Mit einem Bein in der Ostsee, mit dem anderen in der Nordsee – das gibt’s nur am äußersten Zipfel Nordjütlands, ganz oben in Dänemark. Entspannte Menschen und charmante Orte wie Skagen oder Aalborg sind weitere Gründe, hier mal vorbeizuschauen

Der Sandwurm kämpft sich durch die karge, kraterartige Landschaft, unermüdlich bahnt er sich seinen Weg zur Nordspitze Jütlands. Dort, wo Dänemark nichts mehr hat von seiner Lieblichkeit, die man soeben noch in Skagen bewundern konnte. Rau weht den Besuchern des Naturspektakels der Wind entgegen, als sie den 30 Personen fassenden Anhänger hinter dem Traktor verlassen. Von der rund 30 Kilometer langen Landzunge Grenen aus sehen sie Öltanker und Frachter, die in der Bucht vor Anker liegen. Dahinter Meer, so weit das Auge reicht. Darüber ein Himmel, der die Menschen am Strand winzig erscheinen lässt.

Doch weswegen Hunderte Touristen täglich hierherkommen und sich fotografieren lassen, ist erst bei genauerem Hinsehen zu entdecken. An Dänemarks nördlichstem Punkt treffen Ost- und Nordsee zusammen. Und tatsächlich sieht man hier Wellen von links und von rechts sich zu einem Strudel vereinen – oder, etwas pathetischer: zu einem Kuss der Meere. Wer hier ins Wasser geht, steht mit einem Bein in der Ostsee, mit dem anderen in der Nordsee. Hautnah dürfen dies aber nur die nackten Füße der Besucher spüren. Baden ist in dieser Strömung strengstens verboten – es droht Lebensgefahr.

Zusammen mit Skagen, der nördlichsten Stadt Dänemarks, die 200 Jahre ihrer rund 600-jährigen Geschichte von Sand überschüttet war, ist der Grenen eine der wichtigsten Touristenattraktionen der Region. Dass sich Superlative gut verkaufen, wissen Dänemarks Tourismusexperten schon länger. Dass Dänemark sich in Sachen Attraktionen aber etwas einfallen lassen muss, ist klar, seit die Urlaubsbuchungen aus Deutschland in den vergangenen Jahren dramatisch abgeebbt sind.

Hohe Mieten für Ferienhäuser in der Hauptsaison. Keine Schönwettergarantie wie auf den Balearen oder in der Türkei. Warum also die gut fünfstündige Anreise von Hamburg nach Nordjütland antreten, wenn doch die heimischen Küsten auch ganz schön sind? Eine Frage, die man sich öfter stellt während der Fahrt im Auto auf der nicht enden wollenden E45, die das Land vertikal durchzieht und bei einem Maximaltempo von 130 Stundenkilometern kaum Abwechslung bietet.

Ausgangspunkt dieser Entdeckungsreise kann das Skallerup Seaside Resort sein, das rund 50 Kilometer südlich von Skagen liegt. Ursprünglich als Feriendorf Ende der 1930er-Jahre geplant, wurde es zunächst nach dem Zweiten Weltkrieg als Lager für deutsche Flüchtlinge aus Ostpreußen genutzt. Auf dem Gelände der ehemaligen Baracken für circa 2400 Flüchtlinge wurden die ersten, noch sehr einfachen Ferienhäuser gebaut, 1949 feierte man die Eröffnung des Feriendorfs Skallerup Klit. Wie pragmatisch die Dänen mit ihrer Geschichte umgehen, zeigt sich daran, dass die ehemaligen Baracken nicht etwa abgerissen wurden, sondern von den Landsleuten erworben und als Sommerhäuser an anderer Stelle wieder aufgestellt wurden. Nur eine Flüchtlingsbehausung ist erhalten, darin befindet sich ein kleines Museum mit alten Fotografien und Alltagsgegenständen der Flüchtlinge.

Heute umfasst die Anlage, die vor zwei Jahren in Skallerup Seaside Resort umbenannt wurde, 276 Häuser, dazu ein Erlebniszentrum mit Supermarkt, Pizzeria, Restaurant, Bowlingbahnen, Thermalbad, Spaßbad, Indoorspielplatz und Bauernhof samt Streichelzoo und Ponyreiten. Im Gegensatz zu vielen Allzeit-Bespaßungstempeln in Südeuropa bietet Skallerup etwas sehr Kostbares: Ruhe. Die Häuser liegen weit genug voneinander entfernt, mitten in den Dünen, angrenzend an ein Waldstück oder direkt am Strand. Hier wird der Urlauber mit Natur pur belohnt, die Nordsee hat man fast für sich allein. Sicherlich werden die Strände an Dänemarks Küsten zur Hochsaison auch voller. Aber dass man hier wie in Timmendorfer Strand oder Binz dicht an dicht wie die Sardinen liegt, ist unwahrscheinlich. Für Großstädter, die es leid sind, morgens von Autolärm geweckt zu werden, ist so ein Urlaub genau richtig: Im Skallerup Seaside Resort müssen Autos die sandigen Wege im Schritttempo fahren, ansonsten hört man Meeresrauschen und Vogelstimmen.

In einen Club nach Dänemark zu fahren käme den meisten deutschen Urlaubern trotzdem nicht in den Sinn. Ist man es doch seit Jahrzehnten gewohnt, ein privates Ferienhaus zu mieten und sich selbst zu versorgen. Zumal der Rundum-Service in einem Feriendorf um einiges teurer ist. So kostet ein Spa Cottage in Skallerup mit Sauna und Whirlpool für vier Personen in der Nebensaison rund 1000 Euro pro Woche, in der Hauptsaison um 1600 Euro. „Aber dafür bekommen die Gäste auch einiges geboten“, sagt Jonna Madsen, die seit über 30 Jahren in Skallerup arbeitet und das Resort leitet. Mit ihr ist die Ferienanlage größer und moderner geworden, aber auch teurer. Für sie mit ein Grund, warum deutsche Urlauber fernbleiben. Während Deutsche bis vor etwa 15 Jahren noch 40 Prozent der Urlauber ausmachten, ist es heute nur noch ein Prozent. Der Großteil der Gäste sind Schweden und Norweger. Sie reisen mit der Fähre oder mit dem eigenen Boot an.

In den Sommermonaten machen bis zu 20.000 Segelboote und Yachten im kleinen Hafen von Skagen fest. Und die 8000 Einwohner, die sich Skabos nennen, bekommen ordentlich Zuwachs: Im Juli und August bevölkern rund 40.000 Besucher den kleinen Ort an der Grenze von Kattegat und Skagerrak. Das stimmt Maria Groes Eldh vom Touristenbüro positiv: „Bei all den Krisen in der ganzen Welt sehnen sich die Leute im Urlaub nach Ruhe und Beschaulichkeit. Die finden sie in Dänemark.“ Dieses Heile-Welt-Image rührt schon von der Weitläufigkeit des Landes her. Während man von Ort zu Ort fährt, sieht man wenig außer grünen Wiesen, alten Höfen mit ein paar Kühen und hübschen Kirchen. Die Städte sind selten spektakulär, aber sehr gemütlich.

Allen voran Skagen. Mit seinen ockergelben Häuschen und farbenprächtigen Gärten wirkt das einstige Fischerdorf wie eine Theaterkulisse. Und man ist doch sehr versucht, es als malerisch zu bezeichnen, auch wenn dies eine oft missbrauchte Floskel ist. Tatsächlich kamen zwischen 1870 und 1930 zahlreiche Künstler nach Skagen, um die ursprüngliche Stimmung und das besondere Licht im nördlichsten Städtchen Dänemarks auf die Leinwand zu bringen. Um das Malerpaar Anna und Michael Ancher bildete sich eine Künstlerkolonie, die sich am Anchersvej 3 im Hotel Broendum traf und deren Anhänger Alltagsszenen und Landschaften in freier Natur malten. Rund 1800 Werke dieser Skagenmaler sind im Skagens Museum am Broendumsvej 4 ausgestellt. Im Anschluss an den Ausstellungsbesuch ist eine Pause im Museumscafé bei Smörrebröd und Limonade im Garten Pflicht. Oder man macht ein Picknick am Strand, der nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt liegt.

Von dort ist es auch nicht weit bis zum Hafen. 1907 eröffnet, hat er sich zum größten Umschlagplatz für frischen Fisch in ganz Dänemark entwickelt. Früh morgens kaufen Gewerbetreibende hier am Fischmarkt ein, ab mittags sind die Restaurants rund um den Hafen beliebtes Ausflugsziel, nicht nur bei Touristen, sondern auch bei Einheimischen. Dass die Fischindustrie einen Teil des Meerblicks verbaut hat, daran haben sich die Skabos ebenso gewöhnt wie an die Touristenströme – beschert ihnen doch beides Arbeitsplätze.

Wem nach etwas mehr Trubel verlangt, der fährt von Skallerup etwa 45 Autominuten weiter südlich nach Aalborg. Die einstige Industriestadt mausert sich gerade zur hippen Küstenmetropole mit 160.000 Einwohnern, 16.000 davon sind Studenten. Und es sollen noch mehr werden. Medizin, Ingenieurswesen und Kommunikation sind begehrte Studienfächer für Wissbegierige aus ganz Europa. Sie prägen die Stadt am Limfjord, bevölkern Cafés und Geschäfte der Altstadt, die Ausgehmeile Jomfru Ane Gade und die neue Hafenfront mit ihren Beachclubs, an denen sogar gebadet wird – regelmäßig lässt die Stadt dafür Wasserproben aus dem Fjord entnehmen. Freiwillig würde sie nie von hier wegziehen, erzählt Kathrine, die neben ihrem Studium für das Touristbüro Nordkraft in Aalborg jobbt. „Die Stadt ist viel kleiner als Kopenhagen, aber dafür nicht so hektisch und auch überhaupt nicht langweilig.“

Am Ende der Reise durch Dänemarks nördlichste Region stellt man sich die Frage, ob sich die Fahrt lohnt, nicht mehr. Es ist die Mischung aus Gemütlichkeit und Moderne, die Dänemark so begehrenswert macht. Auch, wenn der Weg ganz nach oben weit ist.