Als Folge des Embargos stellen Einwohner in dem sozialistischen Inselstaat Kuba fast alles selbst her – Musik und Lachen begleiten den Alltag.

Mit knatternden Motoren rauschen die auf Hochglanz polierten Oldtimer an Häusern mit Arkaden im Kolonialstil vorbei und hinterlassen einen beißenden Abgasgeruch. Immer wieder ertönt der hohe Ton einer alten Hupe. Es ist ein Bild, das an einen 60er-Jahre-Mafia-Film erinnert. Doch in Kubas Hauptstadt Havanna ist es alltägliche Realität.

„1959 ist hier die Zeit stehen geblieben“, sagt Bernado, der in der 2,2- Millionen-Einwohner-Metropole als Reiseführer arbeitet. Er liebt das morbide Stadtbild – alte Villen, die zwar allmählich verfallen, aber an Prunk nicht verlieren. Und natürlich die Chrysler und Chevrolet auf den Straßen. „Das alles haben wir der Mafia zu verdanken, die in Havanna viel Geld investiert hat“, sagt der Kubaner. Doch mit der Revolution Ende der 50er-Jahre, dem Sozialismus und dem Wirtschaftsembargo endete der rasante Aufstieg Havannas.

Die Mafia und wohlhabende Amerikaner verschwanden von der Karibikinsel. Ihre Autos fahren heute noch durch Kuba. Eins davon fährt Walfriedo Cabezas. Der 64 Jahre alte Kubaner ist stolz auf seinen roten Chrysler Desoto. „Als ich ein kleines Kind war, hatten Bekannte solch ein Auto. Seitdem habe ich immer davon geträumt, selbst dieses Modell zu fahren“, sagt Cabezas.

Über eine Million Kilometer ist das Oldtimer-Taxi schon gefahren

Seine braun gebrannten, faltigen Hände umfassen das mit Leder bezogene Lenkrad. „Das Auto wurde 1956 gebaut. Die ersten Jahre diente es als Taxi in New York und gehörte dann zu den letzten Autos, die vor 1960 mit der Fähre von Florida nach Kuba kamen“, erzählt der Mann mit dem weißen Haar und der schwarz-gelb-karierten Krawatte. Zwar kann er sich selbst ein solches Modell nicht leisten, dennoch hat er sich seinen Traum erfüllt. Er fährt seit mehr als 20 Jahren Touristen mit dem Chrysler durch Havanna. Das Auto ist Staatseigentum. Cabezas hat viel Zeit in den Oldtimer investiert, der bereits mehr als eine Million Kilometer gelaufen ist. „Ich habe das Auto ein Jahr lang in der Werkstatt wieder aufgebaut“, erklärt er den Touristen, die auf der mit rotem Leder bezogenen Rücksitzbank sitzen. 25 peso cubano convertible (CUC), etwa 18 Euro, kostet eine einstündige Fahrt mit dem Chrysler.

Walfriedo Cabezas erzählt aber nicht nur von seinem Gefährt, sondern auch von der Stadt. Er zeigt das im Stile des Klassizismus 1929 eingeweihte Kapitol im Zentrum, das dem in Washington D.C. nachempfunden wurde. Genauso wie die Bar El Floridita, in der Ernest Hemingway sich einst seinen Daiquiri bestellte.

Hier trank Ernest Hemingway seine Drinks

Die Bar liegt in der Altstadt Havannas, die besser zu Fuß zu erkunden ist. Als Einkaufmeile gilt die Straße Obispo. Die bunten Häuser sind verblasst, das Mauerwerk zerbröselt. Doch in den Kolonialbauten befinden sich Souvenirläden, Restaurants und Bars. Bekannte Modemarken oder Schnellrestaurants findet man dort nicht – genauso wenig wie im Rest des Landes. Fast alles stellen die Kubaner selbst her. Taschen und Kleider werden gehäkelt, Schmuck aus Holz geschnitzt – Folgen des Embargos.

Hinter den Arkaden der Altstadt ertönt das schrille Geräusch von Sägen, die sich ihren Weg durch Holz bahnen. Arbeiter bauen dort Möbel. Wenige Häuser weiter sprühen Funken. Hinter hohen Türen schweißen Mechaniker in Jeans und Rippshirt Bleche zusammen und reparieren Autos, die eigentlich reif für die Schrottpresse sind. Selbst die Getränke in den Bars sind made in Kuba: Cola, Bier, Säfte und natürlich Rum.

Ein Job in der Tabakfabrik ist heiß begehrt

So überrascht es nicht, dass es an der Plaza Vieja ein Brauhaus gibt. Das trübe Bier schmeckt mild und ist süffig. Eine Gruppe Studenten aus Bolivien und Kolumbien prostet sich mit gläsernen Krügen zu. „Wir sind oft hier, das Bier schmeckt gut“, sagt Ramiro, während er aus einem Plastikrohr, das wie ein Kaugummiautomat aussieht und auf dem Tisch steht, frisches Bier zapft. Der 31 Jahre alte Kolumbianer studiert in Havanna Medizin und möchte in Brasilien als Arzt arbeiten.

In Havanna ist indes ein Job in der Tabakfabrik „Corona“ sehr begehrt. An alten schmalen Holztischen sitzen dort die Arbeiter in mehreren Reihen. In der Arbeitshalle ist es schwül, der Geruch von Tabak liegt in der Luft, an den vergilbten Wänden rattern Ventilatoren. Eine ältere Frau legt routiniert die getrockneten Tabakblätter aufeinander und rollt sie. Zwischen ihren Lippen klemmt eine dicke Zigarre. „Während der Arbeit können die Mitarbeiter so viel rauchen, wie sie wollen“, erklärt eine Mitarbeiterin der Fabrik. Zwar haben die 600 Arbeiter täglich ein Pensum an Zigarren, was sie schaffen müssen, dennoch ist von Akkordarbeit in der 1902 gegründeten Fabrik nichts zu spüren. Alle wirken fröhlich, lachen viel. Neun Monate dauert die Ausbildung, bis Arbeiter die erste Cohiba oder Montecristo rollen dürfen. 20.000 Zigarren werden täglich per Hand hergestellt, denn moderne Maschinen gibt es nicht.

Die Amtszeit Raúl Castros, Nachfolger und Bruder von Fidel, endet bald

Mit Macheten mähen Männer den Rasen in einem Vorort von Havanna, auf Pferdekarren transportieren die Menschen im Osten des Landes ihre Ernte. Ihnen geht es zwar nicht so gut wie den Menschen in Havanna, dennoch teilen sie mit ihnen die ansteckende Lebensfreude. „Wie geht es dir?“, wird ein Kubaner in Santa Clara inmitten des Inselstaates gefragt. Er antwortet mit einem Lächeln: „Ich kämpfe.“ Ein Satz, der an den Revolutionär Che Guevara erinnert, dessen Porträt an vielen Wänden in Kuba aufgemalt ist. Neben der Fröhlichkeit teilen die Menschen auch die Leidenschaft zur Musik. In Santiago de Cuba, im Südosten, treffen sich ältere Menschen in einer Bibliothek zum Tanzen. In den diversen Musikbars ist Son zu hören, eine Musikrichtung, die von Trommelrhythmen und Gitarrenklängen geprägt ist. In den Bars stehen Holztische und mit Leder bezogenen Stühle. An den Decken hängen Ventilatoren. Ältere Männer stehen auf der Bühne. Die Bar ist voll, auf der Straße tanzen die Menschen zur Musik. „Wir haben den Rhythmus im Blut“, sagt Ezequiel. Der 38 Jahre alte Fitnesstrainer mit dem hautengen schwarzen Shirt steht an einer Tür zur Bar und schwingt seine Hüften. „Das ist unser Leben. Wir lieben es“, sagt der Mann aus Santiago de Cuba.

Dass die Zeit in dem Staat still gestanden zu seinen scheint, stört die Menschen nicht. Doch fraglich ist, wie lange Kuba noch im Dornröschenschlaf verweilen wird. Die Ära Castro ist bald beendet. Die Amtszeit Raúl Castros, Nachfolger und Bruder von Fidel Castro, der bis 2008 insgesamt 49 Jahre an der Macht war, endet in diesem Jahr. Außerdem hat die sozialistische Regierung zum Jahreswechsel das Verbot für den Kauf importierter Neuwagen aufgehoben. Allmählich reformiert sich Kuba , und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich in das Stadtbild von Havanna moderne Autos mischen und das Knattern der Oldtimer-Motoren vielleicht für immer verstummt.