In einem Jahr beginnt die Fußballweltmeisterschaft in der Heimat Pelés. Eine Rundreise zu den wichtigsten Austragungsorten

Junge Männer spielen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am Strand Fußball. Junge Frauen in knappen Bikinis schauen ihnen im warmen Sand dabei zu. Schulkinder üben Torschüsse am späten Nachmittag. Touristen kicken gleich begeistert mit. Fußball und Strand – diese nahezu perfekte Urlaubskombination erfährt in einem Jahr ihren Höhepunkt: Dann startet in Brasilien die Fußball-WM. Mit bis zu 600.000 internationalen Besuchern rechnet die brasilianische Regierung während der 30 Fußballtage 2014. Deutlich mehr sollen es dann zu den Olympischen Spielen zwei Jahre später werden. Bis 2022 will Brasilien zur drittgrößten Tourismus-Wirtschaft der Welt anwachsen.

Aber was prägt die brasilianische Gesellschaft mehr: Karneval oder der Fußball? Eine Frage, die Einheimische so beantworten: Brasilien ohne Samba geht nicht, Brasilien ohne Fußball geht auch nicht. Zur WM wird es jedenfalls richtig laut: In Brasilien sind die Nachfolger der Vuvuzelas, Symbol des südafrikanischen Fußballs, vorgestellt worden: die Caxirolas. Rasseln, die auch einen Höllenlärm erzeugen, aber im Sambarhythmus noch nerviger als Vuvuzelas klingen.

Das fünftgrößte Land der Erde hat viel zu bieten: Seine fast 200 Millionen Einwohner sind so vielfältig wie die 26 brasilianischen Bundesstaaten. Wir haben uns ein Jahr vor dem WM-Start (am 12. Juni 2014) in fünf bedeutenden WM-Städten umgesehen – und ganz nebenbei eine nicht unwesentliche Erkenntnis gewonnen: Das brasilianische Bier schmeckt so frisch und auch so gut, dass die reflexhafte Suche der Brasilien-Urlauber nach deutschem Gerstensaft guten Gewissens in den Hintergrund treten darf.

Rio de Janeiro

Vom englischen Nationaltrainer Roy Hodgson wird erzählt, dass er vor einiger Zeit am Strand der Copacabana zwei junge Männer gesehen hat, die sich einen Ball zuspielten, immer hoch in der Luft, ohne dass dieser ein einziges Mal in den Sand fiel. Eine Viertelstunde ging das so, ungläubig staunend konnte Hodgson seinen Blick nicht abwenden, ehe er schließlich doch seinen Spaziergang fortsetzte. Und als er zurückkehrte, da hielten die beiden begnadeten Kicker den Ball noch immer wie selbstverständlich hoch. Ob der englische Verband während der Weltmeisterschaft sein Teamquartier in einem Hotel an der Copacabana einzig und allein aus dem Grund beziehen wird, damit die Profis aus dem Mutterland des Fußballs sich beim Blick aus dem Fenster inspirieren lassen können?

Mit der Nachtruhe könnte es allerdings schwierig werden: An Rio de Janeiros berühmtestem Strand wird nämlich während der WM die offizielle Fanmeile des Fußball-Weltverbands Fifa angesiedelt sein. Die Spiele der Seleção, der Nationalmannschaft des Gastgeberlandes, werden Schätzungen zufolge allein hier drei Millionen Menschen verfolgen – dann steigt, das darf angenommen werden, die größte Samba-Party außerhalb des berühmten Karnevals.

Wer zum ersten Mal in Rio ist, wird schnell feststellen, wie erstaunlich grün die Sechs-Millionen-Stadt dank der vielen bewaldeten Hügel ist. Auf dem mit Abstand berühmtesten, dem Corcovado, thront über der Stadt die 30 Meter hohe Christusstatue. Ihr Anblick aus der Nähe ist atemberaubend, aber auch die Aussicht ist faszinierend. Rechts die Strände von Ipanema und Copacabana, geradeaus der riesige Friedhof von Botafogo, daneben der Zuckerhut – und links liegt für Fußballfans das Nonplusultra: das Stadion Maracanã. Es ist eine Kultstätte nicht nur des brasilianischen Fußballs. Das zur Weltmeisterschaft 1950 errichtete und einst bis zu 200.000 Zuschauer fassende Stadion ist für die Neuauflage einer Endrunde in Brasilien generalüberholt und gerade erst mit einem Testspiel zwischen Brasilien und England (2:2) vor 70.000 Zuschauern wiedereröffnet worden. Das Stadion hat dabei nichts von seiner Mystik eingebüßt. Im Maracanã findet am 13. Juli 2014 auch das WM-Endspiel statt.

Belo Horizonte

Die endgültige Entscheidung steht noch aus. Doch es ist gut möglich, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sein WM-Quartier bei Belo Horizonte aufschlagen wird. Dafür sprechen vor allem geografische Aspekte. Zum einen liegt die Hauptstadt des Bundesstaates Minas Gerais mit ihren knapp drei Millionen Einwohnern recht nahe zu den wichtigen Spielorten São Paulo und Rio de Janeiro; zum anderen ist zum Zeitpunkt des Turniers auch das Klima weitaus gemäßigter als im subtropischen Norden oder dem dann winterlich kühlen Süden. Wer allerdings nicht den – ohnehin seltenen – öffentlichen Übungseinheiten von Deutschlands befähigten Kickerbeinen beiwohnen möchte, der verpasst mit Belo Horizonte nicht viel. Gewiss, der Stadt wird nachgesagt, die höchste Dichte an Bars, Kneipen und Restaurants zu haben – von 14.000 ist die Rede. Und auch der zentrale Markt, an dessen Ort einst Belo Horizontes erstes Fußballstadion stand, lohnt einen Halbtagesausflug. Doch allein der Flughafen verbreitet schon abschreckende Wirkung: Das Chaos hier ist oft so groß, dass Regionalpolitiker von einer „großen Sorge“ in Hinblick auf die WM sprechen.

Und dann liegt Belo Horizonte, die Stadt mit diesem so wunderbar zum Träumen von herrlichen Sonnenuntergängen anregenden Namen, noch nicht mal am Meer; wie der gesamte Bundesstaat mit der Größe von Frankreich nicht über ein einziges Stückchen Küstenlinie verfügt. So hat sich Minas Gerais notgedrungen darauf verlegt, ein nationales Epizentrum der New Economy zu werden. Die Wirtschaft wächst hier landesweit gesehen am stärksten, nur kommen die Hotelneubauten der wachsenden Nachfrage von Geschäftstouristen kaum hinterher. Immerhin ist der WM-Spielort, das Estádio Governador Magalhães Pinto, mit seinen 62.000 Zuschauerplätzen bereits fertig.

São Paulo

Der Bundesstaat São Paulo ist von seiner Landfläche her etwas größer als Großbritannien, die gleichnamige Hauptstadt ein Moloch aus viel Beton und gefühlt sehr wenig Grün – und somit eine Herausforderung selbst für erfahrene Globetrotter: Es fällt wahrlich nicht schwer, sich in dieser Zwölf-Millionen-Metropole verdammt verloren zu fühlen. Es soll sogar Bewohner von São Paulo geben, die im Norden leben und noch nie einen Fuß in einen der südlichen Bezirke gesetzt haben – und umgekehrt. Einfach, weil die Stadt so groß und obendrein der tägliche Verkehr so chaotisch ist. Ein Ausflug zum Grab von Ayrton Senna? Gern – wenn Sie vier Stunden Zeit haben! Für die Anreise. Und retour noch einmal vier Stunden.

Wenn man sein Ziel kennt (und am besten den öffentlichen Nahverkehr dorthin nutzt), hat São Paulo als das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Brasiliens eine Menge zu bieten. Die Stadt ist Tag und Nacht in Bewegung, dafür sorgen unter anderem 80 Shoppingcenter, unzählige Bars und Restaurants genauso wie 260 Kinos. Ein Konzentrat aus all dem bietet auf 2,8 Kilometer Länge die Avenida Paulista, die so heißt wie die Bewohner von São Paulo.

Ein Muss für Fußballfans ist das Museu do Futebol im Pacaembu-Stadion, Heimat eines der größten Clubs der Stadt, des aktuellen Club-Weltmeisters Corinthians São Paulo. Auf 1400 Fotografien und in insgesamt sechs Stunden Video-Material wird die Geschichte des brasilianischen Fußballs dargestellt; an Donnerstagen ist der Eintritt frei.

Brasilia

Am Tag, als Oscar Niemeyer starb, herrschte in ganz Brasilien Trauer. Doch gefühlt wehten die Flaggen nirgends stärker auf halbmast und stand den Menschen der Verlust stärker ins Gesicht geschrieben als in Brasilia, der künstlich geschaffenen Hauptstadt von Brasilien, die ganz und gar geprägt ist von – Niemeyer. Alle wesentlichen Bauten tragen die Handschrift des im Dezember vergangenen Jahres verstorbenen Star-Architekten, der in den Jahren 1957 bis 1960 den Plan von Staatspräsident Juscelino Kubitschek verwirklichte, im Nirgendwo eine neue Kapitale zu erschaffen.

Entstanden ist ein Streitfall: Für Architekturliebhaber ist Brasilia ein Muss. Niemeyers klarer, kühler Stil ist weltberühmt; seine Bauten versprühen ganz und gar keine Exotik, meist dominiert Beton. Der Niemeyer-Vertraute und Stadtplaner Lúcio Costa sagte 1968 über Brasilia: „Alles ist monumental, (...) asketisch in der Reinheit seiner Formen, die auf das Nötigste reduziert wurden.“ Wer das nicht mag, wird sich unweigerlich an eine Stadt im Ostblock der frühen 70er-Jahre erinnert fühlen. Kein Wunder, hatte sich doch Niemeyer ausgerechnet Stalins Planung zur Umgestaltung Moskaus zum „Vorbild einer idealen Stadt“ genommen. Und so betrachtet man zum Beispiel den Fernsehturm, der demonstrativ am Kreuzungspunkt der beiden Verkehrs-Hauptachsen, der Via Norte Um Oeste und der Via Sul Um Oeste, platziert wurde, mit einem gewissen Unbehagen. Trotzdem: Seit 1987 zählt Brasilia zum Weltkulturerbe. Auch mit dem Nachtleben ist es so eine Sache, genau wie mit der Fußballbegeisterung. Hier unterscheidet sich die Kunststadt erheblich von allen anderen Zentren des Landes, denn beides ist überschaubar.

Das alte Stadion ist bis auf die Grundmauern abgerissen worden, das neue mit Platz für 70.042 Zuschauern gebaut worden und hat den offiziellen Namen Estádio Nacional de Brasilia bekommen. Doch es wird wohl nur während der Weltmeisterschaft 2014 und der Fußballwettbewerbe im Rahmen der Olympischen Spiele 2016 ausgelastet sein. Denn auf der Fußball-Landkarte bleibt Brasilia, was die Stadt bis 1955 immer gewesen ist: ein weißer Fleck.

Salvador da Bahia

Von allen Seiten wummern Trommeln durch die Gassen, fast an jeder Ecke und in jedem Hauseingang wird musiziert. Oder auf Kopfsteinpflaster Capoeira getanzt, diese Mischung aus Sport und Kampfkunst, die von hier stammt, wo einst auch Brasilien seinen Ursprung genommen hat – im Bundesstaat Bahia, dessen Hauptstadt Salvador ist. Hier hat der Braunschweiger Architekt Claas Schulitz, der bereits in Hannover die WM-Arena baute, eine richtig schöne Spielstätte gestaltet: Charakteristisch an der Arena Fonte Nova ist ihre Öffnung im Süden, die freie Sicht auf eine Parkanlage mit See gewährt.

Doch nicht nur deshalb gilt Salvador da Bahia als Geheimtipp unter den zwölf WM-Austragungsorten. Das Highlight neben Stränden und dem Leuchtturm von Barra, dem ältesten Südamerikas, ist das historische Zentrum von Pelourinho mit seinen verwinkelten Gassen und den von bunten Häusern und Kirchen umstandenen Plätzen. Die allgegenwärtige Musik in den Straßen verrät den afrikanischen Einfluss aus der Zeit der Sklaverei; andererseits finden sich aber auch Spuren der Portugiesen, die im Jahre 1500 ankamen. Kaum zufällig wirkt Salvador deshalb fast wie ein Mini-Lissabon; dafür sorgt schon der Elevador Lacerda, der auf 72 Metern einst die untere und obere Stadthälfte miteinander verband und heutzutage vor allem ein hervorragendes Fotomotiv mit dem Atlantik im Hintergrund ist. Bleibt noch zu erwähnen, dass auch hier junge Männer an den Sandstränden Fußball spielen. Und viele Touristen kicken mit.