Jetzt sind die besten Plätze noch frei, und es duftet schon nach gegrilltem Hummer. Ein paar Wochen dauert es noch, bis während der Hochsaison wieder jeden Tag mehrere Kreuzfahrtschiffe vor der Insel stoppen.

Jedes der Gebäude ist verschachtelt und verwinkelt, hat strahlend weiße Wände, dazu die Andeutung von Blumenkästen unter den Fenstern. Jedes in der Straße hat eine in Hellblau lackierte Kuppel, und von oben betrachtet ist all das schönstes Bilderbuch-Griechenland. Manchmal greift eine Hand nach der einen oder anderen dieser Kuppeln und sortiert das Szenario neu – oder klebt ein neues Preisschild auf die Unterseite der kaum 20 Zentimeter hohen Häuschen. Noch ist nicht viel los bei Giorgios Kakidakis in Oia auf der Insel Santorin, die im Griechischen Thira heißt. Noch verkauft er keine fünf der faustgroßen handbemalten Häuser aus Ton am Tag, dazu den einen oder anderen Kühlschrank-Magneten im knallblauen Santorin-Look oder ein paar Badelatschen mit schnörkeligem „Santorin“-Schriftzug. Denn noch ist kaum einer da – Vorsaison auf den Kykladen, die Ruhe vor dem Sturm auf Santorin im gleichnamigen Archipel. Nur ein paar Passanten verbringen diesen Nachmittag in den Gassen des Vorzeige-Städtchens Oia hoch oben auf der Steilküste.

Ein paar Wochen dauert es noch, bis während der Hochsaison wieder jeden Tag mehrere Kreuzfahrtschiffe vor der Insel stoppen und ihre Passagier-Hundertschaften in Beibooten an Land tendern. Auch die meisten Charterflug-Verbindungen werden erst wieder Anfang Mai aufgenommen.

Mitte Oktober werden die Bürgersteige hochgeklappt

Auf den griechischen Inseln ist die Saison seit jeher kürzer als anderswo im Mittelmeer. Sie beginnt später, endet früher, und wer im Winterhalbjahr kommen will, ist fast immer auf Linienflüge angewiesen, muss in Athen oder Thessaloniki umsteigen und hat Mühe, ein geöffnetes Hotel zu finden. Den Sprung zu Ganzjahreszielen haben die Eilande bislang nicht geschafft – weil die Ägäis rauer ist als manch anderer Winkel Südeuropas. Weil es hier gewaltig stürmen und kalter Wind durch die Gassen pfeifen kann.

Mitte Oktober jedenfalls werden die Bürgersteige hochgeklappt, die meisten Hotels und Restaurants geschlossen, und erst ab Ende April geht es in kleinen Schritten wieder los. In der Zwischenzeit sind die Einheimischen fast unter sich, können sich vom Saison-Rummel erholen, streichen Fassaden wieder in Weiß, Fensterläden in Blau, lackieren vom Meersalz angegriffene Sonnenliegen und Terrassenstühlchen neu. Sie reparieren alles, was während der Hauptreisezeit Schaden genommen haben könnte – entstauben die zeitlosen Mitbringsel-Ladenhüter der letzten Saison, die mit ziemlicher Sicherheit im bevorstehenden Sommer endlich über den Ladentisch gehen werden.

Die Aussichten dafür sind gut: Vergangenes Jahr boomte der Griechenland-Tourismus, und die Buchungen für den Sommer 2014 liegen derzeit sogar über den Erwartungen. Besonders profitieren davon die populären Inseln. Die Kykladen mit Santorin und Mykonos zählen dazu, aber auch auf Rhodos und Kreta läuft das Geschäft mit dem Urlaub in Griechenland wieder sehr gut.

Giorgios hat seinen Souvenirladen erst vor ein paar Tagen wieder eröffnet, hockt jetzt auf einem kleinen Stühlchen vor der Fassade, weil es zu schade wäre, drinnen im Halbdunkel hinter der Kasse auszuharren. Ab und zu sortiert er die Ton-Häuschen seiner Mini-Straße neu, schafft Baulücken und füllt sie wieder, plauscht hier, plaudert da, genießt die Sonne auf dem Gesicht. Was er im Winter gemacht hat? Jetzt lacht er. „Ich sitze hier und tue fast genau dasselbe. Auch im Winter. Nur ohne Souvenirs. Der Laden ist dann zu. Ich genieße die Stille. Wie früher, wie immer schon. Wie damals, bevor die Kreuzfahrtschiffe und Flugzeuge zu uns kamen.“

Etliche Gäste reisen mit dem Privatjet an

Einen großen Vorteil hat es, vor Mitte Mai nach Santorin zu reisen: Jetzt bekommt man problemlos die besten Plätze in den Restaurants, Tische mit Aussicht auf den engen Dachterrassen mancher Altstadt-Gaststätte in Oia mit Blick auf den viel gerühmten Sonnenuntergang über der Ägäis – im Sommer oft ein aussichtsloses Unterfangen. Noch bekommt man auch problemlos einen der begehrten wackeligen Holztische nur Zentimeter von der Kaimauer unterhalb der Steilküste im Fischerort Ammoudi, wo Joy Kerluke gebratenen Oktopus und fangfrische Dorade vom offenen Holzkohle-Grill serviert, den ihr Mann Dimitrios zubereitet hat. Vor ein paar Tagen erst haben sie wieder aufgemacht. Und es duftet bereits wieder nach gegrilltem Hummer, nach Barrakuda mit frischen Kräutern. Für die Tischmusik sorgen die sanften Wellen, die im gleichmäßigen Schwipp-schwapp gegen die Kaimauer klatschen und deren Klang sich mit griechischen Schlagern aus irgendeiner Box in der Nachbarschaft vermischt.

Kostis Psychas unterdessen hat reichlich neue Topfblumen angeschafft, sie in großen Kisten mit der Fähre vom Festland kommen lassen, um die Terrassen seiner Höhlenhotel-Zimmer damit zu dekorieren, die einst in den weichen Fels der Steilküste gegrabene Vorratskammern gewesen sind und heute zu den begehrtesten Quartieren auf der Insel gehören. Etliche seiner Gäste reisen mit dem Privatjet an, manche kommen damit sogar aus Übersee. Trotzdem lohnt es sich für ihn nicht, früher zu öffnen: zu wenig Nachfrage. Auch die Leute mit eigenen Jets wissen nicht, wie schön es auf Santorin ist, wenn die Insel gerade erst erwacht.

Nur einer muss sich ein bisschen länger gedulden als alle anderen: weil für eine abgelegene Bar am Meer mit großen Boxen und guter Musik einfach noch zu wenig los ist. Nikos Kaldrimidis ist Fremdenführer, lebt auf Santorin, und sein Lieblingsplatz ist die Oeros Wave Bar mit Liegen, Sofas und Hängesesseln am Strand von Vlichada. Ein langer, staubiger Sandweg führt dorthin, und bis in den Ort ist es weit. Nur braucht es für Party und Tanz warme Nächte und genügend Publikum – und weil das erst später einschwebt, wird der Club gerade erst wieder neu aufgebaut. Ein paar Strohdächer und Sonnenschirme nahm der letzte große Wintersturm mit. Nikos geht schon mal hin, schaut, fasst mit an – und freut sich auf die heißen Sommertage, wenn hier wieder richtig was los sein wird. Wie in den letzten Sommern, als er hier Nächte durchgetanzt hat. Ende Juni wieder wird es so weit sein, mehr noch von Mitte Juli an. Denn fürs Erste ist Santorin mit dem Aufwachen beschäftigt.