Von Insel zu Insel im Kapverdischen Archipel: Surfen auf Sal, Wandern auf Santo Antão, in Teufels Küche schauen auf Fogo und die Tage verträumen auf São Vicente.

Ein sonniger Vormittag, ein Café im Zentrum einer kleinen, bunten Stadt auf einer Insel irgendwo im Atlantik, weit weg vom Rest der Welt. Eine heftige Brise, die uns mitsamt unserem Espresso von den Stühlen am Straßenrand ins Innere der Bar treibt, das mit Bildern lokaler Heroen gespickt ist. Musik aus einem alten Rekorder, eine rauchige Stimme, die melancholisch von Heimat und Liebe singt.

Die Szene ist typisch für den Archipel, den wir Kapverden nennen. Die Pastelaria Algarve in Mindelo, dem Hauptstädtchen von São Vicente, liegt an der Rua Lisboa, benannt nach der Metropole der ehemaligen Kolonialherren, deren Sprache noch immer die der Ämter ist. Die dunkelhäutigen Menschen im Café hingegen, alte und junge, die jetzt spontan nach ganz anderen, eher südamerikanischen Klängen zu tanzen beginnen, sie alle sprechen Crioulo, das singende Kreolisch der Kapverden, stark portugiesisch beeinflusst, aber auch deutlich afrikanisch gefärbt. Es ist die Sprache der Märkte, der Musik und der Lyrik, die allesamt das Leben prägen: den Alltag, die Arbeit, die Feste.

Cabo Verde, grünes Kap: neun bewohnte Inseln vor der Küste Westafrikas. Keine ist wie die andere, grün sind nur die „hohen“ Inseln, die mehr Regen als die anderen bekommen. Santo Antão zum Beispiel, die am weitesten in den Atlantik hinausragt, wird vor allem von Naturliebhabern geschätzt. Aber auch diese Insel hat mehrere Gesichter: im Norden üppige Vegetation, Kokospalmen und Wälder, die von bizarren Felsen eingerahmt sind. In den Tälern Pfade für Spaziergänger, das Hochgebirge ein Revier für Hardcore-Trekker.

Je eine Handvoll Inseln über dem sowie unter dem Wind

Im Süden von Santo Antão regnet es oft jahrelang gar nicht. Staubwüste und Vulkangeröll bestimmen hier das Bild, reizvoll für alle, die der Natur in all ihren Spielarten und Launen in einem Mikrokosmos näherkommen wollen, der so groß wie Hamburg ist. Er ist zur zweiten Heimat geworden für den deutschen Tropenmediziner Pitt Reitmaier, der die Inseln kennt wie kaum ein anderer Zuwanderer.

Als Arzt kam er 1981 zum ersten Mal nach Santo Antão, wurde Gesundheitsberater der Regierung, verliebte sich in die Inseln, lernte ihre Bewohner schätzen, ihre Kultur und menschliche Wärme – und blieb irgendwann. Noch immer lebt er in Porto Novo, wo die Fähren anlanden. Gemeinsam mit seiner Partnerin Lucete Fortes, die vor Ort einen Kiosk mit Infozentrum betreibt, hat er alle Inseln des Archipels bis in die letzten Winkel erkundet, Wanderkarten herausgegeben und den gründlichsten Reiseführer geschrieben.

Pitt Reitmaier, gebürtiger Allgäuer, Weltbürger und Inselsammler, schätzt die Vielfalt der Kapverden, sowohl die der „Inseln über dem Wind“ – Santo Antão und São Vicente mit Mindelo, das beschauliche São Nicolau, die Badeinsel Sal und das immer beliebter werdende Boa Vista mit Dünen und langen Stränden – als auch die der südlichen Inseln, die „unter dem Wind“ liegen: das grüne Brava, die Feuerinsel Fogo, Santiago mit der Landeshauptstadt Praia sowie das Inselchen Maio im Südosten.

Gern vergleicht der Doktor, der so tief eingetaucht ist in diese amphibische Welt, Cabo Verde mit einer Muschel, „klein und unscheinbar...die Perlen tief im Inneren versteckt...Reisende können sich die Inseln selbst erschließen, können aktiv werden, um die Armut zu verstehen und den Reichtum zu erkennen...“ Die Musik, so sagt Pitt Reitmaier, ist ein wesentlicher Schlüssel zur Seele der Kapverdianer: die Lieder der weltberühmt gewordenen Cesária Évora, die überall barfuß auftrat, aus Respekt und Solidarität mit den Armen, die in ihrem Lande bis heute die große Mehrheit stellen; die Musikanten in den Kneipen und Bars, die ihre Instrumente anstimmen, wenn sie Lust dazu haben.

Inselhüpfen auf den Kapverden, von einem kleinen Kontinent zum nächsten schippern, vielleicht auch während einer Kreuzfahrt. Heute auf einer Wanderung Santo Antão erleben, morgen Hafenviertel und Märkte beschnuppern, übermorgen am Kraterrand des Pico de Fogo einen Blick in Teufels Küche werfen. Oder in Praia von Mario, dem Studenten und Stadtführer, alles über den Nationalhelden Amilcar Cabral erfahren, dessen Porträt auf vielen Hauswänden die ungebrochene Verehrung des 1973 ermordeten Unabhängigkeitskämpfers zeigt.

Wer auch nur einige der vielen Gesichter Cabo Verdes gesehen hat, wundert sich, dass noch immer vier von fünf Urlaubern die All-inclusive-Anlagen an den meistfrequentierten Stränden kaum verlassen. „Ein Jammer“, sagt Lutz Meyer-Scheel, Segler und Co- Eigner einer großen Marina auf São Vicente, „dabei sind es doch gerade die Einheimischen, deren Fröhlichkeit ansteckt und neugierig macht auf die Inseln hinter dem Horizont, die Täler hinter den Bergen, die Strände, die nicht in jedem Katalog stehen.“

Seit zwölf Jahren lebt der gebürtige Hamburger die meiste Zeit über auf der Insel mit der schönsten Hafenbucht. Tochter Johanna ist nachgekommen und leitet als Geschäftsführerin den Betrieb bei Mindelo. Das Wetter gefällt beiden, und als begeisterter Segler liebt Lutz Meyer-Scheel den Passat, der an manchen Tagen so stark bläst, dass Kreuzfahrtschiffe nicht festmachen können. Der Norddeutsche hat den Wind immer als Herausforderung gesehen: „Es ist ein anspruchsvolles Revier, das mögen die Gäste, die bei uns festmachen. Viele von ihnen segeln weiter, über den Atlantik und um die Welt.“

Viele kommen zunächst als Urlauber und entscheiden einfach, zu bleiben

Das hatten vor Jahren auch Frank und Susi vor, er aus dem Harz, sie Amerikanerin. Aber dann blieben sie „hängen“ in einer Bucht auf Santo Antão, die ihnen so ruhig, so friedlich vorkam, dass sie 1999 für immer dort vor Anker gingen. Sie nannten ihre idyllisch gelegene Pension Mar Tranquilidade, stilles Meer. Es ist ein weltabgeschiedenes Refugium, ein Ort für Leute, die mit der Natur und einfachen Unterkünften klarkommen. Sie werden schon bald die Küche lieben, von Frank mit frischen Produkten aus der ländlichen Umgebung und dem Meer zubereitet, und mit den Nachbarn und den Gastgebern zusammen den Drink zum Sonnenuntergang genießen.

Hier: schwarzer Sand vor der Tür und nebenan ein Dörfchen, wo das Leben sich abspielt wie eh und je. Dort, in Santa Maria auf Sal: weißer Traumstrand, blaues, oft kabbeliges Wasser, ein weiter, meistens wolkenloser Himmel. Und Hotels, Bars, Kneipen wie Sand an diesem Meer. Größer kann der Kontrast nicht sein zwischen der Oase der beiden Aussteiger und dem Ort, der so international ist wie kein anderer auf den Kapverden.

In dieser Touristenhochburg hat Uwe Müller schon vor Jahrzehnten angedockt, ein Berliner mit Herz und Schnauze, der das Kultrestaurant Turifogo führt, auch „Fischermann“ genannt. Kaum jemand, der in Santa Maria lebt oder Urlaub macht und nicht wenigstens auf ein Strela, das lokale Bier, vorbeischaut und die landesweit bekannte Fischplatte bestellt. Uwe fährt selber hinaus und fängt, was das Meer hergibt, Garopa und Atum, die lokale Thunfischart, auch Seeskorpion, den seine Stammgäste lieben.

Zu denen gehört der Dresdner Willy Klose, der den Winter über das Surfzentrum von Pezi Huber leitet. Willy ist eine Art Weltenbummler in Sachen Surfen, hat in Südafrika und Florida gearbeitet und zieht bald um nach Mykonos, wo er den Sommer verbringt.

Spätestens im September freut er sich wieder auf Cabo Verde, auf Sal, auf Santa Maria, auf seine Freunde und Kunden, die wie er den Wind und die Wärme lieben, die Musik, die mal traurig und mal voller Lebenslust aus den Bars dröhnt. Und auf den Absacker bei Uwe. Oder auch mal, Abwechslung muss sein, bei Christian im Pub Calema. Schwer zu sagen, wo die Mädels den besten Caipirinha mixen. Manche Inselkenner sagen sogar: bei Soraya und Jaceline am anderen Ende des Archipels, in Johannas Marina-Bar bei Mindelo.