Die “Aidamar“ wurde in Hamburg getauft, ist nun im Mittelmeer unterwegs und nimmt bald Kurs auf Ägypten. Ein Einblick in den Betrieb.

Klar, dass dieser Klassiker nicht fehlen darf. "Schläft die Crew auch an Bord?" sei tatsächlich eine der Fragen gewesen, die ihm unterwegs gestellt wurden, sagt Peter Werth, seit zehn Jahren in Diensten von Aida und als Club Direktor oberster Hotelchef auf dem Schiff. Aber er hat noch ein paar mehr skurrile Zitate auf Lager, etwa "Warum hat meine Innenkabine keine Fenster?" oder auch: "Wo liegt denn Seetage und warum fahren wir da zweimal hin?"

Donnerstag, 21.30 Uhr, oben auf dem Pooldeck. Weil am nächsten Morgen die erste Mittelmeer-Reise der "Aidamar" zu Ende geht, ist es Zeit für die Crew, Bilanz zu ziehen - so, wie es auf Aida-Schiffen am letzten Abend einer Seereise schon Tradition ist. Zuerst gibt es Frei-Sekt für jeden, dann kommen Kapitän, Club Direktor und Entertainment Manager auf die Bühne. "Palma de Mallorca mitgezählt, hatten wir fünf Erstanläufe", betont Kapitän Jörg Miklitza, der als Einziger an Bord vier Streifen an seiner weißen Uniform tragen darf. Es ging von der Baleareninsel aus nach Tunis/La Goulette, Palermo, Neapel und Civitavecchia, dem Hafen von Rom. Noch ein Autogramm auf der an Bord produzierten Reise-DVD, die anschließend an ein Kind verschenkt wird, dann ist der oberste Nautiker auch schon wieder weg. Show-Auftritte sind offenbar nicht so sein Ding, er hält sich lieber im Hintergrund. Vielleicht passt es seit dem Unglück der "Costa Concordia" aber auch nicht mehr so recht ins Bild, wenn sich Kapitäne zu sehr vor ihren Gästen in "Traumschiff"-Manier produzieren.

Für die gute Laune der rund 2500 Passagiere sind bei Aida ohnehin andere verantwortlich, ihr Job ist es, für ausgelassene Urlaubsstimmung zu sorgen, selbst dann, wenn die Reise bald zu Ende geht. Und so werfen Club Direktor Werth und Entertainment Manager Jürgen Neff erst einmal mit ein paar bombastischen Zahlen um sich. 22 000 Eier habe man in einer Woche gekocht, gebraten oder verbacken, dazu 10,5 Tonnen Fleisch, vier Tonnen Fisch sowie 22 Tonnen Obst und Gemüse. Dazu seien mehr als 7000 Liter Hauswein weiß und rot sowie 4500 Liter Freibier ausgeschenkt worden. Und weil das alles "ja auch mal wieder raus muss", habe man unterwegs 3200 Rollen Klopapier verbraucht.

Danach marschiert, begleitet von den Rhythmen des Black-Eyed-Peas-Hits "I Gotta Feeling", ein Großteil der Crew zum Pooldeck. Sektion für Sektion strömen die Mitarbeiter klatschend auf die Bühne, das Publikum klatscht mit und bedankt sich so für eine offensichtlich gelungene Reise.

Die "Aidamar", die im Mai dieses Jahres beim Hamburger Hafengeburtstag mit einer pompösen Show getauft worden war, ist eine kleine Stadt für sich. Und die kann nur funktionieren, wenn die Crew gut eingespielt ist und weiß, was wann und wo zu tun ist. Rund 620 Köpfe zählt die internationale Besatzung, Bordarzt inklusive. Davon entfallen circa 100 auf den nautischen Bereich, alle anderen sollen für einen möglichst reibungslosen Hotelbetrieb sorgen. Der unterscheidet sich auf See gar nicht so sehr von einem Ferienclub an Land - deshalb finden sich an vielen Schaltstellen Mitarbeiter, die ihre berufliche Erfahrung zunächst in der Hotellerie erworben haben. Aber auch Quereinsteiger mit Liebe zur Seefahrt haben an Bord gefunden. Und Leute, die bei der Arbeit einfach mal die Welt entdecken wollen.

Viele von ihnen waren schon auf anderen Aida-Schiffen im Einsatz, manche haben dank ihrer Erfahrung sogar bei der Indienststellung der "Aidamar" geholfen. Der 36 Jahre alte Hamburger Jan Christoph Fietz zum Beispiel wurde im Interconti an der Außenalster ausgebildet und ist seit 2007 für die Reederei tätig. Er hat seitdem bei allen Indienststellungen mitgemacht, war also jedes Mal auch schon in Papenburg auf der Meyer Werft dabei, wo die Schiffe der sogenannten Sphinx-Klasse - das erste war die "Aidadiva" - gebaut wurden und werden. 2013 soll an der Ems mit der "Aidastella" das letzte der sieben weitgehend baugleichen Schiffe fertiggestellt werden. Auch dann will Fietz, der mittlerweile den Rang eines Restaurantleiters innehat, wieder mit von der Partie sein. Und auch die künftigen, noch größeren Aida-Neubauten, die nach Japan vergeben wurden, hat er für sich schon fest eingeplant.

Zwar ist die Kreuzfahrt dank der Möglichkeit, der Sonne hinterherzufahren, nicht so ein Saisongeschäft wie die Ferienhotellerie, trotzdem kann natürlich niemand ein ganzes Jahr lang am Stück auf einem Schiff arbeiten. Deshalb ist es normal, einen Teil der Belegschaft mit befristeten Verträgen an Bord zu holen, andere wiederum haben Festverträge mit festgelegten Auszeiten an Land. Die Reederei achtet beim Crewwechsel darauf, dass nicht alle gleichzeitig durch neues Personal ersetzt werden, deshalb sind die Verträge sehr individuell gehalten. Auch wird bei Nachfragen nicht gerne über Geld gesprochen. Da Kost und Logis frei sind, ist die Vergütung unter dem Strich aber schon so hoch, dass sich ein Wechsel vom Land aufs Meer lohnt. Zudem gibt es gute Aufstiegsmöglichkeiten.

Vor knapp zwei Jahren hat Kristin Karberg, 30, aus Vierhöfen bei Winsen/Luhe erstmals bei Aida angeheuert. Zunächst schnitt die gelernte Friseurmeisterin im bordeigenen Salon Haare, mittlerweile plant und organisiert sie als Spa Butler die Wellnessprogramme jener Gäste, die eine der 39 Spa-Kabinen gebucht haben. Der Spa-Bereich der Aida-Schiffe ist vor allem an den Seetagen eine beliebte Anlaufstelle; wer nicht rechtzeitig reserviert, bekommt für die Anwendungen dann kaum einen Termin. Mancher Gast bleibt deshalb auch mal an einem Landtag an Bord, um die Einrichtungen zu nutzen. Kristin Karberg hat ihre Entscheidung, auf einem Schiff zu arbeiten, bislang nicht bereut. "Ich bin sehr seefest. Da gab es nie ein Problem. Außerdem macht es mir hier unglaublich viel Spaß, mit den Gästen genauso wie mit den Kollegen. Man lebt wie in einer großen WG und lernt unten an der Crew-Bar nette Leute kennen. Ich habe auch schon viel gesehen, vor allem Norwegen und Dubai haben mich beeindruckt."

Wer als Crewmitglied nach Dienstschluss Lust hat, über die Passagierdecks zu stromern, kann sich einen Leisure Pin neben das Namensschild heften und sich dann unter die Gäste mischen. Von dieser Möglichkeit profitieren vor allem jene Mitarbeiter, die normalerweise kaum mit den öffentlichen Bereichen in Kontakt kommen, weil sie hinter den Kulissen leben und arbeiten.

Wie Tonia Altmann aus Hamburg. Sie ist 27 Jahre alt und wollte ursprünglich Sängerin werden. Doch nun hat sie ihre Passion nicht auf, sondern hinter der Bühne gefunden. "Ich bin auf dem Schiff Costume & Make-up Supervisor, aber man kann auch einfach Dresser sagen. Mein Kollege und ich sorgen dafür, dass alle Kostüme und Outfits der Künstler heil und sauber sind und richtig passen." Wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist, ahnt man spätestens beim Anblick der Bord-Show "Kauri". Sänger und Tänzer in prächtigen Fantasiekostümen verwandeln dabei das Theatrium, die große Bühne zwischen Deck 9 und 11, in eine spektakuläre Unterwasserwelt. "Manchmal haben die Künstler bei unseren Shows nur 30 Sekunden Zeit, um ihre Sachen zu wechseln, da muss alles sitzen." Tonia Altmann, die das Showensemble liebevoll ihre "Ersatzfamilie" nennt und sich besonders auf Ägypten freut, ist noch bis zum 20. Januar auf der "Aidamar" im Einsatz. Danach würde sie bei einem neuen Einsatz vor allem Asien als Fahrtgebiet reizen.

Dort ist Kati Keifel, 29, mit der "Aidadiva" schon gewesen. Als Kids Captain ist die Leipzigerin, deren Mutter aus Ahrensburg stammt, hauptsächlich in Ferienzeiten gefragt, denn dann fahren auf den Aida-Schiffen schon mal 500 oder mehr Kids und Teens mit. "Ich habe acht Leute in meinem Team, wir betreuen Kinder und Jugendliche von drei bis 17 Jahren." Während die kleinen Gäste oft auf Deck 5 im Kinderclub mit Spielzimmer und eigenem Außenpool unterhalten werden, findet man die größeren häufiger im "Hype" auf Deck 12 oder unterwegs auf dem Schiff bei einer Schnitzeljagd. Jeden Tag gibt es spezielle Angebote für jede Altersgruppe, für die Teens auch Ausflüge wie die Digicam-Rallye in Palermo oder eine Saunanacht. Auch das 4-D-Kino und das Sportfeld auf Deck 14 sind beliebte Teenie-Treffs. Kati Keifel, die gelernte Erzieherin ist, will ihren Schützlingen an Bord "vor allem einen schönen Urlaub" ermöglichen, das unterscheide ihr Angebot schon etwas von einer Kita oder Jugendeinrichtung an Land. Eine eigene Familie hat sie, wie die meisten Aida-Mitarbeiter, noch nicht, aber einen festen Partner, der praktischerweise auch auf der "Aidamar" fährt.

Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen ist für die Crewmitglieder eines Kreuzfahrtschiffs normalerweise nicht leicht. Deshalb gehört es bei vielen zur Lebensplanung, die Zeit auf See als eine von mehreren beruflichen Phasen zu sehen, der irgendwann der Wechsel an Land folgen soll. Aber es gibt auch Mitarbeiter, die sich mit Haut und Haaren den Weltmeeren verschrieben haben. So wie Jennifer Witt, 26, aus Hamburg, die ihr Hobby zum Beruf gemacht hat. Nach dem Nautik-Studium in Elsfleth bei Bremen heuerte sie - als einzige Frau - auf der Brücke eines Schwergutschiffs mit überwiegend russischer Besatzung an und wechselte im Sommer 2012 zu Aida, wo sie nun als Zweiter Offizier Teil der Schiffsführung ist. "Auf Kreuzfahrtschiffen ist es heute zum Glück egal, ob du eine Frau oder ein Mann bist. Hauptsache, du machst deine Arbeit gut. In der Frachtschifffahrt war das noch etwas anders, es hat aber nie ein großes Problem dargestellt. Man weiß ja vorher, worauf man sich einlässt", sagt Witt.

Hat man Fragen zur Schiffstechnik, kann Jennifer Witt profund Antwort geben. So ist die "Aidamar" 253,20 Meter lang, ragt 50,70 Meter über die Wasserlinie hinaus und hat eine maximale Breite (beim Theatrium) von 37,80 Metern. Ihre vier Generatoren können bis zu 36 000 kW Strom erzeugen und die beiden Schiffsantriebe mit je 12 500 kW Leistung den schwimmenden Koloss auf maximal 23 Knoten bringen. Rettungsboote und Rettungsinseln gibt es für 4300 Menschen, also mehr, als die Summe von Crew und Passagieren (maximal 3306 Personen) es erfordern würde. Der "Bremsweg", offiziell Stoppstrecke genannt, beträgt 1,6 Kilometer.

Wichtige Manöver werden von der Schiffsführung viele Seemeilen im Voraus berechnet. Dabei spielt neben dem Seegebiet und der Verkehrslage vor allem der erwartete Wind eine Rolle, denn der erfordert, wenn er kräftig von der Seite bläst, korrigierende Maßnahmen, um das Schiff sicher und ruhig auf dem Kurs zu halten. Nur mal so zum Vergleich: Die "Gorch Fock" hat 2037 Quadratmeter Segelfläche, bei der "Aidamar" sind mehr als 10 000 Quadratmeter dem Wind ausgesetzt. Der Kapitän und der Staff Kapitän sind immer bei nautisch schwierigen Passagen und beim Manövrieren in den Häfen auf der Brücke. Im freien Seeraum steuern die nautischen Offiziere, so auch Jennifer Witt, das Schiff eigenständig. Das Kommando hat aber auch dann der Kapitän.

Ihr Essen nimmt die Crew in der Personalkantine in dem für Gäste nicht zugänglichen Schiffsbereich ein. Von dort ist es nicht allzu weit bis zum Maschinenraum, dem Reich von Sascha Groß, 37, und seinen Kollegen. Der stellvertretende Chief Ingenieur kümmert sich jeden Tag von 8 bis 17 Uhr um die Instandhaltung der Antriebs- und Heißwasser-Technik, drei Wachen und insgesamt rund 45 Leute haben hier unten zu tun. Wer länger direkt bei den Schiffsdieseln hockt, sollte auf Ohrenschützer nicht verzichten, der hämmernde Lärm der Aggregate geht durch Mark und Bein. Schotten teilen das Schiff in 16 Segmente ein, zwei davon könnten nach einer Leckage überfluten, ohne dass das Schiff verloren wäre. Groß stammt aus Rostock, wo auch die Reederei beheimatet ist.

Aus Lübeck auf See verschlagen hat es Anika Meyer, 35. Nach einem Jahr Pause ist sie nun seit fünf Wochen wieder an Bord. Ihr "Maschinenraum" ist die Wäscherei, in der alle Handtücher, Bettbezüge und die Crew-Kleidung gereinigt werden. Als Erste Hausdame führt die gelernte Krankenschwester, die zur Expo 2000 in Hannover in die Hotellerie wechselte, ein Team von 100 Leuten. 15 bis 20 Minuten gibt sie einem Zweierteam pro Kabine bei der täglichen Reinigung Zeit. Das genügt, um wirklich sauber zu machen. "Wie alles aussehen und arrangiert werden soll, ist in den Aida-Standards genau festgelegt."

Sind Gäste mal nicht zufrieden oder haben besondere Wünsche, ist die Rezeption auf Deck 5 ihre Anlaufstelle. Hier arbeitet Stephanie Kirsch, 30. Die Hotelfachfrau aus Braunschweig ist seit 2007 dabei und hat nach jeweils vier bis fünf Monaten Rund-um-die-Uhr-Arbeit zwei Monate Pause. Sie war wie Jan-Christoph Fietz schon bei der Indienststellung der "Aidamar" an Bord und findet "es immer toll, mit einem Schiff in Hamburg einzulaufen". Andere Lieblingshäfen sind Barcelona und Lissabon. Als Traumziel aber nennt sie Australien. "Wer weiß, vielleicht fährt da ja auch irgendwann einmal ein Schiff von uns?"

Dass Aida mit dem Image von steifen Kreuzfahrten gründlich aufgeräumt und stattdessen den Begriff "Clubschiff" mit Leben gefüllt hat, zeigt neben den drei anfangs erwähnten Passagier-Fragen auch Frage Nummer vier und vor allem die nicht ganz ernst gemeinte Antwort darauf. Auf die Frage "Bekommt die Crew die Reste von den Büfetts?" antwortet Entertainment Manager Neff mit einem Augenzwinkern: "Nein, es ist genau andersherum. Deshalb heißt es ja auch Rest aurant ...!" Und wieder johlt das ganze Pooldeck.