Zwischen Delfinen schwimmen ist Ihnen zu langweilig? Dann schnorcheln Sie doch mal mit Seekühen - in Florida ist das noch möglich.

Es ist die Farbe seiner Badeshorts, die ihn zum Star macht: Blassviolett mit Blümchendruck. Was der deutsche Urlauber, Volker aus Koblenz, nicht ahnen kann, als er in den Tümpel springt: Seekühe mögen die Farbe Violett. Sie haben sie sozusagen zum Fressen gern. Wasserhyazinthen sind die Lieblingsspeise der Vegetarier, und deren Blüten sind blassviolett. Wie Volkers Badeshorts. Und so geschieht das, womit niemand mitten im Mangrovensumpf vom Manatees Blue Spring Park bei Orlando gerechnet hat und was so auch nicht vorgesehen ist: Eine Seekuh verfolgt einen Urlauber unter Wasser.

Gefährlich ist das zwar nicht. Seekühe sind, wie gesagt, Vegetarier und ausgesprochen friedfertig. Aber man weiß ja nie, immerhin sind Seekühe bis zu zehnmal so schwer wie ein Mensch. Die meisten Touristen trauen sich gar nicht ins grünlich-trübe Wasser und bleiben lieber als Zuschauer am Ufer.

Wie aus dem Nichts erscheint ein grauer, massiger Schatten, der so breit wie lang wirkt. Zu dick für einen Alligator. Luftblasen blubbern. Dann guckt eine Knautschnase mit borstigen Tasthaaren aus dem Wasser. Eine Seekuh. Halsloser kleiner Kopf, zwei Knopfaugen, und auf dem Rücken wachsen grüne Algen. Die Oberlippe ist gespalten, jede Hälfte kann unabhängig von der anderen bewegt werden. Ein Paddelschlag mit der Schwanzflosse, das neugierige Tier dreht sich im Wasser und kommt den Schwimmern nahe. Es ist ein ausgewachsenes Exemplar; Seekühe können bis zu 70 Jahre alt werden. Hinter der Leit-Seekuh treiben wie schwerelos drei weitere tonnenschwere Tiere unter Wasser heran.

Volker rudert tapfer mit Beinen und Armen auf der Stelle. Ein anderer Badender versteckt sich hinter dem Steg. Ein dritter klettert aus dem Wasser. Die Sache wird ihm zu mulmig. Schwimmen mit Seekühen ist nicht jedermanns Sache. Dazu sind die Meeressäuger einfach viel zu groß - ihre nächsten Verwandten an Land sind die Elefanten. Im Gegensatz zu denen können sich Seekühe allerdings überhaupt nicht an Land fortbewegen: Ihre Vorderbeine sind zu Flossen umgebildet, und statt Hinterbeinen haben sie einen paddelförmigen Schwanz. Manchmal versuchen sie trotzdem, sich auf aus dem Wasser ragenden Baumwurzeln zu hieven, um am Moos zu knabbern.

"Keep away", warnt eine uniformierte Rangerin, die das Schnorcheln mit den Seekühen überwacht. Nur unter Aufsicht ist es Touristen erlaubt, in einem der Seekuh-Schutzgebiete im Bundesstaat zu schwimmen. Und das auch nur zu bestimmten Zeiten, im Oktober und November sowie im März und April. Um die streng geschützten Tiere nicht unnötig zu stressen, darf sich ihnen auch niemand auf weniger als einen Meter nähern.

Doch was soll ein Schwimmer tun, wenn die Seekuh die vorgeschriebene Distanz nicht einhält? Noch zwei Meter, eine Armlänge, dann nur ein paar Zentimeter trennen Mensch und Tier voneinander. Volker schwimmt rückwärts, die Seekuh folgt. Sie ist neugierig. Sie darf rempeln, er nicht. Sie hat Narrenfreiheit, er riskiert bis zu 20 000 Dollar Strafe, wenn er sie absichtlich berührt. Der strenge Tierschutz geht vor.

"Don't touch", ruft die Rangerin noch einmal zur Erinnerung, während die Seekuh elegant unter Volker hinwegtaucht und seine strampelnden Beine fast berührt, bevor der sich zurück auf die Stegleiter flüchtet. Die Seekuh wendet, macht wie ein Schwimmer am Beckenrand eine erstaunlich elegante Rolle rückwärts und lässt sich auf dem Bauch treibend von der Strömung wegtragen. Grinst sie dabei nicht sogar?

Breit grinst auf jeden Fall die Rangerin und erklärt: "Seekühe sind völlig harmlos, sie wollen bloß spielen und stupsen hin und wieder Schwimmer an. Diese hier heißt Annie und ist besonders neugierig." Die bis zu vier Meter großen Meeressäuger haben wenig Scheu, wirken fast naiv zutraulich, weil sie keine natürlichen Feinde kennen - für Haie und Alligatoren sind sie als Beutetier schlicht zu groß. Vielleicht deshalb werden sie "gentle giants" genannt, freundliche Riesen.

Bedroht sind sie trotzdem: Weil sie träge bei gemütlichen zwei bis fünf Kilometern pro Stunde durchs seichte Wasser gleiten und den Boden abgrasen, können sie schnellen Motorbooten häufig nicht rechtzeitig ausweichen. Viele Tiere haben tiefe Schrammen von Propellerschrauben auf dem Rücken.

An den Narben unterscheiden die Ranger die Tiere - auch Seekuh Annie hat mehrere verheilte Wunden. Einige Touristen gucken betroffen. Die meisten sind tags zuvor mit 50 bis 70 Stundenkilometern johlend auf Schnellbooten durch die Sumpflandschaft gerast, so schnell, dass die Sumpfvögel nur so vor ihnen davonstoben und Schildkröten am Ufer reihenweise ins Wasser plumpsten. An Gefahren für Seekühe hat da niemand gedacht.

Wer die Meeressäuger in Florida beobachten will, muss zur richtigen Jahreszeit kommen: Im Herbst, wenn es im Golf von Mexiko und an der Atlantikküste zu kalt wird, wandern die Seekühe zum Überwintern die Flussarme hinauf und sammeln sich zu Hunderten an den 22 Grad Celsius warmen Quellen im Landesinneren - wie am St. Johns River im Manatees Blue Spring Park sowie weiter südlich am Crystal und Homosassa River. Manche haben auch die lauwarmen Kühlwasserbecken der Kraftwerke als moderne Alternative entdeckt - und schwimmen im Winter zwischen den Turbinen hin und her. Immerhin etwa 3200 der Rundschwanz-Seekühe, auch Manatees genannt, leben wieder in freier Natur in und um Florida, jedes Jahr werden sie im Januar aus der Luft gezählt.

Der Manatees Blue Spring Park, gut eine Autostunde von der Freizeitpark-Metropole Orlando entfernt, ist eines von zehn Schutzgebieten für Seekühe im Bundesstaat. Inzwischen wird in vielen Regionen das Motorbootfahren eingeschränkt oder sogar komplett verboten. Dank des landesweiten Schutzprogramms steigt die Zahl der Meeressäuger - auch wenn noch immer Mangrovenwälder gerodet und Sümpfe trockengelegt werden.