Seit 1999 steht ganz Usedom unter Naturschutz. Paddeln, Klettern, Kräuter sammeln – auf Usedom gibt es für junge Gäste viel zu erleben. Eine Hamburger Familie hat es ausprobiert.

Auch wenn der weiße, feine Sand karibisch wirkt – richtig viel los ist für Kinder abseits der Strände. Im Hinterland verzaubern endlose Wiesen, das weite Achterwasser und verwunschene Wälder. Seit 1999 steht ganz Usedom unter Naturschutz.

Ein Teil des Waldes lässt sich im „Kletterwald Usedom“ von Neu Pudagla erklettern. Das Mindestalter für die niedrigste Kletterhöhe auf einem Meter Höhe ist sechs Jahre. Meine Zwillinge Fritz und Franz sind mit ihren acht Jahren also alt genug und treten tapfer zum Sicherheitstraining an. Die Erwachsenen absolvieren den Parcours in schwindelerregenden elf bis 14 Metern Höhe. Die Trainer sind streng. Selbst zum Erklimmen von nur drei Holzbalken ist die Sicherung mit den selbst schließenden Karabinerhaken absolute Pflicht. Die Kids lernen es schnell und führen die Sicherungsvorkehrungen gewissenhaft aus: Immer mit einem der Haken am Baum oder in der Fangleine sichern und die schwere Rolle so lange in der Schlaufe befestigen.

In schwindelerregenden elf bis 14 Metern Höhe in den Kletterwald

Hat man den Miniparcours erfolgreich absolviert, geht es los. Die Kinder sichern zuverlässig, ich selbst vergesse es einmal und kriege prompt eine Verwarnung. Wer ohne Sicherung erwischt wird, bekommt zur Strafe eine gelbe Warnweste verpasst und muss beim zweiten Mal sogar den Parcours verlassen. Die „Looser“, die hinabgepfiffen werden, ausnahmslos junge Männer, sammeln sich unten auf einer Bank und starren demonstrativ auf ihre Handys. Wir dagegen starren unsicher auf die Seile vor uns, die uns jetzt mittels körpereigener Seilbahn zum nächsten Baum befördern sollen. Ein mulmiges Gefühl, nur an seinem eigenen Gurt hängend, frei schwebend und recht zügig auf einen Baum zu sausen und hilflos mit den Beinen in der Luft zu baumeln. Das mit der Seilbahn sieht schlimmer aus, als es ist. Auch das Vorankommen auf schiefen Holzlatten in der Luft ist gar nicht so wild.

Auf einer Schaukel zum Baum schwingen

Haarig wird es, als wir im Erlebnis-Parcours durch eine Röhre robben sollen – denn plötzlich blickt man nach unten. Und schlimm wird es, als wir auf dem gleichen Pfad einzeln auf einer runden Schaukel bis zum „Zielbaum“ schwingen sollen, denn das ist entsetzlich wackelig. Doch als wir auch Skateboard fahren in sechs Metern Höhe überstanden haben, packt uns der Übermut: jetzt der Tarzansprung! Ein freier Sprung an einem Seil ohne Knoten, vielleicht drei Meter weit, hinein in ein riesiges Netz. Und das ist einfach nur noch schrecklich, ein Schock, Schmerzen, verrissene Schultern, taube Arme, Nebel vor den Augen. Jeder von uns hängt nach der missglückten Landung wie eine bedröselte Fliege im diesem Netz und braucht etliche Minuten zur Regeneration. Mit sehr, sehr wackeligem Körper bringen wir diesen letzten Parcours zu Ende und stärken uns im Forsthaus dahinter. Gut, dass Usedom so viele ruhige Seiten hat, denn die braucht man nach dieser Anstrengung.

In Rätenow findet man Ruhe nach dem Sturm

Im Hinterland, in Prätenow, erklärt die „Kräuterhexe“ und Ernährungsberaterin Ina Schirmer, wie die „Brüder“ Spitzwegerich und Breitwegerich gegen kleinere Verletzungen helfen. In ihrem Hofladen verkauft sie unter anderem Köstlichkeiten wie Löwenzahnsirup (mit dem man selbst gemachte Limonade zur kulinarischen Delikatesse adelt), Lavendelzucker, essbare Blütenmischungen, Marmeladen und selbst gefertigte Salben. Einmal wöchentlich beliefert sie drei Restaurants der Insel mit ihren frischen Kräutern. Verzückt lauschen die Kinder, als sie die Geschichte der Brennnessel vorliest – und absolut köstliche, selbst gemachte Brennnessel-Chips dazu anbietet.

Geführte Kanutouren führen ins Hinterland

Im Hinterland lockt auch das weite Achterwasser mit geführten Kanutouren. Schnell Regenhosen, Gummistiefel und Schwimmweste anziehen und reinsetzen ins Seekanu. Eigentlich passt man als Erwachsener den Paddelrhythmus dem des Kindes an, aber bei den ganz Kleinen aus der Gruppe wird das eher schwierig. Egal, da kaum Strömung ist, kommt man trotzdem schnell voran. Die Stille auf dem Wasser beruhigt, allein der Paddelschlag ist zu hören. Lässt sich deshalb der Seereiher vor uns auf einem Anglerpfosten nieder? Mit unseren Guides paddeln wir am Ufer entlang, neben riesigen Schilfhainen. Nach der Pause ist bei vielen die Kraft verschwunden, und das Angebot der kräftigen Guides zum Anbinden und Gezogenwerden wird dankend angenommen.

Der Segelkurs in Ückeritz muss wegen des starken Windes leider ausfallen, doch die Wassersportler haben noch den Joker Motorboot im Ärmel. „Das ist ja noch toller als Kanufahren“, strahlt Franz. „Da muss man sich ja gar nicht anstrengen!“ Selbst den Kite-Surfern wird der Wind zu anstrengend, und sie gesellen sich zu uns ins Café Knatter mit ausgezeichneter Küche.

Für 980.000 pro Jahr Gäste ist die Insel groß genug

Obwohl im vergangenen Jahr knapp 980.000 Gäste auf der Insel waren, ist sie groß genug, um Ruhe und Erholung zu finden. 300 Vogelarten wurden auf der Insel gesichtet, ungefähr die Hälfte brütet hier. Neben Fischreihern staksen Störche durch die Wiesen und bauen ihre Nester in den Dörfern. Einmal muss es dann doch der Strand sein. Mitten im feinsten Sand an der Seebrücke Koserow bietet Claudia Lippert Familienyoga an. Ob sich die Kleinen bei diesen endlosen Sandburg-Verlockungen und all den kleinen Muscheln zum Yoga animieren lassen? Claudia Lippert erzählt eine Geschichte vom Seestern und macht dazu Bewegungen auf der orangefarbenen Matte. Der Seestern, die Biene, die Schlange, die Katze … sind verschiedene Yogastellungen, die zwar unsicher, aber ehrgeizig imitiert werden. Am schönsten finden die Kleinen die Meditation „Traumreise auf deine Wunschinsel“ am Schluss. „Ein Baumhaus, ein Pool, ganz viele Freunde, viel Zitronen-Eis und ein eigener Strand!“ Fritz hat ganz genaue Vorstellungen von seiner Trauminsel.

Deutsche Hausmannskost gibt es in der Herberge

Abends geht es zurück auf den von den Kindern innig ersehnten Stolperhof, der seinen Namen wegen der Nähe zum Ort Stolpe trägt. Dieses ökologische Tourismusprojekt in traumhafter Ruhe stammt ursprünglich aus dem Jahre 1888 und wurde vor 14 Jahren komplett restauriert.

Berit Poppe, die resolute Wirtin, erzählt beim Abendessen mit deutscher Hausmannskost von ihrer Herberge: „Die Alkoven in euren Zimmern sind besprochen. Träumt ihr also in der ersten Nacht darin etwas Schlechtes, müsst ihr es am nächsten Morgen gleich jemandem erzählen – weg damit. Träumt ihr allerdings etwas Gutes, müsst ihr einen Tag lang die Klappe halten. Dann erfüllt sich der Traum!“ Etliche Briefe hat sie schon erhalten, in denen sich junge Gäste überschwänglich für erfüllte (Nintendo-)Wünsche bedanken. Die Kinder sind begeistert von den „Schrankbetten“– und schlafen sofort tief und fest darin ein.

Für schlechtes Wetter gibt es ein großes Spielzimmer

Auf dem ruhigen, 200.000 Quadratmeter großen Gelände kann man auf einem riesigen Rasen rennen und Fußball spielen, in einen kleinen Schwimmteich springen, den freundlichen Hofhund Luca ausführen, eine geführte Reittour machen und alle möglichen Tiere des Hofes bewundern, die ebenfalls auf riesigen Grundstücken leben. Gänse und Hühner haben auf ihrem sogar einen See! Die Schweine mit Hofschwein Arabella der Dritten residieren zwischen Büschen und Kräutern, Kühe und Pferde samt Minipony Fritzi sind tiefenentspannt. Selbst die Meerschweinchen huschen auf mehr Quadratmetern herum als vielen deutschen Haushalten zur Verfügung stehen.

Für ganz schlechtes Wetter hat die Wirtin vorgesorgt und ein großes Spielzimmer eingerichtet. Doch draußen auf dem Hofgelände ist es so schön, dass es kaum genutzt wird. Gerade ist ein Storch auf dem Dach gelandet.