Eine Reise in das asiatische Land lohnt sich nicht nur wegen der Pagoden, Buddhafiguren und Tempel, sondern bietet auch einen Einblick in eine Handwerkerkunst, die es so bei uns schon lange nicht mehr gibt.

Es sind immer drei Stangen, die Ma Aye aus dem Korb neben sich holt. Vorsichtig ritzt das Mädchen sie mit einem Messer an und bricht sie durch. Spinnenwebenfein sind die Lotusfäden, die sie aus den Stängeln zieht und mit einem langen Faden verknüpft. Eine halbe Spindel hat sie bereits geschafft. „Dafür habe ich 14 Tage gebraucht“, sagt die 14-Jährige, die bereits vor zwei Jahren die Schule beendet hat. Lotusfäden ziehen ist eine mühselige Arbeit, zumal ihre Spindel dann noch einmal mit einer anderen zu einem noch dichteren Faden versponnen werden muss. Das macht eine ältere Frau, die gleich neben Ma Aye auf dem Boden sitzt. An großen Holzwebstühlen werden die Lotusfäden dann gleich zu beigefarbenen Stoffen gewebt und im Laden verkauft – überwiegend an Touristen. Kaum ein Myanmare kann sich die edlen Schals aus Lotus ab umgerechnet etwa 80 Euro leisten. „Das ist wirklich etwas ganz Besonderes hier am Inle-See. Wir kaufen höchstens mal ein Stückchen Lotusstoff für religiöse Zwecke oder verschenken es an einen hochrangigen Mönch“, erzählt unsere Führerin Win Win, die mit uns eine Rundfahrt über den Inle-See, Myanmars zweitgrößten See, macht und uns von einem Handwerksbetrieb auf Stelzen zum nächsten bringt.

Eine Woche brauchen die Handwerker für den Bau eines Fischerbootes

Wie überall in den Handwerksbetrieben in Myanmar werden wir auch hier in das vorindustrielle Zeitalter zurückgeworfen. In dem beeindruckenden asiatischen Land, das in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine politische Öffnung erfahren hat, wird fast alles noch von Hand produziert. Wir bekommen eine Vorstellung davon, wie mühsam die Herstellung von Stoffen, Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen einmal auch bei uns gewesen sein muss. Die vielfältige Handwerkskunst des Landes ist genauso spannend wie die freundlichen Menschen und die Pagoden, Tempel und Buddhafiguren.

Nach der Weberei steuern wir eine Silberwerkstatt ein Stelzendorf weiter an, in der sogar das Silbererz noch in seine vier einzelnen Teile – Blei, Zink, Kupfer und Silber – zerlegt wird. Mit einem Blasebalg erhitzt der Silberschmied das edle Metall, fügt es zusammen, bis es am Nachbartisch zu filigranen Kunstwerken verarbeitet wird.

Eigentlich ist der Inle-See im Osten des Landes berühmt für seine Einbein-Fischer, die auf wackeligen kleinen Booten stehen, das Ruder mit einem Fuß umschlungen halten und mit einer Reuse Fische fangen. Das sieht kunstvoll aus und ist ein perfektes Fotomotiv, aber für den Fischer Schwerstarbeit. Die Teakboote werden in Betrieben auf dem See produziert. Mit Handsägen schneiden die Bootsbauer Bretter, verbinden sie mit Holznägeln und verdichten sie mit Lack – einem schwarzen Baumsaft, der auch für die berühmten Lackarbeiten in Bagan genutzt wird. Eine Woche brauchen die Handwerker für ein Fischerboot, einen Monat für die größeren Boote, mit denen bis zu fünf Menschen und die Waren zu den Märkten transportiert werden. Auf dem See gibt es große Gemüsefelder – schwimmende Gärten mit Tomaten, Gurken und Blumen, die zu durchfahren ein fast sinnliches Erlebnis ist.

Dem schwarzen Lack begegnen wir auch in einer kleinen Schmiede in der Nähe von Mandalay, in die uns unser Führer Zew Aung spontan bringt. Die Gegend um Mandalay, eine eher laute, unschöne Stadt, ist bekannt durch ihre ehemaligen Königsstädte Ava und Amarapura und die längste Teakholzbrücke der Welt, U Bein. Doch wir haben Zew Aung gebeten, uns statt noch weiterer Pagoden lieber das Leben der Myanmaren zu zeigen. Die Spontaneität ist uns möglich, da wir nur zu zweit statt mit Reisegruppe unterwegs sind – sehr zu empfehlen, wenn man wirklich Land und Leute spüren und etwas unabhängiger sein möchte.

Die Schmiede ist Produktionsstätte für die Essbehälter der Mönche, die eine traditionelle Form haben: ovale, schwarz lackierte Metallschalen mit einem Deckel aus lackiertem Bambusgeflecht. Jeden Morgen sieht man rot gewandete buddhistische Mönche mit solchen Schalen von Haustür zu Haustür laufen und um Essen bitten – barfuß, so will es die Religion. Die Mönche leben von den Spenden der Myanmaren, dafür bieten sie geistlichen Rat, Bildung für die Ärmsten und nehmen sich der Waisenkinder an. Ihre Essschalen sind nicht neu, sondern werden aus den Deckeln alter Ölfässer recycelt. Um sie rund zu bekommen, schlagen die Handwerker ununterbrochen mit Hämmern auf das Blech ein – eine Knochenarbeit.

Noch viel mühsamer mutet jedoch die Herstellung von Blattgold an, das die gläubigen Myanmaren (also 85 Prozent der Bevölkerung) auf besonders heilige Buddhafiguren kleben. Wie zum Beispiel im Süden Mandalays auf den Mahamuni-Buddha, die am meisten verehrte Buddhafigur im ganzen Land. An der 3,8 Meter hohen Bronzefigur ist nur noch das Gesicht zu erkennen, der restliche Körper ist unter Millionen Goldblättchen verborgen und wirkt etwas unförmig. Nur Männer dürfen die Statue berühren. In Mandalay gibt es eine ganze Straße mit Goldplättchen-Herstellern. Die muskulösen Handwerker arbeiten mit freiem Oberkörper und verwandeln durch stundenlanges Hämmern die durch Pergamentblätter getrennten Goldplättchen zu immer zarterem Blattgold. Das wird dann von Arbeiterinnen auf Papier geklebt und in Zehnerpacks für etwa 3,60 Euro verkauft. Alleine die Herstellung des rissfesten Pergaments dauert Monate.

Myanmarische Akkordarbeit lernen wir in einer Erbsenpaste-Fabrik in Bagan kennen. Die Hülsenfrüchte, die als Paste in fast jedes Currygericht kommen, werden in riesigen Töpfen über offenem Feuer zu einem schwarzen Brei gekocht. Sobald der abgekühlt ist, entnimmt eine Arbeiterin mit einer kleinen Schale eine Masse, schlägt sie in Plastik ein, das von einer weiteren Arbeiterin an einem Holzofen zu einem Tütchen verklebt wird. Die nächste packt es in ein größeres Tütchen, das dann zugeklebt wird. Nun sieht es aus wie ein normales Fabrikprodukt, hygienisch nicht einwandfrei, aber sehr aufwendig hergestellt. Wie alles in dem Land. Selbst die Herstellung eines Lackkästchens dauert bis zu einem halben Jahr, weil die Lackschichten immer wieder tagelang trocknen müssen und Muster von Hand eingeritzt und in verschiedenen Ebenen eingefärbt werden. Jeder Longyi, das Tuch, das sowohl Männer als auch Frauen um die Hüfte tragen, wird handgewebt – es gibt Longyis in einfacher Baumwoll- oder hochwertiger Seidenqualität, zu Spottpreisen ab etwa drei Euro. Wer einmal gesehen hat, wie eine Weberin Stunde um Stunde am Webstuhl sitzt und die vielen farbigen Schiffchen zu wunderschönen Stoffen verwebt, möchte auf den Märkten kaum noch handeln. Die Preise sind auch nur zu halten, weil eine Arbeiterin rund zwei Dollar pro Tag verdient.

Zum Abschluss besuchen wir den 1924 gegründeten Bogyoke Aung San Market im Zentrum von Myanmars größter Stadt Rangun. Dort erhält man Handwerkskunst, die das Land zu bieten hat: Jadefiguren, Silber- und Goldschmuck, Öl- und Sandbilder, gewebte Umhängetaschen, Longyis in allen Farben. Das meiste ist Handarbeit, aber einige Produkte kommen bereits aus China. Nicht auszudenken, wenn hier die großen Maschinen der Chinesen Einzug halten, Hunderttausende Myanmaren wären arbeitslos. Ein Grund mehr, schnell nach Myanmar zu reisen, in dieses überwältigend schöne Land.