Im Themenpark Tierra Santa in Buenos Aires wird Jesus mehrmals am Tag geboren. Und gekreuzigt. Bevor er unter Beifall wieder aufersteht.

Maria José schaut auf die Uhr. Kurz vor zwei. Es ist Zeit für die Geburt Christi. Die letzte Geburt haben sie und ihre Familie um fünf Minuten verpasst. "Schnell", ruft sie ihrem Mann zu und zerrt an der Hand ihres fünfjährigen Sohnes. "Jesus wartet."

In Buenos Aires wird Weihnachten gefeiert. Und Ostern. Die Erschaffung der Erde, das letzte Abendmahl, Christi Himmelfahrt. Und zwar alles auf einmal, das ganze Jahr über. Denn mitten in der argentinischen Hauptstadt liegt die Tierra Santa, das Heilige Land, ein rund sieben Hektar großer Themenpark zwischen Stadtautobahn und City-Flughafen gelegen, am Ufer des Rio de Plata. Ein religiöses Disneyland, Kirchengeschichte aus Gips, Plastik und Beton.

Besucher des Parks erleben die Bibelgeschichte im Bilderbuchstil: Kleine Häuschen in Erdtönen angepinselt, Statisten im Schäfer-, Legionärs- oder Prophetenlook, Jesusfiguren an allen Ecken. Es gibt auch eine Synagoge und eine Moschee, vor allem aber Stände mit Zuckerwatte, Plastikkreuzen und schmetternde Fanfaren, die aus Lautsprechern über den Park hinweg schallen. "Am beliebtesten sind die religiösen Shows", sagt ein römischer Legionär, der im echten Leben Antonio heißt und sich durch den Job im Freizeitpark das Studium finanziert.

Besonders zu Feiertagen, also zu Weihnachten und Ostern, stehen lange Schlangen am Eingang des Parks, um sich die Geburt Christi, das letzte Abendmahl oder die Erschaffung der Erde anzuschauen.

Maria José und ihre Familie haben ihr Ziel erreicht. Zusammen mit einer Schulklasse drängen sie sich in einen künstlichen Berg. "Schaut mal, ein schöner Engel", ruft einer der Schüler und zeigt auf eine leuchtende Plastikfigur. Mariä Verkündung. Im Eiltempo drängt die Gruppe an Moses, den Propheten und Abraham vorbei . Dann darf sie in einem dunklen Saal Platz nehmen. Auf der Bühne gruppieren sich Esel und Ochsen, Schafe und Schäfer, Maria und Joseph, die drei Könige und Dutzende Engel um das Christuskind in der Krippe. Künstlicher Nebel steigt auf, Weihrauch liegt in der Luft. Händels "Messias" schmettert aus dem Lautsprecher.

Eine theatralische Stimme wie aus einem Hollywood-Blockbuster kündigt die Geburt Christi an. Dazu schwenken Neonlichter über die Szenerie. "Que lindo!", "Wie schön!", stößt Maria José aus und küsst das Kreuz an ihrer Halskette.

So kitschig der Park und die Inszenierungen wirken müssen, viele Besucher nehmen die Darbietungen durchaus ernst. Zum Beispiel Graciela Rodriguez, die Vizedirektorin einer katholischen Schule aus der Provinz Buenos Aires. Mit 80 Schülern sind sie und ihre Kolleginnen angereist, um den Kindern die Religionsgeschichte näherzubringen. Ihre Schüler seien dieses Jahr zur Kommunion gegangen, nun bereiteten sich die Klassen auf Weihnachten vor. "Hier", sagt die Lehrerin, "können sie Religion aktiv erleben." Auch die Schwester, sie nickt zu einer Nonne rüber, sei begeistert.

Die Nerven der Besucher, die weniger religiös sind oder den Park nicht ganz ernst nehmen, werden dafür mitunter hart auf die Probe gestellt. Bauchtänzerinnen schwingen vor dem Hebräischen Tempel die Hüften. Römische Legionäre lassen sich für zwei Pesos mit Muttis in Hotpants fotografieren. Ein Passagierjet rast dröhnend über die Köpfe der Passanten hinweg. Die Landebahn liegt hinter dem Themenpark.

Auf einem künstlichen Hügel findet die Kreuzigung statt, am anderen Ende des Parks kann man die Letzte-Abendmahl-Show besuchen, die in der Infobroschüre als "unvergleichlich andächtiger und spiritueller Moment" angekündigt wird.

Höhepunkt der Anlage ist jedoch die Auferstehung-Show. "Halleluja" schallt es durch die Luft, Kirchenglocken läuten, und hoch über den Köpfen der Besucher steigt ein 18 Meter hoher Jesus empor. Ein paar Minuten lang klappert er mit seinen Augenlidern, dreht sich marionettenhaft nach rechts und links. Das Publikum ist begeistert und klatscht frenetisch.

Ein paar Meter weiter wird der Heiland dann erneut geboren. "Frohe Weihnachten", schallt es aus den Lautsprechern. Maria José tätschelt ihren Jungen und lächelt zufrieden.