Durch die Küstenregion in Nordwestitalien geht es von einer Köstlichkeit zur nächsten – frei nach dem Motto: Das Leben ist eine Speisekarte.

Der Mörser ist gewaltig. Allein der Stößel ist an die 50 Zentimeter lang. Souverän bedient Roberto Panizza das Küchenutensil, das er in einer Benediktinerabtei erworben hat. Er hat drei Bund junges Basilikum, drei Esslöffel Pinienkerne, Salz und drei Knoblauchzehen in das Gefäß geworfen und zermahlt sie sorgfältig. Am Schluss kommen noch Olivenöl und gemahlener Parmesan sowie Pecorino dazu. Fertig ist das Pesto alla genovese, oder sollte man sagen, das Pesto alla Roberto?

Für diese köstliche Spezialität, angeblich nach Mayonnaise und Ketchup die weltweit drittmeistbenutzte Soße, gibt es kein alleingültiges Rezept, sondern unendlich viele persönliche Variationen. „Es ist eine Technik“, sagt Panizza, und er sollte das wissen. Der Genoveser ist Ausrichter der Pesto-Weltmeisterschaften, die alle zwei Jahre stattfinden.

Zum Nachtisch gibt es farbige Ostereier

„Pesto kommt aus Genua“, erzählt Panizza. „Der Wettbewerb soll die Welt daran erinnern.“ Natürlich, denn eigentlich zählt nur das Original, findet er. In seinem Restaurant Cucina Ligure serviert Panizza Gerichte aus der Region wie Pesto mit Testarolli, einem dicken Teig, der nach dem Ausbacken in Streifen geschnitten wird. Panizza serviert aber auch raffiniert gewürzte Fleischbällchen in Tomatensoße. Zum Nachtisch gibt es farbige Ostereier, mit Zuckerguss überzogene Mandeln, die mit einer fruchtigen Zwischenschicht überraschen. Der Patron mit den Entertainerqualitäten ist nämlich eigentlich Süßwarenhersteller und streift die Kochschürze nur zum Spaß über.

Rund um die Hafenstadt Genua gibt es viele kulinarische Köstlichkeiten

Das Leben ist eine Speisekarte. So oder so ähnlich könnte das Motto lauten, wenn man sich entschließt, eine Landschaft nicht nur zu erfahren, sondern auch zu erschmecken. Es ist eine schöne Art, sich fremde Gegenden zu erschließen, weil man erfährt, wie die Bewohner ihren Alltag gestalten und was ihnen eingefallen ist, um daraus einen Genuss zu machen. Das dolce far niente mit angenehmem Nachgeschmack sozusagen. Die norditalienische Landschaft rund um die Hafenstadt Genua bietet dazu vielfach Gelegenheit. Ligurien mit all seinen Farben, Düften und Aromen ist eine Region, die mit ihren Spezialitäten und Aus- und Anblicken viele Sinne anspricht.

Stellt man sich die Mittelmeerregion als Puzzle vor, wäre Ligurien das fehlende Teilchen zwischen der Côte d’Azur und der Toskana. Von der Hauptstadt Genua aus erstreckt sich nach Südosten die Riviera di Levante bis nach La Spezia. In Richtung Westen endet die Riviera di Ponente bei Ventimiglia kurz vor Monaco. Rund 1,5 Millionen Einwohner leben hier, etwas mehr als die Hälfte davon in Genua.

Im Hafen wird das havarierte Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ abgewrackt

Die Hafenstadt mit der Lanterna, dem Leuchtturm, als Wahrzeichen ist ein Ort voller Kontraste und mit langer Geschichte. Christoph Kolumbus hat hier gelebt, Marco Polo wurde hier gefangen gehalten und schrieb sein Tagebuch. Giuseppe Verdi hat in Genua gelebt, gearbeitet und gern im pittoresken Café Klainguti gefrühstückt, betrieben wird es von einer Schweizer Familie. Zurzeit wird im Hafen das havarierte Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“ abgewrackt. Schon im 16. Jahrhundert war Genua eine sehr reiche Stadt und befand sich im ständigen Konkurrenzkampf mit Venedig. Europas erste Bank wurde hier eröffnet. Heute residieren die Geldinstitute in den Palazzi der Via Garibaldi und Via Balbi. Die Prachtstraßen der Altstadt wurden 2006 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt.

In dem für die Kolumbusfeiern im Jahr 1992 umgebauten Hafen – der Genoveser hatte 1492 angeblich als Erster Amerika entdeckt – findet man Luxusyachten neben Fährschiffen, kleinen Fischerbooten, Containerschiffen und Kreuzfahrtschiffen. Palmen stehen am Ufer. Im Hafen liegt aber auch ein Piratenschiff, natürlich kein Original. Der fantasievolle Nachbau eines Freibeuterkahns diente einst Roman Polanski als Kulisse für seinen Film „Piraten“ und ist jetzt eine Touristenattraktion. Ein Boot bietet Fahrten zum Walbeobachten an. Funktioniert das im Mittelmeer? „Es ist immer ein Meeresbiologe mit an Bord, der erklären kann, warum man manchmal keins der Tiere sieht“, sagt Cristina Gelvi von der Agentur In Liguria. Ach so.

In den schmalen Gassen könnte man denken, man ist in Nordafrika gelandet

Ziemlich bunt ist das Publikum in der Hafengegend. Neben Fast-Food-Filialen findet man in den Arkaden auch Geschäfte, die traditionelle Snacks wie frittierte Meeresfrüchte oder Lumache al forno – überbackene Schnecken – anbieten. In den angrenzenden schmalen Gassen könnte man auch schon mal den Eindruck gewinnen, man sei in Nordafrika gelandet. Hier hat man einem Musiker ein Denkmal gesetzt, der seine Stadt immer wieder besungen hat. Der 1999 gestorbene Fabrizio de André hat „Via del Campo“ über die gleichnamige Hafenstraße geschrieben. Es geht darin auch um Huren und Freier. „Liebe und lache, wenn Liebe dir antwortet“, heißt es in dem Lied. „Weine laut, wenn sie dich nicht erhört. Aus Diamanten kann nie etwas wachsen. Aus dem Mist sprießen Blumen hervor.“ Seine „Poesie der Pflastersteine“ wurde nicht nur von den Einheimischen geschätzt.

In der Happy Hour bestellt man sich Longdrinks und geht zum Büfett

Auf Gäste ist die Stadt bestens eingestellt. Zum Beispiel in dem im Stadtzentrum gegenüber dem Hauptbahnhof gelegenen Grand Hotel Savoia. 1897 erbaut, erlebte es seine erste Hochzeit in der Zeit der Transatlantik-Passagen. König Vittorio Emanuele III. hat hier schon übernachtet, aber auch Benito Mussolini, Pietro Mascagni und Igor Strawinsky. Es war das erste Hotel in Europa mit einer Klimaanlage.

Natürlich wissen auch die Einheimischen die Vorzüge ihrer Stadt zu schätzen. Ein beliebter Trend ist die Apericena. Das Wort ist eine Kombination aus Aperitif und Cena, also Mahlzeit. Die Genoveser treffen sich am frühen Abend an Orten wie dem Lounge Restaurant Muà. In der Happy Hour bestellt man sich Longdrinks und kann zum Büfett gehen, sooft man möchte. Laut und temperamentvoll geht es in dem rappelvollen Laden zur Einstimmung aufs Wochenende zu.

Rund 100 Kilometer westlich von Genua sieht Ligurien ganz anders aus. Rund um die historische Stadt Albenga erstreckt sich die einzige Ebene der ansonsten sehr bergigen Gegend. Seit Jahrhunderten wird dort Landwirtschaft betrieben. Früher wurde in erster Linie Gemüse angebaut, in den vergangenen Jahren sind auch noch Gewürze und Blumen dazugekommen. Alessandro Scarpa, Präsident der Slow-Food-Gesellschaft, die sich um aussterbende Sorten und einen möglichst chemiefreien Anbau bemüht, nimmt uns mit zum Betrieb der Familie Lanzalaco. Vorbei an Zitronenbäumen, Margariten und einem Meer von Töpfen mit Rosmarin, Basilikum, Thymian und Salbei geht die Fahrt, während der Senior, der auch noch im Vorstand des Fiat-500- Clubs Italien ist, „die großen vier“ der Region erklärt: Trompetenzucchini, stachelige Artischocken, Cœur-de-Bœuf-Tomaten und violetter Spargel.

Hier gibt es noch einige Geheimtipps zu entdecken

In der Nähe des historischen Stadtkerns, in Bastia d’Albenga, bauen die Biowinzer der Firma Bio Vio den Wein an, ohne Pestizide einzusetzen. Original ligurische Weine machen nur etwa 0,8 Prozent der italienischen Gesamtproduktion aus. Aber der fruchtige weiße Pigato, der leicht nach Gewürzen schmeckende Vermentino und der Rossese, den es als Rosé und als Rotwein gibt, werden überwiegend in der Gegend selbst getrunken, dürfen hierzulande also noch als eine Art Geheimtipp angesehen werden.

Etwa 20 Kilometer westlich von Albenga liegt Imperia. Hier betreiben die Gebrüder Fratelli eine Ölmühle und bieten ihre Olivenölsorten und weitere Produkte der regionalen Küche an. Eine Olivenölverkostung ist schon etwas Besonderes, wobei die Probanden sich in zwei Lager teilen: diejenigen, die sich das Öl auf Bauernbrot träufeln, und diejenigen, die es wie Wein- oder Teeverkoster geräuschvoll schlürfen. Die vor Ort angebaute Sorte heißt Taggiasca und zeichnet sich durch kleine, sehr aromatische Früchte aus.

Ein pittoreskes Fischerdorf wurde früher häufiger von Piraten heimgesucht

Östlich von Genua liegt Camogli, angeblich das Dorf mit den schönsten Frauen der Gegend. Die hatten während unseres Besuchs offenbar alle etwas anderes zu tun, aber die alten Fischer, die am Hafen ihre Netze für den Thunfischfang präparierten, waren auch nicht schlecht. Camogli ist ein pittoreskes Fischerdorf, das früher häufiger von Piraten heimgesucht wurde. Die Bewohner errichteten zum Schutz eine Mauer mit schmalen mannshohen Durchlässen. Die mündeten zur Dorfmitte in kleineren Plätzen, wo die Bewohner schon auf die Freibeuter warteten, die sich einzeln durch die engen Durchlässe zwängen mussten. Von Camogli aus bietet sich eine Schiffstour zur Abtei San Fruttuoso an. Sie liegt versteckt in der kleinen Bucht Capodimonte und ist nur von See her oder zu Fuß erreichbar. Von der Abtei, deren wechselvolle Geschichte bis ins 10. Jahrhundert zurückreicht, hat man einen wunderbaren Ausblick. Außerdem findet man hier viele Gräber der bedeutenden Familie Doria, die hier in den Erhalt der Gebäude und in Neubauten investiert hat.

Recco gilt als Restaurant-Metropole der Region

Auf der Rückfahrt von Camogli könnte man einen Boxenstopp in Recco einlegen. Die 10.000-Einwohner-Stadt gilt als Restaurant-Metropole der Region. Hier wird die Spezialität einer Spezialität angeboten. Die Focaccia ist ein ligurisches Fladenbrot. Dick oder dünn, einfach oder mit Kräutern, Oliven, Tomaten oder Anchovis gefüllt. In Recco hat man sich auf Käse-Focaccia spezialisiert. Flora Macchiavelli rollt den Teig aus und erweitert ihn artistisch mit Händen und Unterarmen zu wagenradgroßen Exemplaren. Die füllt sie mit frischkäseähnlichem Stracchino, der zwischen die Fladen verteilt wird. Die Focaccia kommt dann für sechs Minuten in einen 320 Grad heißen Ofen, bis sie leicht knusprig gebacken ist. Beim Zerschneiden der Fladenbrote zerläuft der Käse und vermischt sich mit dem Teig. Einfach köstlich, dieses Ligurien.