Rudi Hinrich ist Hafenmeister in Wieck am Darß, Bodden-Kapitän, Seemann der alten Schule und Geschichtenerzähler

Früher Morgen am Anleger von Wieck. Über dem Bodden, der stillen Seite vom Darß, hängt noch eine dünne Nebelschicht. Hafenmeister Rudi Hinrich dreht die erste Runde in seinem kleinen Reich. Zeit für einen Klönschnack, bevor er das Ausflugsschiff abfertigen und die Gebühren von den Seglern kassieren muss, die gestern Abend gekommen sind. Gegen elf wird er dann mit seiner „Marie Luise“ zum ersten Törn dieses Tages auslaufen.

Ein Steg ragt weit ins Binnenwasser hinaus („unsere Seebrücke“), ein anderer, vom Schilf begrenzt, führt zu einigen Zeesbooten, die hier vertäut sind. Diesen ganz besonderen Kähnen gehört ein großer Teil von Rudis Leidenschaft. Darüber wird noch zu reden sein. Rudi ist, was die Engländer einen „Character“ nennen: ein Typ, ein Original, über die Region hinaus bekannt und beliebt als „Schipper Hinrich“. Berliner und Hamburger Stammgäste auf dem Darß freuen sich Jahr für Jahr auf die Fahrten mit ihm übers Binnengewässer, bis in feinste Seglerkreise schätzt man ihn an Alster und Elbe. Auch darauf müssen wir noch detaillierter eingehen.

Schipper Hinrich stammt aus Warnemünde, ist dort am Alten Strom groß geworden. Schon als kleiner Junge ist er mit seinen Kumpels auf Kuttern und Booten aller Art rumgebuttjert, konnte früh reparieren, was andere wegwerfen wollten. Klar, dass ihn dieses Talent aufs Meer führen sollte. Er wurde Seemann und fuhr als Maschinist auf der „Carl F. Gauss“, dem Vermessungsschiff des Seehydrographischen Instituts der DDR – einer Einrichtung, die nach 1990 mit dem Deutschen Hydrographischen Institut und dem Bundesamt für Schiffsvermessung verschmolz.

Die Wende brachte für Rudi Hinrich – wie für so viele seiner Generation und seiner Herkunft – die Notwendigkeit, sich neu zu orientieren, Umwege und Seitenschritte einzuschlagen: Taxifahrer, „dies und das“, und irgendwann, vor fünf Jahren wurde er Hafenmeister in Wieck, „für mich das große Los“. Kenner und Liebhaber halten dieses Dorf für das schönste auf den Halbinseln Fischland-Darß und Zingst, wo nach Aussage der Kurverwaltung „die Seele auf Wanderschaft geht und als Ruhe zurückkommt.“

Ein Geheimtipp ist Wieck zwar schon lange nicht mehr. Aber die Ruhe ist geblieben, weil alles im Lot geblieben ist: die Natur und das Ortsbild, das touristische Angebot, mit dem Haferland das meist gelobte Hotel weit und breit, behutsam ökologisch geführt. Und eben mit einem Hafen, der wie aus der Zeit oder einem alten Bilderbuch gefallen wirkt.

In diese Idylle passt Schipper Hinrich. Vor zehn Jahren, lange vor seinem Traumjob im Hafen, hat er sich schon mal einen Traum erfüllt, hat sich die „Marie Luise“ gekauft, ein Zeesboot, 1903 in Swinemünde gebaut, das die Herzen aller Nostalgiesegler, ja, aller Freunde der östlichen Küsten höher schlagen lässt: „Zeesboot segeln“, sagt Rudi, der ansonsten gern ins Plattdeutsche wechselt, geradezu andächtig, „tut einfach gut, weil es demütig macht.“

Diese Boote mit ihren typischen braunen Segeln, Tiefgang höchstens ein Meter, haben sich seit alters auf den flachen Boddengewässern zwischen Darß und Rügen, auch auf dem Strelasund und weiter östlich in den Haffs bewährt, es waren die idealen Boote für die Fischer mit ihrem speziellen Fanggerät, den Zeesen: „Man braucht eine Unmenge Tuch und viel Kraft, um sie seitlich über Grund zu ziehen, an die 110 Quadratmeter.“

Eigentlich also eher ein Männersport, meint der Hafen- und Zeesbootkapitän. Aber dann erzählt er von Berliner und Hamburger Seglerinnen und von Holländerinnen, die jedes Jahr kommen, um an der Pinne zu stehen: „Wer sonst nur auf dem Wannsee oder auf der Alster unterwegs ist, heuert bei mir auf der ,Marie Luise‘ auch und erst recht an, wenn Wind und Wolken über den Bodden fegen.“

Es war auch denn eine Hamburgerin, die ihm besonderen Respekt abnötigte und ihm überdies das Schwabbelmonster sichtbar machte. Dieses Boddenungeheuer ist verwandt mit dem legendären Ungeheuer von Loch Ness in Schottland, hat aber andere Aufgaben: „Es versprüht nämlich giftgrünen Schleim, wenn jemand Flaschen oder anderen Müll ins Wasser wirft.“

Diese Warnung hat Schipper Hinrich schon vor Jahren seinen Gästen erzählt, zusammen mit anderem fein gesponnenen Seemannsgarn. Vor allem die Kinder an Bord waren regelmäßig tief beeindruckt. Und ein Jahr nachdem eine kleine Hamburgerin die Geschichte gehört hatte, kam sie mit ihrer Mutter und einer Zeichnung zurück nach Wieck, dem 800-Seelen-Dorf, das so viel Ruhe schenkt.

Seither kann Schipper Hinrich bei seinen Törns nicht nur ganz allgemein, sondern geradezu dokumentarisch warnen. Ekliger Schleim und das Schwabbelmonster sollen seither auf dem Bodstedter und auch auf dem Saaler Bodden, den Gewässern zwischen Wieck und dem Festland, nicht mehr gesehen worden sein.

Zeesboot-Rundfahrten mit Schipper Hinrich: Die „Marie Luise“ fährt täglich nach telefonischer Absprache um 11, 14 und 16 Uhr ab Hafen Wieck, Bauernreihe, 18375 Wieck a. d. Darß, Telefon 0171/6240973.