Die Baleareninsel kann mehr als Ballermann und Bettenburgen. Im Südwesten zeigt sie ihr ganz anderes, ursprüngliches Gesicht. Statt Piraten bilden heutzutage Individualreisende die Mehrheit.

Die Sonne schickt milchige Strahlen übers Meer, es ist noch früh am Tag. Ein paar Einheimische trinken ihren ersten Kaffee, Fischer fachsimpeln im Hafen, ein Katze streunt herum. Dann schmeißt der Kapitän, ein älterer Grauhaariger, die Maschine an und macht die Leinen los, und sein weiß-blaues Fischerboot lässt Sant Elm hinter sich.

Sant Elm, so heißt es, war früher einmal Lieblingsversteck der Piraten. Vor rund 500 Jahren begaben sie sich von hier aus auf Raubzüge. Sie schätzten den Ort, weil er der abgelegenste weit und breit war, und weil sie von hier aus schnell auf die vorgelagerte Insel schippern konnten, um ihre Beute zu verstecken. Abgelegen ist Sant Elm noch heute, nur eine schmale, kurvige Straße führt von Andratx aus in den 80-Seelen-Ort. Statt Piraten bilden heutzutage Individualreisende die Mehrheit, sie nehmen den Sandstrand in Beschlag, der klein und zauberhaft ist. Manche von ihnen kraulen von hier aus zur winzigen Felseninsel Es Pantaleu. Oder sie suchen einen noch ruhigeren Flecken und legen mit dem Fischerboot ab – Richtung Isla Dragonera.

Die Dracheninsel. Wild und schroff liegt sie da, den Kopf von Mallorca abgewandt und den zackigen Rücken gen Nordosten gestreckt. Gerade mal 800 Meter entfernt von Mallorcas Südwestküste steht sie im blauen Mittelmeer. Buckelig, braun und mit grünen Flecken überzogen wirkt das kleine Eiland wenig einladend, wenn man sich vom Meer aus nähert. „Es dauert nur ein paar Minuten“, sagt der Kapitän, das Gesicht von der Sonne braun und faltig. „Ein paar Minuten, und Sie sind in einer komplett anderen Welt.“

Er scheint die skeptischen Gedanken der Passagiere aufzufangen, ihre Blicke zu verfolgen, die an der Wolke hängen bleiben, die sich an der Inselspitze verfangen hat. Ein Familienvater sucht die Küstenlinie ab, sucht Zeichen der Zivilisation, Menschen, Straßen, Häuser. „Gibt es denn gar nichts auf Dragonera?“, will er wissen. Der Kapitän runzelt die Stirn, sagt „doch, natürlich“, zeigt auf den Leuchtturm, dessen Umrisse in der Ferne zu erkennen sind. Er, Far Vell, wacht vom höchsten Punkt der Insel über das Meer, vom 353 Meter hohen Na Pòpia.

Das Meer gluckert leise am Rumpf vorbei, die Sonne verteilt Tausende von Sternchen auf der Wasseroberfläche. La Dragonera wird allmählich größer, ein Anleger kommt in Sicht. Kurz darauf legt das kleine Schiffchen im Naturhafen Cala Lladó an und entlässt die rund 20 Passagiere auf die felsige Insel.

Dragó ist Mallorquin und bedeutet Echse

Abgesehen von den Tagestouristen gehört die sechstgrößte Baleareninsel den Seevögeln und Eidechsen, ihretwegen steht die Dracheninsel seit fast 20 Jahren unter Naturschutz. Damals, so hatte der Kapitän erzählt, war die Insel gerade eben einer touristischen Zukunft entgangen, Ferienhaussiedlungen waren in Planung, ein Yachthafen, ein Casino und Hubschrauberlandeplätze. Doch das Vorhaben war an den Protesten von Naturschutzorganisationen gescheitert.

„Die tun nichts!“, ruft der Kapitän seinen Passagieren hinterher, bevor er Dragonera wieder den Rücken kehrt. Er deutet auf den Boden und zeigt beim Lächeln eine Zahnlücke, dann hebt er einmal seine Hand zum Gruß und dreht ab. Die wenigen Urlauber sehen zu Boden und wissen schnell, wer angeblich nichts tut: Gemeint sind die Eidechsen, Drachen in Kleinformat, die hier leben.

Wie viele Dragonera-Eidechsen es hier wirklich gibt, merkt man erst im Rahmen einer Inselerkundung. Unzählige sitzen im verdorrten Gras, zwischen Steinen, auf Wegen, unter Rosmarinsträuchern. Sie kommen nur hier auf dieser Insel vor, erfährt man im Besucherhaus der Parkverwaltung, und sie gaben der Insel ihren Namen: Das Wort Dragó stammt aus dem Mallorquinischen und bedeutet Echse.

Vier Wege stehen zur Auswahl: Man kann in Küstennähe übers karg bewachsene Eiland wandern, zum Beispiel bis zur Räuberbucht, in der Schmuggler einst Kaffee, Tabak und Zucker versteckt haben. Oder in rund drei Stunden zum Leuchtturm gehen. Auf jeden Fall muss man pünktlich zum letzten Schiffchen in Cala Lladó sein, denn übernachten kann man auf Dragonera nicht.

Zurück auf Mallorca, in Sant Elm, über das der österreichische Erzherzog Ludwig Salvator einst schrieb, dass es hier überall gleich schön sei, ob man sich von Norden oder von Süden aus nähere. Ein letzter Blick auf die Dracheninsel, vielleicht auch auf den 180 Meter langen Sandstrand, dann geht es zum nächsten ruhigen Fleckchen.

Unten am Meer spülen kleine Wellen in die Cala Estellencs

Wer weiter gen Südosten fährt und Andratx links liegen lässt, kommt an belebten Buchten vorbei – und an ein paar Geheimtipps. Einer davon: die Cala Monjo. Pinien krallen ihre Wurzeln in karge Erde, dazwischen ein kleiner Kiesstrand und Felsen, auf denen man sein Handtuch ausbreiten kann – das ist alles, was die Cala Monjo zu bieten hat. Dafür hat man hier seine Ruhe, sogar im Hochsommer, sogar wenn ansonsten jede Bucht der Insel voll ist.

Von Sant Elm aus über die wildromantische C 710 gen Norden landet man keine zehn Kilometer weiter in Estellencs, das an einem Steilhang des Tramuntana-Gebirges klebt. Fernab ausgetretener Touristenpfade ragen Natursteinhäuser aus den Felsen, manche mehr als 600 Jahre alt. Rundherum klettern Terrassen voller Tomatenpflanzen, Weinreben und Olivenbäume den Berg hinauf. Unten am Meer spülen kleine Wellen in die Cala Estellencs, die es allerdings nie in die Top Ten der schönsten Badebuchten schaffen wird.

Auch die nur ein paar Kilometer nordwärts gelegene Cala Banyalbufar ist mehr Sorgenkind als Magnet für Sonnenanbeter. Der steile Hang über der Bucht bröckelt, weshalb sie größtenteils gesperrt ist. Aber viel schöner ist ohnehin Banyalbufar selbst. Rundherum wieder Terrassen voller Gemüse und Weinreben, insgesamt sollen es um die 2000 sein. Und zwischendrin dieses Dorf mit seinen grobsteinigen Häusern mit den bunten Fensterläden, mit den vielen, vielen Treppen, und hier und da grasen mokkabraune Esel.

Hier ist Mallorca noch ganz Mallorca, hier kann man wunderbar wandern, im Ca’n Paco (unterhalb der Hauptstraße) hausgemachte Paella kosten oder am Ortsausgang weitermarschieren zum Torre des Verger, dem Wachtturm, von dem aus die Menschen in Banyalbufar früher beobachtet haben, ob Piraten in Sicht waren. Und hier spürt man auch wieder, wie anders die Insel hier ist, gerade mal 30 Kilometer von der quirligen Hauptstadt Palma entfernt.