Die Veluwe, ein Gebiet mit ungewohnten Landschaften in den Niederlanden, erkundet man am besten auf Gratis-Rädern

Beginnen wir mit einem Geständnis: Wir sind ein bisschen faul. Wir campen gern, am liebsten mitten in der Natur, bauen aber nur ungern ein Zelt auf. Menschen wie wir sind eine Marktlücke, das habe kluge Anbieter längst erkannt. Und so steht unser Zelt mit frisch bezogenen Betten auf einer Waldlichtung am Rande eines großen Ferienparks, in einem Halbrund mit vier weiteren „Safarizelten“. So etwas ist sehr angenehm und nervenschonend für Eltern, die mit Kindern in den Urlaub fahren. Unser Zelt hat sogar einen Ofen. Das wiederum ist sehr beruhigend für Eltern, die mit ihren Kindern nicht in den warmen Süden, sondern in die Niederlande fahren. Denn die Nächte in der Veluwe sind mitunter frisch, selbst im Hochsommer.

Man kann eine Weile damit zubringen, einfach nur so vor seinem Zelt zu sitzen und zu lauschen. Außer Vogelgezwitscher und Kinderstimmen hört man nicht viel. Doch dann will man vielleicht doch etwas mehr wissen über diese ganz und gar untypische niederländische Region. Glaubten wir bislang, in den Niederlanden gebe es weder Wald noch Hügel, so werden wir hier eines Besseren belehrt. Die Veluwe ist das größte Waldgebiet der Niederlande, mit Anhöhen von über 100 Metern.

Die einfachste Möglichkeit, diesen Wald näher kennenzulernen, ist ein Besuch von De Hoge Veluwe. Der größte Nationalpark des Landes befindet sich im Herzen der Region und wird von einer privaten Stiftung betrieben. Man muss also zunächst an einem der drei Eingänge Eintritt entrichten. Dann darf man sich aber auch eines der 1700 weißen Räder nehmen und einfach losradeln. Die Idee mit dem Gratis-Rad für jedermann stammt eigentlich von den Provos, einer anarchistischen Bewegung, die in den 1960er-Jahren die Luft in Amsterdam verbessern wollte. Hier, in der niederländischen Provinz, hat sie sich durchgesetzt. Die Räder haben keine Klingel, keine Gangschaltung und auch kein Licht, aber einen robusten Rahmen, breite Reifen und einen höhenverstellbaren Sattel. Sie sind angenehm leichtgängig, auch Kinder sausen damit über die asphaltierten Radwege, die sich durch den Park schlängeln. Naturliebhaber mögen vielleicht anfangs noch die Nase rümpfen: Asphalt, ausgerechnet hier! Aber der Boden ist oft sandig, eine Radtour wäre sonst eine strapaziöse und freudlose Angelegenheit.

Zwei ausgeschilderte Routen führen durch den Park. Auf der gut zehn Kilometer langen Nordstrecke herrscht bisweilen reger Betrieb, vor allem wenn Schulklassen oder Busgesellschaften unterwegs sind. Auf der mit 26 Kilometern deutlich längeren Südroute fährt es sich wesentlich entspannter. Wer beide Strecken kombiniert, radelt durch Laub- und Nadelwald, durch Heide und Moor, ja sogar durch eine Mini-Wüste. Dass dieser Nationalpark auch Lebensraum für unzählige Tierarten ist, darunter Rothirsche, Wildschweine und Mufflons, davon bekommen wir trotz einiger Wildbeobachtungsstationen wenig mit.

Nach so einer Fahrradtour könnte man sich entkräftet über einen Pfannkuchen hermachen, gäbe es da nicht noch das Kröller-Müller Museum. Park und Museum verdanken ihre Existenz dem Ehepaar Anton und Helene Kröller-Müller. Die Familie war Anfang des 20. Jahrhunderts eine der reichsten in den Niederlanden. In der Veluwe verwirklichte sich Helene Müller, Tochter eines Stahlindustriellen aus dem Ruhrgebiet, ihren Lebenstraum: ein eigenes Museum für all die Werke, die sie auf Auktionen und im Kunsthandel erworben hatte. Den Bau schuf kein Geringerer als Henry van der Velde. Das Haus beherbergt heute unter anderem die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung der Welt – über 270 Werke, darunter so bekannte wie die „Brücke von Arles“, „Caféterrasse am Abend“, „Der Sämann“ und „Die Kartoffelesser“. Den Werken eines van Gogh können auch Kinder eine Menge abgewinnen, mehr noch aber dem angrenzenden Park mit seinen Skulpturen, vor allem einer begehbaren Großplastik von Jean Dubuffet. Auguste Rodin und Henry Moore haben es da ungleich schwerer. Ob mit oder ohne Kinder, es empfiehlt sich auf jeden Fall, erst das Museum zu besuchen, am besten gleich nach Öffnung um zehn Uhr. Danach kann man immer noch durch den Park radeln.

Den Besonderheiten der regionalen Flora und Fauna nähern wir uns bei einer Führung mit Roel Koehoorn. Der 67-Jährige hat vor 14 Jahren seinen anstrengenden Job als Finanzmanager an den Nagel gehängt und widmet sich nun ganz seinem Hobby: dem Wald. Wer mit dem Naturfreund zwei Stunden durch das Unterholz der Veluwe streift, weiß danach, dass ein männliches Rotkehlchen nicht nur zum Lobe des Herrn singt, wie Koehoorns gottesfürchtige Mutter noch glaubte, sondern um das eigene Territorium zu sichern oder ein Weibchen zu locken. Er kennt auch die Spuren von Hirsch, Reh, Wildschwein und Dachs, denn Koehoorn führt in einer Tasche die Pfoten all dieser Tiere mit sich und drückt sie in den weichen Waldboden. Die Quelle eines Flusses, den Eingang zu einem Dachsbau, den Morast, in dem sich die Wildschweine suhlen – alles haben wir gesehen. Nur Tiere haben wir wieder keine zu Gesicht bekommen, außer einem Mistkäfer.

Am Ende aber weiß auch Koehoorn, dass Städter, die in die Veluwe kommen, vor allem eines wollen: Wildschweine sehen. Er fragt dann immer: Wie viel Zeit haben Sie? Was, nur drei Stunden? Dann bleibt nur eins: „Het Aardhuis“. König Wilhelm III. ließ dieses dunkle Chalet mitten in der Veluwe errichten, Tochter Wilhelmina ritzte hier ihre Initialen mitsamt Krone in einen Baum. Heute ist dieser Wildpark der beste Ort weit und breit, um Wildschweine, aber auch Rot- und Damhirsche aus der Nähe zu beobachten, vor allem bei der Fütterung, die an Wochenenden sowie im Juli und August und in den Herbstferien täglich um 14 Uhr stattfindet. Dann kommen die Frischlinge im Schweinsgalopp angerannt, und selbst den Keiler könnte man mal streicheln, nur hält man intuitiv lieber etwas Abstand.

Und noch einen Tipp hat Koehoorn parat: Kootwijkerzand, eine Flugsandfläche im Westen von Apeldoorn, die im Laufe der letzten 100 Jahre zwar immer kleiner geworden ist, aber mit über 700 Hektar immer noch als größte Wüste Westeuropas gilt. Für Kinder ist es eine riesengroße Sandkiste, dank des feinen Nordseesandes, der im Zuge der letzten Eiszeit hierherbefördert wurde. Vereinzelt ragen knorrige Waldkiefern aus dieser Wüste. Das vom Wind freigelegte Wurzelwerk eignet sich bestens zum Klettern. Noch so eine Landschaft, die man in den Niederlanden nicht unbedingt erwartet.