An der Côte d’Azur wird beim Feiern manchmal scharf geschossen und mit Zitronen gehandelt. Ein touristischer Umzug von Sainte-Maxime über Saint-Tropez bis Menton

Bang! Bumm! Bang! Wer unter Schluckauf leidet, sollte nach Sainte-Maxime reisen. Dort wird er umgehend geheilt, denn so viele Schreckmomente wie beim Fête Votive gibt es selten. Zu Ehren der Namenspatronin, der heiligen Maxime, zieht eine Prozession jedes Jahr im Mai kreuz und quer durch den hübschen Ort an der Côte d’Azur. Ausgestattet mit Gewehren aus der Zeit Napoleons ballern die sogenannten Bravadeure immer wieder los. Von morgens 9 Uhr bis abends 21 Uhr. Zwei Tage lang. Zwischendrin spielt die Kapelle, aber nur, um die Zeit zu überbrücken, die die Männer benötigen, um ihre Büchsen wieder mit Schwarzpulver zu stopfen. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Jeder Franzose trägt Ohropax. Nur die naiven Touristen, die bei einer Parade an das heimische, harmlose Schützenfest dachten, halten sich die Ohren zu und begreifen erst langsam, dass es bei diesem Fest ganz anders zu Sache geht. Militärischer. Bei den Gewehren handelt es sich zwar nur um Repliken. Aus Sicherheitsgründen – und weil sonst alle schwarze Gesichter durch das Pulver hätten – darf jedoch nur auf den Boden geschossen werden. Ein Bravadeur erwischte dabei leider mal seinen eigenen Fuß, aber eine anständige Tradition braucht auch ihre Legenden.

Zur Feier des Tages werden die Süßigkeiten vom Priester gesegnet

Das Fest Votive begann 1968 mit nur ein paar Personen. Sie wollten ihr Heimatgefühl ausdrücken, das sich zwischen den zahlreichen Ausländern zu verlieren drohte. Schon im 19. Jahrhundert hatte sich das milde Klima unter begüterten Engländern und Russen herumgesprochen, die ihre Winter fortan nicht mehr in der ungemütlichen Heimat verbringen wollten. In den 1820er-Jahren lebten bereits mehr als 100 britische Familien an der Küste, die zu der Zeit noch keinen Namen trug. Sie wurde 1887 durch den Schriftsteller Stephen Liégeard getauft, der in dem Jahr einen Roman über das Leben der Hautevolee unter dem Titel „Côte d’Azur“ veröffentlichte. Anfangs handelte es sich um eine Winterdestination, doch die Hochsaison hat sich immer weiter auf den Sommer verschoben, auch durch die vielen Feste, die hier stattfinden. Wer will, kann fast jeden Tag an einem anderen Ort etwas feiern, und sei es auch nur sich selbst mit einem Glas Rosé oder Pastis in der Hand.

Am Fête Votive sind Hunderte Personen beteiligt. Die Frauen tragen traditionelle Kostüme, die Männer Uniformen, die Musiker eine Art Marinelook, die Priester die Statue von Maxime, und die Hunde ziehen den Schwanz ein. Fotografen versuchen die ungewöhnlichen Szenen einzufangen, was schwer fällt, da der Rauch den ganzen Ort verschleiert. Jemand hat den Schuss nicht gehört? In Sainte-Maxime unmöglich. Bis auf den Lärm hat das Spektakel durchaus seinen Reiz, überall sind Blumensträuße in Blau-Weiß (die Stadtfarben) und Porträts der Heiligen ausgestellt. Diese Tochter des Grafen von Grasse kehrte im 8. Jahrhundert ihrem Schloss inklusive Prunk und Protz den Rücken und entschied sich für ein Leben im Kloster. In der Kirche gibt es ein Fensterbild der Schutzheiligen. Es zeigt die Adelige, wie sie einen Koffer voll Geld ablehnt. Am Eingang werden vor der Messe Galettes verkauft, die der Priester weiht. Süßigkeiten, die von ganz oben abgesegnet werden, schmecken herrlicher als ganz normale Kalorien und findet deshalb unter den Einheimischen großen Gefallen.

Sainte-Maxime liegt im Südosten der Provence, geschützt vom 60 Kilometer langen Massif des Maures. Im Hintergrund sieht man die schneebedeckten Berge der Alpes Maritimes. Wer will, kann in gut zwei Stunden auf der Skipiste stehen. Doch unten am Meer ist es schöner. Nicht wegen der Strände, die an der Küste häufig klein und kieselig sind und direkt unterhalb der Straße verlaufen, sondern wegen der Stimmung und der Architektur. Es gibt überbaute Passagen, alte Brunnen, Villen mit Säulen und Mosaiken, elegante Brücken sowie viele Art-déco-Elemente, am Casino zum Beispiel ein Relief der Schwimmenden von Pompini. An der Promenade verkaufen Trödler ihre Schätze, Kinder fahren Karussell, und die Alten spielen Boules. Klack, klack, klack – das ist der Klang der Provence auf jeder freien Sandfläche. Der Pétanques-Platz wurde nach dem schwedischen Prinzen Bertil benannt, der in Sainte-Maxime ein Haus hatte und gerne mit den Einheimischen silberne Kugeln durch die Luft warf.

Im Boot nach Saint-Tropez, vorbei an Villen, die Liebesgeschichte schrieben

Das auffälligste Gebäude liegt oberhalb der Altstadt, das Château Gaumont, wegen seiner zwei Türme auch Les Tourelles genannt. Der französische Filmpionier Léon Gaumont, der hier mit seinen Schauspielern hauste und seine ersten Stummfilme drehte, hätte sicher nicht gedacht, dass sich sein verwunschenes Schloss im Belle-Époque-Stil mit Palmengarten eines Tages in den Händen einer deutschen Gewerkschaft befinden würde. Mitglieder erhalten die Zimmer und umliegenden Ferienwohnungen 15 Prozent günstiger als andere Gäste. Dadurch erklärt sich, warum ausschließlich Autokennzeichen aus Deutschland in der Auffahrt parken. Sogar im Winter machen sich viele auf den weiten Weg, denn Saint-Maxime stirbt außerhalb der Saison nicht aus. „Hier ist immer was los, es handelt sich eben um ein echtes Dorf“, sagt Annemarie Sabathe. Seit 30 Jahren lebt und liebt sie diese Ecke an der Côte d’Azur. „Wer will schon im überteuerten Saint-Tropez wohnen? Da herrscht ab November doch Totentanz.“ Im Sommer jedoch lässt man in der Jetset-Hochburg die Korken knallen, und natürlich muss man sich dieses Spektakel einmal antun.

Saint-Tropez liegt direkt gegenüber von Saint-Maxime auf der anderen Seite der Bucht. Im Märchen wäre das nette, unauffällig hübsche Sainte-Maxime Schneeweißchen, und das etwas arrogante, schicke Saint-Tropez Rosenrot. Mit der Personenfähre, die alle 20 Minuten startet, braucht man nur 15 Minuten von der einen zur anderen Schwester. Mit dem Auto können es in der Saison locker zwei Stunden werden, weil die Uferstraße von Sainte-Maxime nach Saint-Tropez dann zu einem einzigen langen Stau verkommt. Das Boot (13 Euro hin und zurück) fährt in der Bucht von Canoubiers an VIP-Villen vorbei, die Liebesgeschichte schrieben: Der Pool, an dem sich Romy Schneider und Alain Delon rekelten. Das Anwesen, auf dem Dodi und Diana ihren letzten Sommer verbrachten. Und dann natürlich „La Madrague“, Brigitte Bardots Haus, über das Gunter Sachs Rosen regnen lies. Je t’aime Klatsch und Tratsch, und davon bietet Saint-Tropez mehr als genug. Letztens schmiss Ivana Trump bei einem Wutanfall ihre Louis-Vuitton-Taschen aus dem Fenster, und Johnny Depp wurde von einer Touristin für einen Penner gehalten. Sie konnte gar nicht verstehen, dass er ihr Geld nicht annehmen wollte.

Dabei spielt Geld in Saint-Tropez durchaus eine Rolle. Zwei kleine Kugeln Eis im ältesten Café Senequier kosten 13 Euro, kein Wunder, dass die Französinnen so dünn sind. Wer seine Yacht in dem kleinen, aber feinen Hafen parken möchte, zahlt mindestens 500 Euro Liegegebühr am Tag. Das juckt natürlich niemanden, der 5000 Euro allein für Benzin zahlt, wenn er mit seiner fünfgeschossigen Yacht inklusive Helikoper-Landeplatz ein paar Kilometer bis zum berühmten Strand von Pampelonne schippert. „Seit 300 Jahren haben wir die Reichen und die Künstler bei uns zu Gast“, sagt Claude Maniscalco, Tourismus-Direktor der Stadt. Sein Job scheint eigentlich überflüssig. Fünf Millionen Besucher jährlich, damit ist die 5000-Seelen-Gemeinde nach Paris die meistbesuchte Destination Frankreichs. Zur Hochsaison treten sich die Touristen in der pittoresken Altstadt gegenseitig auf die Füße. Doch kein Problem: Im Traditionsgeschäft Rondini kann man sich gleich neue Sandalen machen lassen.

Die Japaner kommen zum Heiraten extra in die Stadt ihres Helden Cocteau

Auch Saint-Tropez ballert zu Ehren seines Schutzheiligen Torpès jedes Jahr im Mai zwei Tage lang drauflos. „Doch wir sperren die Stadt dann ab. Es soll wirklich nur um das historische Bewusstsein der Bewohner und ihre Traditionen gehen und kein Folklore-Ding als Touristenattraktion sein“, sagt Maniscalco. Während des Festes werden weder Hotelzimmer vermietet noch Boote im Hafen aufgenommen. „So viel Intimität haben wir uns einmal im Jahr verdient“, findet Dany Lartige, einer der Bravadeure. „Wir sind sehr patriotische Menschen.“ Und ausnahmslos Fans von Brigitte Bardot. In jedem Restaurant, vor jeder Bar, in jedem Laden hängt ein Bild der Frau, die mit ihrem Film „...und ewig lockt das Weib“ 1956 sich selbst und Saint-Tropez sexy in Szene setzte.

Die Côte d’Azur prägte unzählige Künstler. Fast alle kamen wegen des Lichts. Die Orte überbieten sich gegenseitig mit der Anzahl an Sonnentagen, Sainte-Maxime trumpft mit 300 im Jahr auf. „Als ich verstanden hatte, dass ich dieses Licht jeden Morgen wieder sehen würde, konnte ich mein Glück kaum fassen...“ schrieb Henri Matisse. Letztes Jahr soll der Winter auf einen Donnerstag gefallen sein.

Ein Teil von Matisses Werken hängt im Museum Jean Cocteau Sammlung Severin Wunderman, das jeder Kunstfreund einmal besichtigen sollte. 2011 wurde das 2700 Quadratmeter große Gebäude am Hafen von Menton eröffnet. Schon die Außenansicht wirkt spektakulär; drinnen wird es noch besser: Neben 1100 Werken des Universalgenies Jean Cocteau, der malte, dichtete und Filme drehte, sind einige seiner Freunde Picasso und Matisse ausgestellt. Bei einem Rundgang bekommt man das Gefühl, sich im schönsten Ateliers Europas zu befinden. In der nur wenige Meter entfernt gelegenen Bastion aus dem 17. Jahrhundert finden sich weitere Stücke Cocteaus, und im Rathaus von Menton gestaltete er den Hochzeitssaal. Dieser Arbeit ist es zu verdanken, dass sich heute jeden Sonnabend zahlreiche festlich gekleidete Japaner in Menton versammeln. In ihrer Heimat genießt Cocteau großes Ansehen, und manche Verehrer kommen extra zum Heiraten an die Wirkungsstätte des fantasievollen Künstlers, der auf beide Geschlechter und Opium stand.

In Les Issambres gibt es bereits einen sogenannten „Hamburger Hügel“

Cocteau lebte ab 1955 in Menton, das den Titel „Stadt der Kunst und der Geschichte“ trägt und direkt an der Grenze zu Italien liegt. Hier funktioniert Europa perfekt: Die Italiener fahren wegen des günstigeren Benzins nach Frankreich, die Franzosen zum Zigarettenkaufen (zwei Euro billiger) nach Italien und alle gemeinsam zum Arbeiten nach Monaco. Der Rest der Welt reist dann zum Zitronenfest im Februar und März an. Die Zitronen von Menton sind wegen des besonderen Klimas der Region größer und süßer als anderswo. Die „Citron de Menton“ gilt wegen des Duftes ihrer Schale und ihres Geschmacks als die kostbarste der circa 80 bekannten Sorten und ist das Symbol der Stadt. Seit 1934 feiern die Mentonesen ihre Frucht mit einem 20-tägigen Fest. Sauer macht lustig. Aus 140 Tonnen von Zitronen und Orangen bauen sie zehn Meter hohe Figuren und ziehen sie auf Umzugswagen vorbei an den Palästen der Belle Époque und den historischen Gärten von Frankreichs östlichster Küsten-Stadt. „Der Duft beschwingt die Leute regelrecht“, sagt Gebhard Spindler, der aus der Lüneburger Heide nach Menton zog und dort als Fotograf arbeitet.

Ohnehin trifft man viele Deutsche an der Côte d’Azur. Manche bleiben für immer, manche kommen immer wieder wie Britta Zilch-Neumann. Die Hamburgerin liebt zwar die reinigenden norddeutschen Winde, von denen sie bei ihrem Job im Grand Hotel Heiligendamm genug abbekommt. Doch im Urlaub schätzt sie die französische Leichtigkeit des Seins. Sie fährt dann nach Les Issambres, ein kleiner Ort, sieben Kilometer entfernt von Saint-Maxime, in dem man bereits von einem „Hamburger Hügel“ spricht, weil so viele Norddeutsche dort wohnen. „Wir kennen uns untereinander, und bei Neuzugängen sorgen wir für das Kennenlernen“, sagt Britta Zilch-Neumann.

Die deutsche Gemeinschaft unternimmt Ausflüge ins Hinterland, fährt gemeinsam auf den Markt, besucht die Strandrestaurants von Saint-Tropez oder kulturelle Veranstaltungen wie die Festspiele von Aix-en-Provence. „Geburtstage, Hochzeiten, Jahrestage, kurz: alles, was es zu feiern gibt, findet miteinander statt.“ Wir ahnten es bereits: Frankreich ist ein Fest.