Thomas Mühlbauer übernahm von seinem Vater vor mehr als 20 Jahren eine Fundgrube für Literatur mitten in Istanbul – Fatih Akin drehte hier einen seiner wichtigsten Filme

Der Buchhändler hat eine Verabredung. Er will seinen Sohn aus dem Kindergarten holen. Trotzdem nimmt er sich Zeit für die Besucherin aus Hamburg, die zwischen den Büchern auf alten Holzregalen stöbert. Deutsche Bücher stehen neben türkischen Übersetzungs-Ausgaben. Und umgekehrt. Dazu Zeitungen und Zeitschriften, Lexika, Schulbücher, der Duden, Sprach- und Reiseführer. Die beschreiben überwiegend die Türkei. Und Istanbul.

Der Buchhändler ist nicht irgendein Buchhändler. Sondern Thomas Mühlbauer. Seine Buchhandlung ist nicht an der Mönckebergstraße. Sondern am Istiklal-Caddesi in Istanbul, neben der schwedischen Botschaft und dem deutschen Gymnasium, hinter dem Platz, an dem die alte Tünel-Zahnradbahn zur Galata-Brücke fährt. Mitten im sprudelnden Leben der Stadt am Bosporus, am angesagten Boulevard, auf dem zur Shopping-Zeit nicht einmal die alte rumpelnde Straßenbahn zum Taksim-Platz durchkommt, ist auch die spannendste Buchhandlung der Stadt.

Thomas Mühlbauers Buchhandlung war schon zu Zeiten seines Vaters Franz Treffpunkt für deutsche und türkische Literaturfreunde. An den Vater erinnert eine Fotografie im Laden. Neuankömmlinge aus Almanya fragen noch heute nach Ämtern und Wohnungen, lassen sich Tipps zum Einkaufen geben. Die Buchhandlung ist eine deutsch-türkische Drehscheibe in Istanbul.

Die sich heute noch etwas schneller dreht als je zuvor. 2012 rückte ein Film-Team an. Das von Fatih Akin, dem türkischen Filmer aus Hamburg. Akin drehte einige Szenen seines Films „Auf der anderen Seite“ in der Buchhandlung, der Türk Alman Kitabevi am Istiklal.„Der Film machte uns sofort international bekannt“, sagt Thomas Mühlbauer und lächelt feinsinnig. Der Plot: Ein türkisch-deutscher Germanistik-Professor sucht die Tochter der toten Geliebten seines Vaters. Er trifft auf die Buchhandlung, kauft aber kein Buch. Sondern den ganzen Laden. „Das war eine aufregende Zeit, als der Film bei uns gedreht wurde“, sagt Mühlbauer.

Doch was verschlug Thomas Mühlbauer an den Bosporus? „Mein Vater hat die Buchhandlung 1955 gegründet“, sagt der 46-Jährige.

Der Vater kam 1945 nach russischer Gefangenschaft als Zirkusmitarbeiter nach Istanbul. Er verliebte sich in die quirlige Stadt, sagte seiner Heimat Österreich Adieu und blieb. In der Buchhandlung einer alten Dame fand Franz Mühlbauer Arbeit. Als sie erkrankte, kam Marlene, eine junge Pflegerin aus Deutschland, ins Haus. Franz verliebte sich in sie und sie sich in ihn, sie heirateten, bekamen drei Kinder. Doch die Ehe scheiterte, Marlene zog 1978 mit den Kindern zurück nach Deutschland .

Thomas Mühlbauer ist 1968 in Istanbul geboren und aufgewachsen, die Buchhandlung seines Vaters war zehn Jahre lang sein Zuhause. Als der Vater 1991 starb, kam er mit seinem älteren Bruder Josef an Istanbuls Pracht-Boulevard zurück. Josef wollte die Buchhandlung nicht allein leiten, und Thomas fiel der Entschluss, nach Istanbul zurückzukehren, leicht. „Mir waren Sprache und Kultur vertraut, Bücher liebe ich sowieso“, sagt Thomas Mühlbauer. Er blieb, lernte eine Amerikanerin kennen, heiratete, bekam eine Tochter und einen Sohn.

Was fasziniert ihn an Istanbul? „Die Vielfalt der Menschen und Kulturen – und paradoxerweise das Chaos, obwohl die Bürokratie, der Zoll nerven. Vor allem aber, dass die Menschen bei Widerständen immer wieder mutig aufstehen und weitermachen“, sagt Mühlbauer und ergänzt: „Ich habe von den Menschen hier gelernt, dass es lohnt, niemals aufzugeben.“

Oft fragen deutsche Touristen nach Tipps in Istanbul. Für Ausflüge empfiehlt er die Prinzeninseln und das Schwarze Meer, zum Ausgehen die Rockkneipen und Sazbars in Istanbuls Stadtteil Beyoglu – sein Kiez, in dem auch die Buchhandlung liegt.