«Hand gegen Koje» nennt sich das Projekt, bei dem der Gast seine Arbeitskraft spendiert und die Gemeinde im Gegenzug eine «Koje».

Hallig Hooge. Der Motor brummt monoton, er schiebt die Fähre durch die stockdunkle Nordsee. Es ist eiskalt an Deck, die Temperatur liegt um den Gefrierpunkt. In wenigen Minuten sind wir da, der gelbe Fähranleger ist - angestrahlt von Scheinwerfern - schon gut zu erkennen.

«Sind Sie es?», spricht mich eine freundliche Frau mit Brille an, während die Mannschaft das Anlegemanöver vorbereitet. «Ich bin es», bestätige ich etwas überrascht. Zielsicher hat mich die Dame vom Touristikbüro Hallig Hooge auf der Fähre ausgemacht, mit ihr hatte ich meinen «Hand gegen Koje»-Aufenthalt eingefädelt. Bis wir an Land gehen, macht sie mich mit drei weiteren Halligbewohnern sowie einem Hund bekannt und organisiert eine Mitfahrgelegenheit zu meiner Unterkunft, einer Dachgeschosswohnung auf der Hanswarft.

Auf Hallig Hooge werde ich die nächsten zwei Wochen leben und arbeiten. Das Eiland ist nicht einmal sechs Quadratkilometer groß, zu Fuß ist es in drei Stunden umrundet. Dauerhaft leben 100 Menschen hier, verteilt auf zehn Warften - jenen künstlichen Erdhügeln, die Häuser und Menschen bei Sturmflut und «Landunter» schützen. Auf Hooge gibt es eine Schule mit vier Schülern, eine Kirche, einen Kaufmannsladen und einen Krankenpfleger. Wird ein Arzt benötigt, kommt der per Rettungshubschrauber oder Seenotkreuzer.

Am Morgen nach der Ankunft trete ich um 10.00 Uhr meinen Dienst im Touristikbüro an. «Im Sommer sind die Einsatzmöglichkeiten vielfältiger», erklärt mir Gemeindemitarbeiter Erco Jacobsen, «Rasen mähen, Bänke streichen, Zäune reparieren, Unkraut zupfen». In meinem Fall sei Büroarbeit angedacht. Angesichts der Schneeflocken, die waagerecht über die Hallig stürmen, eine gute Idee.

Täglich sitze ich nun vier Stunden am Schreibtisch - ehrenamtlich - mache Pressearbeit für die Gemeinde, Telefondienst, koche Kaffee. Der Rest des Tages ist da für Spaziergänge, Bücher und Schlaf.

«10 bis 15 Bewerbungen gehen jeden Monat ein», überschlägt Erco Jacobsen. Aber nicht alle bekämen auch einen Platz, so der Gemeindemitarbeiter, Kapazität und Qualifikation seien entscheidend. Drei «Hand gegen Koje»-Plätze könnten parallel vergeben werden, außerdem werde genau geschaut, womit der Bewerber das Halligleben bereichern könne. «Durch das Projekt profitieren wir von den unterschiedlichsten Fähigkeiten, wir können nur lernen von den Teilnehmern.»

Im Gegenzug seien die Teilnehmer mehr Kollege als Gast, erklärt Erco Jacobsen, «es ist ein Geben und Nehmen, die Besucher können hinter die Kulissen des Halliglebens blicken.» Auch Freundschaften seien schon entstanden.

Seit vier Jahren gibt es das Projekt «Hand gegen Koje», rund 250 Menschen haben daran teilgenommen. Mindestens zwei Wochen müssen sie bleiben, eine Beschränkung nach oben gibt es nicht. Die Idee zu «Hand gegen Koje» hatte Hooges Bürgermeister Matthias Piepgras: «Wir haben gemeindeeigene Wohnungen, die wir aus verschiedenen Gründen nicht dauerhaft vermieten wollen», so Piepgras. Da man diese aber auch nicht dauerhaft leer stehen lassen wollte, sei die Idee entstanden, ehrenamtliche Mitarbeiter darin wohnen zu lassen.

Die bisherigen «Hand gegen Koje»-Teilnehmer waren zwischen 18 und 80 Jahre alt. «Bei dem 80-Jährigen fragte ich mich erst, was das soll», schmunzelt Piepgras, «aber der Mann war jahrzehntelang Bausachverständiger, und er hat uns mit einem Mängelbericht zum Schulbau sehr geholfen».

«Durch die ehrenamtlichen Helfer können wir Leistungen erbringen, die wir sonst nicht erbringen könnten», erklärt Bürgermeister Piepgras, «wir sind nämlich die verschuldetste Gemeinde in Schleswig-Holstein». Außerdem hat Hooge ein Demografieproblem, viele junge Leute verlassen die Hallig. Durch «Hand gegen Koje» sind neue hinzugekommen. «Wir bieten Orientierung, haben vier Neubürger gewinnen können, was sehr positiv ist für die Hallig», so der Bürgermeister.

Eine der Neubürgerinnen ist Sandra Weber. Die sympathische 32-Jährige ist hörbar keine Nordfriesin: «Ich bin eine kleine Reisetante» erzählt Weber fröhlich und in breitestem Schwäbisch, «zur Nordsee hatte ich immer eine besondere Verbundenheit, und das Projekt fand ich witzig». Also kam Sandra Weber erstmals 2011 für zwei Wochen «Hand gegen Koje» auf die Hallig, es folgten drei weitere Aufenthalte und dann - im März 2012 - der Umzug.

Ihre Stelle als Buchhalterin bei der Kreisverwaltung Calw hat sie dafür aufgegeben. Auf Hooge arbeitet sie nun für die Gemeinde, kassiert den sogenannten «Hallig-Taler», also die Kurtaxe, von den Tagesgästen. Und sie arbeitet gelegentlich in einem Restaurant. Nach gut einem Jahr auf der Hallig zieht sie eine positive Bilanz: «Ich komme gut mit den Leuten klar, und man findet schnell Anschluss.» Was sie vermisst? «Meine Eisdiele», lacht Sandra Weber schallend, «der habe ich ein wenig nachgetrauert».

Hallig Hooge

Hallig Hooge: Die Hallig liegt im Wattenmeer vor der Westküste Schleswig-Holsteins. Das Gebiet ist Unesco-Biosphärenreservat und Weltnaturerbe. Die Überfahrt vom Fährhafen Schlüttsiel dauert - abhängig von der Jahreszeit - etwa eine Stunde. Die «Halliglüüd», die Halligbewohner, leben überwiegend vom Tourismus. Mehrmals im Jahr wird Hallig Hooge von der Nordsee überflutet - man spricht dann von einem «Landunter». Menschen und Tieren finden dann Schutz auf den sogenannten Warften.

«Hand gegen Koje»: Der Begriff stammt aus der Seglersprache. Ein Skipper bietet einen Platz auf seinem Boot an, dafür wird mit angepackt. Bei dem Projekt der Gemeinde Hallig Hooge handelt es sich um eine unentgeltliche, ehrenamtliche Tätigkeit. Die tägliche Arbeitszeit beträgt vier bis sechs Stunden. Im Gegenzug stellt die Gemeinde eine Unterkunft. Teilnehmer sollten mindestens 20 Jahre alt sein und mindestens zwei Wochen Zeit mitbringen. Bewerbungen sollten schriftlich erfolgen - per E-Mail, Post oder Fax.