Den Likör, für den Curaçao berühmt ist, gibt es in vielen Farben. Dazu eine ganze Palette an Sprachen – und die feine holländische Kolonialarchitektur.

Der Schmatzer sitzt. Flott kommt Geegee angerauscht, reckt den Oberkörper aus dem Wasser und - Kuss. Kühl fühlt sich das an, sanft. Eine Liebkosung, die ein herzhaftes Lachen auf das Gesicht zaubert, so breit wie das ewige Grinsen des Delfinweibchens.

Geegee ist wohlerzogen, genau wie Renata und Kaona. Die drei geben nicht nur Küsschen, sie singen, schütteln den Gästen die Flossen, drehen sich im Takt und sind ebenso geduldig wie aufmerksam auch gegenüber den eher vorsichtigen Schwimmern. Zur Belohnung gibt's natürlich Fisch für sie. Die Delfine gehören zur Dolphin Academy im Seaquarium von Willemstad, einer der Attraktionen in der Hauptstadt von Curaçao. Geegee, Renata und Kaona wirken entspannt, nicht wie nervöse Dressurpferde kurz vor dem Rennen. Neugierig umkreisen die Meeressäuger ihre Nicht-Artgenossen, stupsen, fordern zum Mitschwimmen auf. Ihre Haut glänzt wie schimmerndes Perlmutt, fühlt sich wie Seide an. Dass Augen, Nase, Ohren, Mund tabu sind, versteht sich von selbst, auch wir wollen ja nicht gleich beim ersten Kennenlernen ins Gesicht gefasst werden.

Die Farbe des 25 Grad warmen Salzwassers im Seaquarium, hineingebaut in die Karibische See, erinnert an das Blau des Orangenlikörs, für den die Insel berühmt ist. Inzwischen gibt es nur noch eine Likörfabrik, die "The Genuine Senior Curaçao of Curaçao" herstellt, nur echt mit der Pinie auf dem Etikett der bauchigen Flasche. Die Farbe - es gibt den Likör auch noch in Gelb, Grün, Rot und klar - hat nichts zu bedeuten, der Inhalt schmeckt gleich süß.
Aber es ist schön für die Cocktails, wie Niels sie mixt: "Ein Schuss Red Curaçao verleiht jedem Drink die Farbe eines perfekten Sonnenaufgangs." Der 23 Jahre alte Holländer hat seine kalte Heimat verlassen, um Touristen zu verwöhnen. "Bon bini", herzlich willkommen, heißt das in Papiamento, der zweiten Landessprache neben Holländisch. Das Gemisch aus Indianisch, Afrikaans, Spanisch, Portugiesisch, Holländisch, Englisch hat eigentlich von allen Nationalitäten etwas, die jemals auf der Insel Fuß gefasst haben seit ihrer Entdeckung 1499 durch die Spanier. Jetzt erobern Touristen die weißen Strände, die kristallklaren Tauchgebiete, so mancher ist auch empfänglich für die kulturelle Vielfalt.

Niels fällt die Umstellung nicht schwer, schließlich ist hier, knapp 8000 Kilometer entfernt von Utrecht, seine Muttersprache Amtssprache. Nach Aruba und Bonnaire ist Curaçao das C in den ABC-Inseln, den Namen leiten die Einheimischen vom portugiesischen Corazón ab, sie fühlen sich als das "Herz" der Karibik. Die Bewohner sind holländische Staatsbürger, ihr Staatsoberhaupt ist noch immer Königin Beatrix, auch wenn die "Insel unter dem Wind" seit 2010 unabhängig innerhalb des Königreichs ist. Und so wird auch nicht in Euro bezahlt, sondern in Antillen-Gulden. Ölindustrie in Verbindung mit dem nur 60 Kilometer entfernten Venezuela, Tourismus und Offshore-Banking sind die wichtigsten Wirtschaftszweige.
Nachfahren der afrikanischen Sklaven - noch bis 1863 war Curaçao einer der wichtigsten Plätze für Menschenhandel - bilden inzwischen die größte ethnische Gruppe. Ihr Erbe zu bewahren, das hat sich Jeanne Henriquez zur Aufgabe gemacht. "Uns wurde beigebracht, wir müssten uns für unsere Vorfahren schämen, dabei sollten wir vielmehr stolz auf sie sein", ereifert sich die ehemalige Professorin für Geschichte und Geschlechterforschung. Das Tula-Museum im ehemaligen Landhuis Knip im Nordwesten ist zu ihrer Lebensaufgabe geworden. Das in hellem Gelb erstrahlende Gebäude auf einer Anhöhe über dem Meer beherbergt mehr als ein Heimatmuseum mit historischen Haushaltsgeräten, antiken Möbeln und Bildern. Hier nahm der Sklavenaufstand von 1795 seinen Anfang unter der Führung des schwarzen Vorarbeiters Tula.

Hier erfährt man in der einstündigen Führung auch viel über die Entwicklung der Insel. "Auf der Knip-Plantage wurden noch bis zum 19. Jahrhundert Bohnen, Mais, Erdnüsse, Kürbisse angebaut, es gab Hühner, Schafe, Ziegen, Pferde, Kühe. 147 Sklaven gehörten zum Hof." Nach dem Ende der Sklaverei hätten die Familien zwar Land für die eigene Bewirtschaftung bekommen, aber mit solch hohen Auflagen - maximal ein halber Hektar, maximal fünf Ziegen und zwei Esel, die Regierung konnte das Land ohne Angabe von Gründen wieder zurückfordern -, dass die landwirtschaftliche Tradition verloren gegangen sei. "Wie auf der Knip-Plantage ist es überall gelaufen", sagt Jeanne Henriquez. "Die Stiftung, der das Tula-Museum gehört, vergibt inzwischen wieder Land an umliegend wohnende Familien, wir wollen Landwirtschaft fördern und vor allem die Arbeitslosigkeit unter Frauen und Jugendlichen abbauen." Zudem hat sie mit 20 Frauen eine Kooperative gegründet, die unter anderem die Küche im Museum betreibt. Die "Pannekoeken" mit Zimt und die Zitronenlimonade sind unbedingt empfehlenswert.
Es sind die kulturinteressierten Individualreisenden, die Curaçao umwirbt. 1997 wurde der historische Teil von Willemstad zum Unesco-Kulturerbe erklärt, der Erhalt der holländischen Kolonialarchitektur aus dem 18. und 19. Jahrhundert ist Ehre und Verpflichtung zugleich. "Mindestens einmal jährlich müssen die Häuser einen neuen Farbanstrich bekommen", sagt Fremdenführerin Gigi. "Die salzhaltige Luft und der poröse Kalkstein, mit dem gebaut wird, lassen die Farbe sehr schnell abblättern." Knallblau, Blutrot, Ocker, Lila, Dunkel- und Hellgrün, die ganze Palette wird aufgetragen. Und zwar nicht nur in der Innenstadt, in den gepflegten, bewässerten Villenvierteln, auch in den einfacheren Wohngebieten und auf dem Land bekennt man Farbe. Eine Augenweide in der nicht gerade lieblichen Landschaft mit Agaven, Dornbüschen und Kakteen.

Die Anstrengungen der vergangenen Jahre zahlen sich aus, der Tourismus boomt, auch weil Curaçao als relativ wohlhabend für die Region und sicher gilt, europäische Standards keine Seltenheit sind und man dank einer Meerwasserentsalzungsanlage überall auf der Insel bedenkenlos Leitungswasser trinken kann. Die Anzahl der Hotelzimmer und Appartements konnte im vergangenen Jahr verdoppelt, die Tourismuszahlen aus Europa um zehn Prozent gesteigert werden. Noch sind es vor allem Niederländer, die von Amsterdam aus nonstop in die Karibik fliegen. Doch seit im Oktober vergangenen Jahres AirBerlin eine zehnstündige Direktverbindung von Düsseldorf nach Willemstad anbietet, wählen immer mehr Deutsche den Flug gen Westen statt nach Osten auf die Malediven. Schwimmen, schnorcheln und tauchen - das kann man auf Curaçao auch! Nicht die kilometerlangen Werbe-Sandstrände locken, sondern überschaubare Buchten mit kristallklarem Wasser, lokale Händler verkaufen an kleinen Marktständen Nüsse, Chips, Getränke.
Seefeste Urlauber bringt "Miss Ann" nach Klein-Curaçao, mit dem Schiff ist das karge, unbewohnte Eiland in zwei Stunden zu erreichen, es gibt kein fließend Wasser, keine Elektrizität. Neben dem Frühstück und dem Barbecue, das die Crew fern der Zivilisation zubereitet, sind zwei Schiffswracks und ein verfallender Leuchtturm die Attraktionen. Und natürlich das türkisklare Meer, die Korallenriffe. Schwarz-weiße Schmetterlingsfische sind unter Wasser zu entdecken, Sergeant Major heißen die Schwarz-Weiß-Gelben, blau sind die Schwalbenschwänzchen aus der Gattung der Riffbarsche. Und dann, plötzlich, eine Schildkröte. Sie scheint knapp über dem Meeresboden zu fliegen, ihre Beine bewegen sich wie die Schwingen von Vögeln. Kurz auftauchen, dreimal Luft holen - gilt auch für Schwimmer.

In 170 Meter Tiefe gibt es keine Schildkröten und auch kaum noch Fische zu sehen, selbst wenn es nicht so dunkel ist wie erwartet. Grünblau schimmert das Wasser. Auf dem Weg nach unten weist Pilotin Barbara Van Bebber auf ein Schiffswrack: "Hier haben sich Muscheln und Schwämme angesiedelt, Fische lauern auf Beute." Die exklusive Tauchfahrt mit dem U-Boot "Curasub" beginnt an der Substation Curaçao, bis zu vier Passagiere können mit in die Tiefe. Hinter dem großen Bullauge wirkt alles viel kleiner. Orange und rot leuchten die Korallen im Licht der Scheinwerfer; je tiefer "Curasub" schwebt, umso kälter wird es in der Kapsel von der Größe eines VW-Busses. Raumangst darf man hier keine haben.
Adrian "Dutch" Schrier hat das U-Boot in Kanada nach seinen Vorstellungen bauen lassen, der Extremtaucher - man könnte ihn auch als Reinhold Messner der Meere bezeichnen - denkt jedoch nicht nur in touristischen Kategorien. 1975, mit 29 Jahren, ist der Holländer erstmals auf die Insel gekommen, "auf der Suche nach dem perfekten Tauchgebiet", wie er sagt. Er hat das Seaquarium mit der Dolphin Academy gegründet, bietet Delfin-Therapien für behinderte Kinder an, entwickelte Hotelresorts, nun sollen wissenschaftliche Erfolge sein Lebenswerk krönen. Schon heute nutzen Experten der Smithsonian Institution in Washington "Curasub" für ihre Forschung, sechs neue Fischarten haben sie bereits entdeckt, zudem prüfen sie den Anstieg der Wassertemperatur in der Karibik. "Der größte Feind unserer Umwelt ist Unwissenheit", sagt "Dutch", der die Welt besser verlassen möchte, als er sie vorgefunden hat. "Sie werden nie wieder Müll ins Meer werfen, wenn Sie einmal schnorcheln oder tauchen waren. Und auch nicht, wenn Sie mit Delfinen geschwommen sind. Denn das Meer ist ihr Zuhause." Stimmt, den Vorgarten von Geegee werden wir nie vergessen.