Der neue Veranstalter GetYourGuide führt seine Kunden auf originelle Weise durch den besuchten Ort - so zum Beispiel in Berlin

Da staunte Lourdes. Die 16-jährige Tochter von Popstar Madonna kam im Tross der Mutter vergangenes Jahr nach Berlin und geriet an Henrik Tidefjärd, 38. Der smarte Schwede ist Gründer der Berlinagenten, die alles etwas anders machen als andere Anbieter von Stadttouren. Er ging mit dem Mädchen und einem etwas entsetzten Bodyguard zu Fuß durch Berlin-Mitte, auch dorthin, wo es nicht ganz so mondän aussieht, aber an New York erinnert. Danach kehrte man in "W - Der Imbiss" ein, der Leibwächter rümpfte die Nase.

Das kleine Lokal ist immer rappelvoll, und sein Betreiber Gordon W., ein Kanadier aus Toronto, der einige Zeit in Indien gelebt hat und Chili mag, das, wie er schwärmt, "tausendmal heißer ist als Tabasco", wirkt mit wuchtiger Figur, Hawaiihemd, Käppchen und Strichbärtchen etwas verwegen. Doch der Mittfünfziger ist ein Original: Wird etwas serviert, lässt er die Glocke scheppern. Das verschreckte den Bodyguard, nicht aber Madonnas Nachwuchs. Der hockte vergnügt unter den Teenagern, die zudem auf Englisch parlierten und munter Gordons ausgefallene Pizza mampften. Dazu trinkt man Spinorella, ein Algengetränk, oder ein Glas mit senfgelber Flüssigkeit, aus dem Grashalme ragen - für einen Aufpasser wahrlich eine Zumutung.

"W - Der Imbiss" ist erste Station von Henrik Tidefjärds "Gourmet-Rallye", die viereinhalb Stunden dauert und durch vier Restaurants führt, die Gehzeit zwischen den Locations beträgt etwa 15 Minuten. Tidefjärd, ein ausgewiesener Trend-Scout, der in Barcelona und London gelebt hat, nennt sie "meine beste Tour". Sie wird strikt individuell geführt: mit einer, zwei oder einer Gruppe von höchstens fünf Personen. Der Preis dafür sind 190 Euro (bei mehreren Personen verringert er sich automatisch). Neben der Küchenvielfalt Berlins lernt man dazu noch einen informativ-unterhaltsamen Guide kennen. Henrik, wie der Skandinavier genannt werden möchte, kennt sich in der Gastronomie aus, hat aber auch Tipps für Modeläden, Ausgefallenes und ist bei Neuigkeiten stets auf dem Laufenden. Während wir im zweiten Restaurant, im "Vino e Libri", sardische Küche - mit Auberginen gefüllte Schwertfischröllchen - serviert bekommen, dazu Wein von der Insel des Restaurantchefs probieren und hornbebrillte Zeitgeist-Besucher beäugen, manche wie eben einem Peoplemagazin entstiegen, rattert Henrik neueste Boutique-Eröffnungen herunter. Der urbane 14 Oz.-Store am Ku'damm, die neuen Läden A.P.C., Giro oder SET in den Seitenstraßen des Boulevards und die Design-Offensive im Klassiker KaDeWe. Henrik weiß alles. Für eine ausgefallene Uhr und Schmuck empfiehlt er Maurice Lacroix, für Mode Patrizia Pepe, Filippa K., Brunello Cucinello und Boggi Milano, alle haben Ende vergangenen Jahres eröffnet.

Henrik Tidefjärds Insiderwissen hat auch die weltweit größte Buchungsplattform für Touren, Attraktionen und Aktivitäten, GetYourGuide, beeindruckt. Die Firma hat die Berlinagenten unter Vertrag genommen, sie sind die Knüller unter den mehr als 280 Berlin-Angeboten. Insgesamt bietet das 2009 vom Deutschen Johannes Reck, 28, gegründete Start-up inzwischen über 18.000 Angebote in den Metropolen der Welt, aber auch in kleineren Städten und Regionen in zusammen 1800 Destinationen an. Ungewöhnliche Stadtrundfahrten, Sightseeing, Hopp-on-off-Touren, Kultur/Geschichte, Shows und Events. Es waren Studenten um Reck von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, die diese Idee ausbrüteten; inzwischen gibt es zwei weitere Büro-Standbeine in Berlin und Las Vegas.

Vor allem US-Unternehmen fanden die Idee famos und beteiligten sich mit 14 Millionen Dollar Starthilfe. GetYourGuide will den Reisemarkt grundlegend verändern durch gezielte preiswerte Dienstleistungen, die ausschließlich im Internet angeboten und gebucht werden. Drei-Stunden-Touren in Berlin oder Hamburg, New York, Tokio oder Sydney sind schon ab 15 Euro zu haben, nur das Besondere ist etwas teurer. Man kann im Gourmet-Bus durch die Hauptstadt rollen und vor den Sehenswürdigkeiten das fünfgängige Fingerfood-Menü, im Live-Cooking in der Bordküche zubereitet, zu sich nehmen (99 Euro). Oder mit einem Guide Berlins originellste Graffiti-Wände ablaufen und zwischendurch im Atelier die ungeschriebenen Verhaltensregeln der Künstler und ihrer Urban Art studieren (15 Euro). Aber auch das Bildungsbürgertum wird üppig bedient.

Ende Februar hat auch die TUI, Deutschlands größter Reiseverkäufer, eine exklusive Kooperation mit GetYourGuide vereinbart. "Für uns ein entscheidender Vertriebskanal", sagt CEO Johannes Reck. Der offene Marktplatz wächst täglich, sodass immer neue Offerten hinzukommen. Manche davon entwickeln sich aus individuellen Urlauberwünschen. So ist das Unternehmen nahe am Kunden dran und weiß, was der wirklich sucht im Angebotsdschungel.

Unser Lotse Henrik ist 2001 nach Berlin gezogen, hat Deutsch und die eigenwillige Mentalität der Berliner gelernt und kann sich begeistern für die Großstadt-Mischpoke aus Toleranz und Indifferenz, Liberalität und Proletarierstolz, Weltläufigkeit und Piefke-Denken. "In Berlin kann jeder bei null anfangen, in Paris oder Stockholm undenkbar", schwärmt er. Für Journalisten der "New York Times" oder Autoren von "Lonely Planet" ist Tidefjärd ein erstrangiger Ansprechpartner. Er kennt sich auch bei Spezialitäten-Restaurants aus. Im Chi Sing gibt es Huê-inspirierte Küche, Asien vom kulinarisch Feinsten. Lecker dampfende Speisen werden auf dem Holztablett in kleinen Behältern serviert: Reis mit Nüssen, gebackener Fisch, Hühnchen und delikates Gemüse. Man sitzt wie in einem Tempel auf Bali, im Garten hockt Buddha.

Zum Dessert geht es noch im Zickzack durch Berliner Straßen, Henrik kennt sich auch in der Gründerzeit aus und sogar die Geschichte einzelner Häuser. Der Schwede macht den meisten Berlinern etwas vor, auch die Jahreszahlen der systematischen Erbauung ganzer Straßenzüge und Bezirke wie Prenzlauer Berg, als Berlin zum Industriestandort heranwuchs, sind ihm geläufig. Das "Mani", behauptet er, sei derzeit Berlins bestes Restaurant.

Die Dessert-Kreationen sind im Gourmet-Rallye-Preis inkludiert, die Kunststücke auf Porzellan allein würden in anderen Städten das Doppelte kosten. "Auch in der deutschen Hauptstadt ändert sich gerade viel, aber noch ist sie günstig, und hip wird sie immer sein", sagt Henrik. Und empfiehlt noch eine Clubtour nach der Hymne an die Nacht "One night only" von Laura Branigan: "You help me to forget to play my role / You take my self, you take my self control."