Wer Kapstadt besucht, muss auch zum ehemaligen Gefängnis von Robben Island übersetzen. Dort war Nelson Mandela inhaftiert

Am Nelson Mandela Gateway werden Touristen zunächst durch Metalldetektoren geschleust. Danach geht es ganz schnell, der Katamaran zur Gefängnisinsel Robben Island legt ab.

Der Himmel ist blau, doch der Wind pfeift den Passagieren um die Ohren. Dennoch will sich niemand den Panoramablick auf Kapstadt mit seinem Tafelberg, dem Lions Head und dem Signal Hill entgehen lassen. Die Kameras klicken. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt über die Tafelbucht, dann legt die Fähre am Mini-Hafen Murrays Bay an. Im Stundentakt strömen Besucher zu Hunderten von Bord, darunter zahlreiche Schulklassen. In einem Land, in dem die Gegensätze von Schwarz und Weiß nicht zu übersehen sind, gehört der Inselbesuch zum Pflichtprogramm.

Der Schriftzug „Welcome to Robben Island – We serve with pride“ (Wir dienen mit Stolz) heißt Neuankömmlinge willkommen – damals wie heute. Tourguides treiben die Leute an, teilen sie auf Busse ein. Auch wenn sie keinen Schlagstock in der Hand halten, ein Hauch Gefangenenfeeling kommt auf. Der Besucher hat sich unterzuordnen und den Anweisungen Folge zu leisten. Alles ist straff durchorganisiert: 45 Minuten Inselrundfahrt, 30 Minuten Gefängnisbesuch. Wenig Zeit für 547 Hektar südafrikanische Geschichte.

Im Bus fummelt ein betagter Mann mit zittrigen Händen an der Mikrofonanlage, bis er auch in der letzten Reihe zu hören ist. „Willkommen auf Robben Island, der Gefängnisinsel, auf der Südafrikas erster schwarzer Präsident Nelson Mandela von 1964 bis 1982 inhaftiert war“, sagt er. „Auch ich habe hier acht Jahre als politischer Gefangener verbracht.“

Die Besucher erfahren, dass Robben Island nicht erst unter dem Apartheidsregime ein Ort der Verbannung war. Schon im 16. Jahrhundert nutzten die Niederländer die Insel, um Stammesführer und Könige aus Südafrika wegzusperren. 1843 wurde das Gefängnis geschlossen, und Leprakranke wurden auf der Insel ausgesetzt. Weiter spult der Guide Geschichtsdaten ab: Während des Zweiten Weltkriegs diente die Insel als Militärbasis. 1961 wurde Robben Island wieder Gefangeneninsel. Südafrikas Regierung internierte in der Zeit der Apartheid vor allem farbige politische Gefangene, aber auch Kriminelle. 1991 wurde das Hochsicherheitsgefängnis für politische Gefangene aufgelöst. Ende 1996 verließen die letzten 300 Gefangenen und 90 Wärter das Eiland. Der Guide rattert wie eine Maschine Fakten herunter. Jemand könnte ihn nachts wecken, er würde die Zahlen ohne Überlegung hervorschießen. Bis zu fünf Gruppen am Tag führt er seit 1997 über die Insel, die zum Weltkulturerbe der Menschheit gehört.

„Hat denn niemand versucht, ans Festland zu schwimmen?“, will ein Teenager ganz hinten im Bus wissen. „Es sind doch nur zwölf Kilometer bis Kapstadt.“ Eine Flucht sei aussichtslos gewesen, sagt der ehemalige Gefangene. Zum ersten Mal schwingt gewisse Erregung in seiner Stimme mit. Abgesehen von den Haien sei die Strömung im Atlantik gefährlich, und das Wasser ist selbst im Sommer 14 Grad kalt. Zudem konnten die meisten Inhaftierten nicht schwimmen. Dennoch habe es Ausbruchsversuche gegeben – vergebliche. „Entweder starben sie oder wurden gefasst“, sagt er. Wie viele er persönlich kannte, bleibt sein Geheimnis.

Der Bus hält. Der Guide lenkt die Blicke nach links. „Das ist der Steinbruch, in dem die Häftlinge, auch Nelson Mandela, täglich acht Stunden Steine gehauen haben“, sagt er. Das Geröll schnitt in Hände und Füße. Der Kalkstein verdarb vielen die Augen für immer. 1974 wurde der Steinbruch wegen internationaler Proteste geschlossen.

Andere Qualen blieben ihm nicht erspart: die Kälte, die Albträume, die Einsamkeit und Angst. „Erniedrigungen und Gebrüll der Wärter standen auf der Tagesordnung“, sagt der Mann, der dies am eigenen Leib erfahren musste. Oft setzte es Prügel. Und dann war da ständig der Hunger, so groß, dass er auch Maden mitaß, die er im Essen fand. Plötzlich bröckelt seine Fassade trotz aller Routine. Obwohl er seine Geschichte Tausende Male erzählt hat, füllen sich seine Augen mit Tränen. Die Passagiere schweigen. Niemand kann sich vorstellen, unter so unmenschlichen Bedingungen weggesperrt zu sein.

Einer bricht das Schweigen: „War es nicht entsetzlich, die Insel nach der Entlassung zum ersten Mal wieder zu betreten?“, fragt eine Frau. Nelson Mandela war 1994 zum Präsidenten gewählt worden und lud ehemalige Gefangene nach Robben Island ein. Der Tourguide lächelt. Alle hätten sich auf das Wiedersehen gefreut. Schließlich habe ihr Kampf die Apartheid in Südafrika beendet. Darauf könnten sie stolz sein. Um die Erinnerung daran hochzuhalten, arbeite er auf Robben Island als Fremdenführer.

Mandela hatte auch die ehemaligen Wärter zu dem Treffen eingeladen. Nur wenige erschienen. Es waren diejenigen, mit denen die Häftlinge über die Jahre hinweg Freundschaften aufgebaut haben. Andere waren längst untergetaucht, aus Angst vor Rache. Dabei ist eine Versöhnung möglich. „Einige ehemalige Häftlinge, die als Fremdenführer arbeiten, leben heute auf Robben Island Tür an Tür mit ihren damaligen Wärtern“, sagt der Ex-Häftling. Er selbst verlässt die Insel jeden Abend mit der Fähre Richtung Kapstadt. Der Bus setzt seine Tour fort. Für ein südafrikanisches Alkatraz ist die Insel eigentlich ganz schön mit seinem rot-weiß gestrichenen Leuchtturm, der weißen anglikanischen Kirche und dem prächtigen Kolonialgebäude, das früher dem Gouverneur als Residenz diente und heute als Gästehaus benutzt wird. „Auch Nelson Mandela hat dort schon übernachtet“, sagt der Tourguide. Dutzende Vogelarten, Pinguine, Robben, Antilopen, Schildkröten und Perlhühnern machen die Insel zum Naturparadies.

Doch die graue Gefängnisanlage mit den hohen Mauern und Wachtürme, vor der der Bus hält, mahnen an die dunkle Geschichte. Hier verabschiedet sich der Guide. Ein anderer ehemaliger Gefangener übernimmt die Führung durch das Gefängnis. Vor der Zelle von Nummer 466/64 können die Besucher kurz innehalten. Hier saß Robben Islands berühmtester Gefangener, Nelson Mandela, 18 seiner 27 Gefängnisjahre ab. Hier schrieb er den ersten Teil seiner Biografie „Der lange Weg zur Freiheit“.

Die Zeit drängt. Das Schiff tutet, fertig zum Ablegen. Es geht zurück in eine Stadt, in der noch immer ein Großteil der schwarzen Bevölkerung in Slums haust.