Ein Ort, den man nicht vergisst. Dort, wo die Zeit stillsteht existieren 32 buddhistische Tempel. Beim Beobachten der friedlichen Szenen sollte unbedingt die Regel eingehalten werden: Berühre niemals einen Mönch!

Es gibt Orte, die vergisst man nicht. Luang Prabang ist so einer. Die kleine Stadt im bergigen Norden von Laos ist gebettet zwischen Mekong und seinem Nebenfluss Nam Khan. Einst Sitz des Königs, zieht sie heute Touristen an wie ein Magnet. Es ist der Charme der französischen Kolonialarchitektur, der sie lockt. Seit 1995 gilt das friedliche und elegante Luang Prabang als Weltkulturerbe. Hier scheint die Zeit stillzustehen, tickt Luang Prabang doch noch immer im sanften Rhythmus des Theravada-Buddhismus. Es existieren 32 aktive buddhistische Tempel. Jeden Morgen mit Sonnenaufgang strömen die Mönche in orangefarbenen Gewändern durch die Straßen, um von den Bewohnern Almosen zu erbitten. Der ranghöchste Mönch des Tempels führt die Riege an, der jüngst ordinierte Novize bildet das Schlusslicht.

An Feiertagen gibt es auch Süßigkeiten und Geld

Häufig habe ich diese friedlichen Szenen beobachtet. Frauen, die knien, während sie den frisch gekochten Reis in die Schüsseln der Mönche und Novizen geben. Männer dürfen stehen, verbeugen sich aber ehrfürchtig, um nicht den Kopf des Mönchs zu überragen. Häufig mischen sich Touristen unter die Gebenden, meist respektvoll. Manche überreichen Früchte, Gemüse oder Fleisch, an Feiertagen wie dem Neujahrsfest Pi Mai auch Süßigkeiten und Geld. Ich habe dem Bettelzug lieber aus der Ferne zugesehen, aus Angst, etwas falsch zu machen. Sicher, ich kannte die Regeln: Berühre niemals einen Mönch, sprich nur, wenn er dich anspricht, überrage ihn nicht. Doch kannte ich sie wirklich alle? Ich verspürte neben einer gewissen Faszination immer auch Scheu und Befangenheit, wenn mir Mönche auf der Straße begegneten. Dabei waren viele Novizen noch minderjährig. Doch der geschorene Schädel und das orangefarbene Gewand machten es mir unmöglich, sie als normale Teenager zu betrachten. Warum hatten sie sich für ein Leben voller Entbehrungen entschieden? Wie hielten sie es aus, ab 12 Uhr nichts mehr zu essen? Sehnten sie sich nicht manchmal in die Arme einer Frau – ob Mutter oder Geliebte?

Eines Tages stellte mich mein Yogalehrer einem Mönch vor. Ich hatte Thang vanh schon ein paarmal gesehen, wenn ich zum Yoga ging, weil sich der Tempel gleich nebenan befand. Er stand dem Wat Aphay vor, und das mit 31 Jahren. Neugierig inspizierte ich ihn. Sein Gesicht strahlte Wärme und Gelassenheit aus. Und er war neugierig, stellte mir eine Menge Fragen. Was ich in Laos machte, wo ich herkam, wie das Wetter in Deutschland gerade sei. Er erzählte mir von seinem Projekt, eine Englischschule zu eröffnen. Thang vanh lud mich ein, ihn am nächsten Tag am Wat Aphay zu treffen. Im Schatten eines Mangobaumes erinnerte er sich zurück an seine Kindheit und den Tag, der sein Leben komplett verändert hat: „Es war der letzte Schultag, als ein alter Mönch meine Eltern aufsuchte“, sagte Thang vanh. Er wollte einen neuen Novizen ausbilden und hatte an Thang vanh gedacht. Als der Mönch fort war, riefen die Eltern ihn zu sich und fragten, ob er ins Kloster gehen möchte. „Warum?“, fragte der Zwölfjährige. „Du wirst dort ein sicheres Leben haben und eine gute Ausbildung bekommen“, sagte sein Vater. Thang vanh willigte ein.

Sie rasierten mir den Schädel

Nach all den Jahren erinnert sich Thang vanh noch sehr genau an den Tag, an dem er zum Novizen berufen wurde. „Es war der 26. April 1997“, sagt der Mönch. Er trug an diesem Tag zur feierlichen Zeremonie ein weißes Gewand. „Während sie mir den Schädel rasierten, konnte ich nur daran denken, dass ich von nun an immer um 4 Uhr morgens aufstehen muss“, sagt Thang vanh. Was ihm damals genauso viel Angst machte: Wie sollte er mit dem Hunger fertigwerden? Am Abend lag er erschöpft auf seiner Matratze im Tempel. „Ich konnte nicht schlafen. Mein Schädel juckte, und mein Magen knurrte“, sagte der Mönch und lachte. Es dauerte eine Woche, bis sich sein Körper daran gewöhnt hatte, dass er nach 12 Uhr nichts mehr essen durfte. „Und wir dürfen nur essen, was uns die Menschen bringen“, sagt Thang vanh.

Nach seinem ersten Almosengang blickte er auf das unappetitliche Durcheinander in seiner Schüssel. Er war den Tränen nah und mochte nichts davon essen. Am zweiten Tag hatte er so einen Kohldampf, dass er alles mit großem Appetit aß. Neben dem Sammeln von Almosen bestimmen Meditation, Gebete und das Studium der buddhistischen Schriften den Tagesablauf. Thang vanh steht gegen 4 Uhr morgens auf, geweckt durch einen Gong. Nach der Morgentoilette betet und meditiert er, jeweils eine halbe Stunde. Mit den Novizen liest er die Tripitakka, die heiligen Schriften des Theravada-Buddhismus.

Ich verstand durch Verzicht, die nächste Stufe ins ewige Leben zu erreichen

Gemeinsam rezitieren sie die Lehren Buddhas. Um 17.30 Uhr findet das Abendgebet statt. Mönch wird niemand über Nacht. Sechs Jahre studierte Thang vanh im Wat Siphoudabath, anschließend fünf Jahre in der thailändischen Provinz Ayutthaya an der Mahamakut Buddhist University. Doch erst die drei Jahre Meditation im Waldtempel veränderten sein Denken und seine Träume. „Ich verstand, dass es nicht darauf ankam, als Mönch hohes Ansehen bei den Menschen zu erlangen, sondern durch Verzicht die nächste Stufe ins ewige Leben zu erreichen“, sagte Thang vanh. Verzicht auf weltliche Güter, auf eine eigene Familie und körperliche Nähe konnten ihn näher ans Nirvana bringen.

Vor drei Jahren kehrte er in seine Geburtsstadt Luang Prabang zurück. Dass der Almosengang zur Touristenattraktion geworden ist, stört ihn nicht. Im Gegenteil, er begrüßt es, wenn sich Fremde für den Buddhismus interessieren. Er selbst sucht das Gespräch mit Ausländern, um sein Englisch zu verbessern, und er ermutigt die jungen Novizen dazu. „Auch wenn wir unsere Traditionen wahren wollen, können wir uns nicht vom Rest der Welt abkapseln“, sagte Thang vanh und lud mich zum Abschied ein, mit ihm auf Facebook Kontakt zu halten.