100 Jahre ist der Panamakanal zwischen Atlantik und Pazifik alt und gilt als eines der wagemutigsten und faszinierendsten Bauprojekte aller Zeiten.Ihn zu durchqueren ist heute noch ein Abenteuer.

Ein strahlend weißes Licht am Horizont weist den Weg. Solange es weiß bleibt, hält das Schiff Kurs und treibt in der Mitte der Fahrrinne auf die Einfahrt des Panamakanals zu. In der Ferne taucht aus dem Nebel des frühen Morgens die glänzende Hochhaus-Skyline von Panama-Stadt auf. Davor liegen sattgrüne Palmen-Inseln im blaugrauen Golf von Panama. Obwohl die Sonne gerade erst zaghaft aufgegangen ist, sind die Temperaturen schon auf fast 30 Grad geklettert, und die Luftfeuchtigkeit liegt bei mehr als 85 Prozent.

Die Passagiere starren gebannt in Richtung des Lichtes

Dicht gedrängt und leicht schwitzend stehen Dutzende Passagiere auf dem offenen Vorderdeck der „Island Princess“ und starren gebannt in Richtung des Lichtes. Seit rund einer Woche sind sie auf dem Kreuzfahrtschiff unterwegs, sind in Los Angeles eingestiegen und haben Stopps in Mexiko, Nicaragua und Costa Rica hinter sich, nun erwartet sie das Highlight der Reise: die Durchquerung des Panamakanals – 100 Jahre nach der Premiere. Am 15. August 1914 passierte erstmals ein Schiff mit rund 200 Menschen den fertigen Kanal. Rund zehnmal so viele stehen nun an Deck der „Island Princess“ und staunen. Fotoapparate klicken.

Das Schiff ist startklar für die Durchfahrt

„Guten Morgen“, schallt es durch die Lautsprecher. Die Stimme gehört Bill Keene, einem Rentner aus Südkalifornien, der lange Jahre als Architekt und Ingenieur gearbeitet hat. Seit ihm sein Vater vom Kanal erzählte, fasziniert das Megaprojekt den Amerikaner. Heute jobbt er als Experte für den Panamakanal auf Kreuzfahrtschiffen und liefert während der gesamten Durchquerung eine Art Live-Kommentar. „Ich wünsche euch allen einen großartigen Tag im Kanal.“ Dreimal tutet das Horn zum Zeichen, dass das Schiff startklar für die Durchfahrt ist.

Die Skyline kommt langsam näher, als das Schiff am Amador Causeway, einem Damm vor der Stadt, entlangfährt. In einem kleinen Boot kommen drei panamesische Kapitäne an Bord, die den italienischen Kapitän Mariano Manfuso, bei der Durchquerung des Kanals unterstützen. Die Zusammenarbeit mit diesen Piloten sei immer eine große Herausforderung, verrät Manfuso. „Es kommt darauf an, ob sie kooperativ sind. Sie behaupten, dass sie die Kontrolle über das Schiff haben, aber das stimmt nicht. Wir müssen sicherstellen, dass nichts beschädigt wird. Einige sind arrogant, aber die meisten in Ordnung.“

Ursprünglich war der Kanal auf Meeresspiegel-Niveau geplant gewesen

Das Boot steuert die erste von drei Schleusen an. Ein grüner Pfeil weist die linke Kammer zu. Ursprünglich war der Kanal von den Franzosen komplett auf Meeresspiegel-Niveau geplant gewesen, aber die Topografie Panamas ließ das nicht zu. Auf der 82 Kilometer langen Strecke müssen rund 26 Höhenmeter überwunden werden. Vor der Miraflores-Schleuse sind knapp 30 Schiffsvertäuer an Bord gekommen, die Taue an acht elektrische Lokomotiven knüpfen. Noch heute werden die kleinen, silbernen Loks „Mulis“ genannt, denn einst wurde ihre Arbeit von Maultieren erledigt. Schnaufend und bimmelnd machen sie sich daran, das Schiff in die Schleuse zu ziehen. Es riecht nach einem Mix aus Öl, Beton und Tropenwald. Von der anderen Schleusenkammer winken Matrosen eines Frachters fröhlich herüber.

Nur sechs Zentimeter trennen Schiff und Schleusenmauer

Gerade einmal sechs Zentimeter trennen das Schiff auf jeder Seite von der Schleusenmauer, ein äußerst schwieriges Manöver. So viel Verantwortung lasse ihn nachts manchmal kaum schlafen, gibt Kapitän Manfuso zu. Die „Island Princess“ ist ein sogenanntes „Panamax Schiff“ – also maximal rund 294 Meter lang und 32 breit. Mehr passt nicht durch die Schleusen, zumindest zurzeit nicht. Wenn die gerade im Bau befindliche Erweiterung abgeschlossen ist, wird der Kanal zwei neue Schleusen haben, durch die dann auch deutlich breitere und längere Schiffe hindurchpassen sollen.

Auf die Miraflores-Schleuse folgt die Pedro-Miguel-Schleuse, danach fährt das Schiff langsam in das engste Stück des Weges ein, den Culebra Cut. Hier ist die kontinentale Wasserscheide, der höchste Punkt der Strecke und auch der Punkt, der den Erbauern am meisten Schwierigkeiten bereitete: die „Cucaracha“ (Kakerlaken)-Formation. Andauernd rutschte hier während der Bauarbeiten die Erde wieder zurück in den Kanal, eine riesige Erdlawine kurz vor Abschluss verzögerte die Eröffnung des Werks um mehr als ein halbes Jahr.

Die Regierung von Panama kassierte rund eine Milliarde Dollar an Maut-Gebühr

Rund die Hälfte der etwa zehnstündigen Durchquerung ist absolviert, als das Schiff vom Culebra Cut in den Gatun-See einfährt. Große Frachter und Yachten, die am frühen Morgen auf der anderen Seite des Kanals gestartet sind, kommen aus der Gegenrichtung. Etwa 15.000 Schiffe haben 2013 den Kanal passiert. Der Regierung von Panama hat das rund eine Milliarde Dollar an Maut-Gebühr eingebracht. „Die Panamesen betreiben den Kanal sehr gut und organisieren ihn effizienter, als die Amerikaner das getan haben“, sagt Keene.

Im Gatun-See wird es ruhig. Viele Passagiere haben sich in ihre Kabinen zurückgezogen oder machen sich über das Panama-Büfett am Pool her. „Wir bieten spezielle panamesische Gerichte an“, erzählt der deutsche Chefkoch Guido Jendrytzko. „Der Panamakanal ist für uns in der Küche der anstrengendste Tag der ganzen Reise.“

Die meisten Besatzungsmitglieder sind schon Dutzende Male durch den Panamakanal gefahren. „Wenn man es einmal gesehen hat, hat man es gesehen“, sagt Fitnesstrainerin Lischka, und auch Kellner Enrique von den Philippinen geht nicht mehr auf ein Außendeck: „Ach, ich mag den Kanal nicht, zu heiß, wie bei mir zu Hause.“

Das Schiff biegt auf die Zielgerade ein. Nur die Gatun-Schleuse trennt es vom Salzwasser des Atlantiks. Fast alle Passagiere drängeln sich auf den Außendecks, um das Manövrieren entlang der Schleusenwände, die Mulis und die Kanalarbeiter zu beobachten.