Die älteste Wüste der Welt schenkt Besuchern magische Momente. Sterne sind zum Greifen nah, bei Sonnenuntergängen brennt der Himmel.

Sand. Sand. Sand. Keine Düne gleicht der anderen. Bizarre Hügel, von Winden geformt. Jede Erhebung ein perfektes Kunstwerk der Natur. Ohrengeier kreisen lautlos über dem Sossusvlei, wo Kameldorn-Bäume und verdorrte Stämme in der trockenen Lehmerde wurzeln. Ein Schakal reißt Fleischfetzen aus einer Antilope, die er zuvor erlegt hat. Noch leuchtet der Halbmond in der dunkelblauen Dämmerung, begleitet vom letzten sichtbaren Stern am Himmel – der Venus.

Es ist früher Morgen. Schritt für Schritt erklimmen gut zwei Dutzend Urlauber den Grat zum Gipfel des Big Daddy, mit 380 Metern eine der höchsten Dünen in der ältesten Wüste der Welt – der Namib. Tief atmend treten die Wanderer ihre Spuren in den roten Sand, der sich wie Puderzucker anfühlt und unter den Sohlen wegrieselt. Noch ist er kühl von der Nacht und sogar barfuß betretbar. Gegen sieben Uhr schickt die Sonne ihre ersten Strahlen über die Dünen. Sie tauchen den Himmel im Osten in gelb-orangenes Licht. Im Westen verfärbt sich die Luft rosa-lila-blau.

Ein spektakuläres Farbenspiel beginnt. Die aufsteigende Sonne nutzt ihre Strahlen wie einen Pinsel. Lässt den Sand mit jedem Meter, den sie höher gen Zenit klettert, in immer neuen Rot- und Brauntönen leuchten. Die Hügel werfen ihre Schatten auf die Nachbarberge und geben den Hängen zusätzliche Konturen. Ein optisches Drama aus Licht und Farben, bis der wolkenlose Himmel in kräftigem Blau erstrahlt. Manche packen ihr Lunchpaket aus, sitzen im Sand und frühstücken, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt, gedankenversunken. Andere rennen oder kugeln die Hänge hinunter, juchzen und lachen. Herrliche Kinderfreuden – auch für Erwachsene.

Die Wüsten in Namibia sind magisch. Orte voller Extreme und Wunder. Eine existenzielle Herausforderung für Menschen, Tiere und Vegetation. Die Temperaturen schwanken zwischen bis zu 50 Grad am Mittag und null Grad in der Nacht. Wasser ist Mangelware. Manchmal regnet es in einem Jahr gar nicht oder nur wenige Millimeter. Eigentlich ist es total unwirtlich und lebensfeindlich. Und dennoch zieht die Wüste an, zumindest Touristen, die nicht dauerhaft hier leben müssen. Es lockt das Nichts, dieser leere, verlassene Ort – wie die Ureinwohner den Namen Namib übersetzen. Die tiefen Canyons, ausgetrockneten Flussläufe und Gebirge, die vor Millionen Jahren noch Ozeanböden waren. Naturbelassene Landschaften, denen ein gemeinsamer Zauber innewohnt: ihre unendliche Weite bis zum Horizont. Sie sind eine Kur für Augen und gestresste Seelen, für Individualisten, die Natur pur suchen.

Die Namib ist zwar nicht die größte, aber die älteste Wüste der Erde. Geschätzt fünf Millionen Jahre soll sie auf den Buckeln haben. 700 Kilometer lang ziehen sich die Dünen entlang der Küste am kalten Atlantik vom Kuiseb Canyon im Norden bis zum Koichab-Fluss im Süden – dem Namib Naukluft Park. Hunderte Meter hohe Dünen prägen das Panorama, wie ein wogendes Meer mit Mammutwellen, das in seiner gigantischen Größe nur aus der Luft – per Flugzeug oder Ballonfahrt – in seinem ganzen Ausmaß erfasst werden kann. Der Großteil der Wüste, die bis zu den rund 160 Kilometer landeinwärts liegenden, fast 1900 Meter hohen Tsaris- und Naukluftbergen reicht, ist schwer oder nicht begehbar. So auch das Namib-Sandmeer, das seit 2013 Unesco-Welterbe ist. Es gibt aber auch mehrere angrenzende private Reservate, wo Wüste hautnah erlebt werden kann.

„Die Wüste ist das Land, das Gott geschaffen hat, als er wütend war“, zitiert Mark Hays ein namibisches Sprichwort. Er ist Begleiter unserer Gruppe von sechs Leuten bei einer 2000 Kilometer langen Tour, die vom Rand der Kalahari-Wüste über Namib-Wüste, Namib Rand sowie Tschauchab River bis zum Gamsberg und GocheGanas bei Windhoek führt. Es sei eine wunderschöne Landschaft aus Bergen und Ebenen, aber eben auch sehr hart für alle Lebewesen. Mark – man duzt sich in Namibia – kennt sich aus. Der 44-Jährige lebt bereits in dritter Generation in Namibia. Einst verschlug es seine Oma Käthe aus Hamburg der Liebe wegen hierher. Heute bezeichnet er sich als „echter Küstenjung aus Walvis Bay“, spricht drei Sprachen fließend: Deutsch, Englisch und Afrikaans. Auch in den Stammessprachen der Damara oder Herero kennt er die wichtigsten Grußworte. Selbst die zungenbrecherischen Klick- und Schnalzlaute der Nama gehen ihm über die Lippen.

Mark ist typisch für viele Menschen in Namibia. Er ist offen, freundlich, knüpft schnell Kontakte und schwärmt von seinem Land: „Wir leben mit mehr als 13 Stämmen friedlich zusammen. Namibia kann Vorbild für viele andere afrikanische Staaten sein. Das ist wunderbar – einfach lekker.“ „Lekker“ ist ein Lieblingswort in Namibia und wird für alles Schöne verwendet, für gutes Essen, aber auch Landschaften. Gefällt etwas nicht, wie starker Sandsturm, ist dies „Nicht-Lekker“. Worüber Mark seit der Unabhängigkeit des jungen Staates besonders dankbar ist: „Es gibt keinen Krieg. Das ist unsere Chance.“ Namibia ist seit 1990 einer der wenigen afrikanischen Staaten mit einer Demokratie, was das Reisen sicher und einfach macht. Das war nicht immer so.

Im 19. Jahrhundert beschlagnahmten die Deutschen das Land als Kolonie (1884–1915) und nannten es Deutsch-Südwestafrika. Im Kampf gegen Einheimische hinterließen sie ein Blutbad, Tausende Hereros verloren ihr Leben. Ein Genozid, für den bis heute Entschädigungszahlungen von Deutschland eingefordert werden, jedoch vergeblich.

Danach kamen die Südafrikaner. Sie führten die Apartheit ein, Schwarze aus den Städten wurden an die Ortsränder zwangsausgesiedelt, wo heute immer noch viele der Ärmsten in Wellblechhütten ihr Dasein fristen. „Es gibt noch große Unterschiede zwischen Arm und Reich. Wir sind ein junger Staat, haben aber große Entwicklungschancen“, entschuldigt sich Mark. Gleichzeitig ist der Lehrer für Geschichte und Sport sowie Marathonläufer überzeugt, dass „alle Menschen hier irgendwie glücklich sind, auch wenn ihre Einkommen gering sind“. In Namibia verhungere niemand. „Wir haben eine andere Mentalität. Es gibt eine Bruderschaft. Hier hilft man sich gegenseitig.“

Und was das heißt, beweist Mark immer wieder mit fürsorglichen Gesten. Als wir einen alten Mann treffen, der mit einer Eselskarre, einem „Kalahari-Ferrari“, über die Wüstenpiste zu seinem Stamm unterwegs ist, reicht Mark ihm drei Flaschen Mineralwasser. „Der hat bestimmt noch Durst auf seiner langen Fahrt.“

Das Komfortable in Namibia ist, dass kein Reisender auf Bequemlichkeiten verzichten oder Risiken wagen muss, um die Wüste zu erleben. Von Windhoek führen gut ausgebaute, meist über Kilometer schnurgerade Straßen in nur wenigen Stunden Fahrt in die Dünen – zunächst über Asphalt, danach über planierte Schotterpisten und Sand, die für Jeeps mit Allradantrieb kein Problem sind. Gegessen wird oft Gegrilltes wie Antilopen, dazu gibt es Gemüse und danach süße Kuchen. Hinzu kommt ein vielfältiges Angebot an Unterkünften – von Luxusherbergen, stilvollen Lodges, über familiengeführte Gästehäuser bis hin zu Campingplätzen – den wahren „1000-Sterne-Hotels“.

Viele Schlafplätze liegen an Orten mit großartigem Panorama. Die Eigentümer haben sich damit oft einen Traum erfüllt, den sie gerne mit Gästen teilen. Freundlichkeit und Gastfreundschaft sind die Regel. Man fühlt sich zum sparsamen Energieverbrauch und Umweltschutz verpflichtet, der in Namibia sogar in der Verfassung verankert ist. Strom wird mit Sonnenkraft erzeugt. Handy- und Internetverbindungen sind selten, Fernseher meist nicht im Angebot. „Wir haben Bushman-Television“, sagt Benny, gebürtiger Nama und Gästebetreuer im exklusiven Wolwedans Dunes Camp im Namib Rand Nature Reserve, wo auch schon Brad Pitt und Angelina Jolie mit ihren Kindern Maddox und Zahara nächtigten. Dabei zeigt Benny schmunzelnd mit ausladender Geste auf die Umgebung.

Nur 50 Meter von ihm entfernt zieht gerade wie bestellt eine Herde Oryx-Antilopen über den roten Wüstensand. Mal fressen sie ein paar der weiß-hellgrün glänzenden Haferdünengräser oder rupfen an einem dornigen Strauch. Fünf Springböcke hüpfen wie auf Federbeinen elegant über die Ebene. In der Ferne vor den Nubibbergen grast ein Zebra. Gelbe kleine Vögel zwitschern. Ein Naturfilm – live und zum Greifen nahe.

Die holprigen Fahrten im offenen Geländewagen fühlen sich wie sanfte Massagen an. Die „Big Five“ sucht man in der Wüste zwar vergeblich, umso mehr verzaubern die Antilopen, Insekten und Pflanzen. Alle wahre Überlebenskünstler, bestens an die Härten der Natur angepasst. So kann der Oryx – das Nationaltier der Namibier – seine Körpertemperatur über die Nüstern so regulieren, dass er extreme Temperaturen aushalten kann. In den Ebenen leben auch Springböcke, Impalas, Kudus, Bergzebras, Strauße, Giraffen, Schakale, Leoparden, Paviane, Erdmännchen, Chamäleons, der seltene Löffelhund oder Webervögel, die kunstvolle Nester für bis zu 150 Vögel in die Akazien bauen. Auch Schlangen, Geckos und riesige Tausendfüßler. Tiere, die man sonst nur aus dem Zoo kennt. Sie in Freiheit zu beobachten ist einfach ein Genuss.

Wer alle Tierarten sehen will, braucht Ausdauer und einen guten Spürsinn. Den besten haben die ortsansässigen Guides wie Elias Viyani, ein 30-jähriger gebürtiger Angolaner. Er entdeckt selbst kleinste Lebewesen. Zum Beispiel die elegante Dancing-White-Lady-Spinne, die ihre Höhle im Sand baut. Ihr Nestdeckel ist nur an wenigen erhobenen Körnchen im Sand zu erkennen. Sorgsam gräbt Elias ein Exemplar aus, legt es auf seine Handfläche, wo manch einem Urlauber die Gänsehaut kommt. Jeder knipst ein Foto – zwischen Ekel und Bewunderung. Danach lässt Elias das Tier wieder vorsichtig in seine Höhle zurückgleiten. So viel Respekt berührt. Es ist ein Symbol höchster Achtsamkeit ans Leben.

Man erfährt bei einer Wüstentour so viel Unglaubliches über den Kampf ums Überleben, steht aber auch vor Rätseln wie bei den Feenkreisen – runde, unbewachsene Stellen im Wüstengras. Sind dies Golfplätze der Buschleute? Haben Pflanzenschutzmittel die Erde vergiftet? Oder stimmt die Theorie, wonach unterirdisch lebende Termiten die Graswurzeln fressen und den Sträuchern den Fortbestand rauben?

Romantischer Höhepunkt jedes Tages sind die Sonnenuntergänge. Mit einem kühlen Drink – einem Namib-Beer, nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, einem südafrikanischen Wein oder einem Rock Shandy – wirkt die Szenerie wie im Bilderbuch. Kitsch? Nein - alles Natur. Gebirgsketten glühen rot, der Himmel scheint zu brennen. Schöner geht es kaum mehr, glaubt man. Und dann kommt die Nacht. Gigantische Nächte. Schlaflosigkeit, zu Hause ein Gräuel, wird hier zum Geschenk. Der Himmel tiefschwarz. Hell und klar leuchten die Sterne am Firmament. Dicht an dicht. Unsere Milchstraße ist als weiße Nebelschwade erkennbar, ferne Galaxien, Planeten, Monde strahlen. Der Jupiter, der Saturn, das Kreuz des Südens, das markanteste Sternenbild der südlichen Erdhalbkugel – alles wirkt zum Greifen nah. Sternschnuppen rauschen herunter.

Besonders nahe kommt man ihnen im Observatorium der Hakos Gästefarm, der größten Sternwarte Namibias auf 1800 Metern Höhe am Gamsberg. Der nächste Stern sei vier Lichtjahre entfernt, erklärt ein emeritierter Hamburger Physikprofessor: „Wir sind also sehr einsam auf unserer Erde.“ Manches, was dort leuchtet, ist vielleicht schon nicht mehr vorhanden. Es ist immer auch philosophisch. Wo ist unser Platz im Universum? Gibt es Leben auf fernen Sternen? Sichere Antworten fehlen, wie auf so viele Fragen im Leben. Vielleicht wünschen wir sie uns ja einfach, wenn die nächste Sternschnuppe vom Himmel fällt. Und davon gibt es viele im Süden Afrikas.