „Jiaotong ka“, die U-Bahn-Karte, sie ist für einmalig 20 Yuan Gebühr, etwas mehr als 2 Euro, zu erwerben. Das Besondere: Man kann sie beliebig hoch aufladen und für alle Fahrten mit der U-Bahn, Taxis und sogar der Fähre über den Fluss bequem nutzen, ohne bei den oft überfüllten Automaten nach Kleingeld suchen zu müssen. „Sehr praktisch“, sagt Gladers, eine Fahrt mit der U-Bahn kostet drei bis fünf Yuan, wenige Cent. „2007 hatten wir hier nur vier Linien, jetzt sind es 16“, sagt er. Aber auch eine Kurzstrecke mit einem Taxi in der Innenstadt kostet nur 20 Yuan. Unser Weg führt durch den Stadtteil Hongkou. Hailun Lu, Siping Road und weiter in Nachbarstraßen, Changchun Road und wie sie sonst heißen. Die Straßen sind nicht so überfüllt, das Leben ist etwas ruhiger auf den ersten Blick. Dann stehen wir vor einem Toreingang, dahinter ist überraschend ein Obstmarkt. „Hier kaufe ich auch oft ein“, sagt Gladers, der sein Büro in diesem Viertel hat. Im Zoo Café machen wir Pause. Familien und Pärchen sitzen an Tischen bei Cocktails oder grünem Tee, an den Wänden TV-Bildschirme mit Werbung.

„Das Freizeitverhalten der Chinesen ändert sich, die Cafés und Freizeitangebote nehmen zu“, sagt Marcus Gladers. Einst gab es in Shanghai berüchtigte Opiumhöhlen, die Briten, Franzosen, Amerikaner und Japaner wirkten dort und prägen durch ihren Baustil einige Viertel noch heute, wie die „Französische“ oder „Britisch-Amerikanische“ Konzession. Kolonialbauten hier, Hochhäuserschluchten dort, auch das ist Shanghai. Die französische Konzession mit ihren Cafés, Bistros und viel Grün am Straßenrand erinnert an Hamburgs Eimsbüttel oder Eppendorf.

Die Linie 2 bringt uns nach Pudong. Hochhäuser schrauben sich dort in den Himmel, Fotomotive für Touristen allemal. „Was für ein Gegensatz zur Altstadt, oder?“, stellt Marcus Gladers fest und zeigt mir die Hochhäuser „Spargel“, „Flaschenöffner“ und andere Bauten. Später wagen wir einen Blick vom Jin Mao Tower, der Fahrstuhl bringt einen in Minuten hoch, durch die Wolkendecke durch, auf 430 Meter, 88 Stockwerke; im 56. Stockwerk gibt es ein Restaurant, ganz oben kann man einen Drink nehmen und die Skyline auf sich wirken lassen. Unten ist es, als ob man durch eine Welt von Riesen wandelt, selbst scheint man als Zwerg.

Zurück ans andere Flussufer geht es mit einer Fähre, und dann mit dem Taxi weiter. Wir machen einen Abstecher zu einem Ort deutscher Geschichte: das Jewish Refugees Museum an der Changyang Road Nr 62. Es erinnert an Nazi-Deutschland, die Ermordung der Juden, aber auch daran, dass Shanghai vielen Flüchtlingen damals eine Zuflucht gab, in einem Lager in Hongkou – auch Juden aus Hamburg flohen dorthin und überlebten. Eine Synagoge und zwei Ausstellungshallen geben eindrucksvolle Einblicke in das damalige Leben im Getto in Hongkou und in das düstere Kapitel deutscher Geschichte und mahnen, diese Zeit niemals zu vergessen und diese Botschaft an die Nachfolgegenerationen weiterzugeben.

Erholung findet man in einem der vielen Parks, zum Beispiel im People’s Park, einem lang gestreckten grünen Fleckchen, das man zu Fuß in einem längeren Spaziergang gut vom Bund über die Nanjing Road erreicht, eine der Haupt-Einkaufsstraße, die von der Bund-Promenade losgeht – mit Fußgängerzone, was in Shanghai eher selten ist. Wer noch sucht: Im Park gibt es einen bizarren „Heiratsmarkt“. Dort gehen Eltern für ihre Kinder auf Brautschau und preisen diese mit Werbe-Plakaten an wie Kaufhaus-Ware.

Die letzte Station unseres Besuchs ist das Shanghai Urban Planning Exhibition Center. Das futuristisch anmutende Museum zeigt die Historie der Stadt, aber auch, wie sie sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Im zweiten Stock ist die Welt-Metropole in einem eindrucksvollem Modell nachgebaut, vom Bund und Downtown bis hin in die Außenbezirke. Wenn die Nacht einbricht, die Lichter das Modell, die Stadt eintauchen in sanftes, romantisches Licht, dann wirkt Shanghai wie ein schlafendes Riesenbaby. Doch geht man etwas weiter in den Raum mit der 3-D-Simulation, sieht alles ganz gleich anders aus. Da spürt man, wie schnell die Stadt tickt und künftig ticken wird.

Alles dreht sich im Raum immer schneller auf den Bildern, wie ein Strom, in dem man fortgespült wird, sich verliert. Schlafendes Riesenbaby? „Shanghai schläft niemals“, sagt Marcus Gladers. Er liebt es, durch die Straßen zu schlendern, immer etwas Neues zu entdecken in seiner Stadt. „Better City, better Life“, „bessere Stadt, besseres Leben“, steht auf einem Museums-Plakat, das Motto für die Zukunft Shanghais, was immer das im Detail bedeutet.