Die Hauptstadt Serbiens leidet noch immer unter einem Negativ-Image - zu Unrecht

Gehen Sie zuerst zum Trg Republike und dann die Knez Mihaila entlang, dort ist Belgrad am schönsten", hatte mir die junge Frau an der Rezeption geraten. Also bringt mich das klapprige Dacia-Taxi aus dem hübschen, aber teils dringend renovierungsbedürftigen Villenviertel Senjak vorbei an Bürohäuser und sozialistischen Repräsentationsbauten, Gründerzeithotels und Kaufhäusern direkt in das Herz der serbischen Hauptstadt. Es ist ein Herbstvormittag mit grauen Wolken, und gerade jetzt beginnt es auch noch leicht zu regnen.

Nationaltheater und Nationalmuseum, zwei Repräsentationsbauten aus dem späten 19. Jahrhundert, geben dem Platz ein repräsentatives Gepräge. Beherrscht wird er durch das Reiterstandbild des Fürsten Mihailo, eines serbischen Herrscher des 19. Jahrhunderts, der gegen die Türken die Unabhängigkeit seines Landes durchgesetzt hat. Das Nationalmuseum wird zwar für seine große kulturhistorische Sammlung gerühmt, ist aber seit vielen Jahren wegen Renovierung geschlossen.

Bis zur Fußgängerzone der Knez Mihaila sind es nur wenige Schritte. In den Erdgeschossen der oft prächtigen Gründerzeit- und Jugendstilhäuser, die diese relativ schmalen Straßen säumen, sind schicke Cafés, Buchhandlungen, Kunstgalerien und Modegeschäfte untergebracht. Es lohnt sich, in einem der Straßencafés, die hier Kafanas genannt werden, Platz zu nehmen und die Passanten zu beobachten: hübsche Studentinnen, die sich die Auslagen eines Designerladens anschauen, Geschäftsleute mit gegelten Haaren, die in ihre Smartphones sprechen.

Nur Touristen sind kaum zu finden, sieht man von einigen Backpackern und den überwiegend betagten Gruppen meist deutscher Rentner ab, die in grauen oder taubenblauen Blousons die Straße entlangschlendern. Belgrad ist mit knapp 1,7 Millionen Einwohnern eine der größten europäischen Metropolen, dazu mit seiner 7000-jährigen Siedlungsgeschichte eine der ältesten Städte Europas, heute allerdings auch eine der unbekanntesten. Das hat viel mit der jüngsten Geschichte zu tun, mit den Balkan-Kriegen der 1990er-Jahre.

So kommt es, dass eine der geschichtsträchtigsten und interessantesten europäischen Metropolen heute wieder so etwas wie ein Geheimtipp ist. Spuren der jüngeren und älteren Geschichte begegnen uns auf Schritt und Tritt. Gleich hier an der Knez Mihaila steht der Palast der Serbischen Akademie der Künste und Wissenschaften. In diesem Haus wurde 1986 das Memorandum der Akademie verfasst, das die Initialzündung für das Aufflammen des Nationalismus und das Zerbrechen Jugoslawiens abgab. Es hat aber noch mehr Geschichte zu bieten, denn hier befand sich während des Zweiten Weltkriegs der Soldatensender Belgrad, von dem ab 1941 allabendlich jeweils kurz vor zehn Uhr Lale Andersens "Lili Marleen" ausgestrahlt wurde - mit dem Text des Hamburger Dichters Hans Leip.

Am Ende der Knez Mihaila erstreckt sich Belgrads alte Festung Kalemegdan. Es ist ein riesiges Gelände, erbaut in vielen Jahrhunderten an jenem Ort, der nicht nur strategisch günstig, sondern auch heute noch besonders schön ist: am Zusammenfluss der Flüsse Save und Donau. Von der alten Zitadelle aus, die sich längst in einen weitläufigen Park verwandelt hat, bietet sich ein atemberaubender Blick auf die Flüsse: rechts die breite Donau mit grünen, über weite Strecken scheinbar unberührten Ufern und links die Save, an deren jenseitigem Ufer sich Neo Beograd erstreckt, ein erst in der Tito-Ära neu erstandenes Stadtviertel.

Der Taxifahrer ist etwas erstaunt, dass er mich ausgerechnet zu Titos Mausoleum fahren soll, denn das scheint heute kaum jemanden mehr zu interessieren. In einem Prominentenviertel steht das "Haus der Blumen", eine Art Wintergarten, in dem sich das weiße Marmorgrab des 1980 gestorbenen jugoslawischen Herrschers befindet. Bis 1990 hielten hier Soldaten Ehrenwache, doch die sind längst abgezogen, und heute kommen nur noch wenige Besucher zum Grab jenes Mannes, dem die Nationalisten posthum vorwerfen, er habe die serbische Sache verraten.

Deutlich mehr los ist im Nikola-Tesla-Museum im noblen Stadtteil Vracar. Tesla hat zwar nie in Belgrad gelebt, wurde aber als Sohn eines serbisch-orthodoxen Priesters geboren. Dank einer testamentarischen Verfügung gelangte der Nachlass des berühmten Erfinders und Elektrotechnikers in Serbiens Hauptstadt, was dem 1952 eröffneten Museum sogar die Aufnahme in die Unesco-Liste des Weltdokumentenerbes eingebracht hat. In einem abgedunkelten Raum befindet sich auch Teslas Urne, eine Edelstahlkugel, in der die Asche des 1943 in New York gestorbenen Genies verwahrt wird.

Unbedingt sehen sollte man das monumentalste Bauwerk, das Serbiens Hauptstadt zu bieten hat, die bis heute unvollendete Sava-Kirche, die das gesamte Stadtbild beherrscht. Geplant als größte orthodoxe Kirche der Welt, wurde das Bauwerk 1935 begonnen, doch während des Zweiten Weltkriegs und fast der gesamten kommunistischen Ära konnten die Arbeiten nicht weitergeführt werden. Erst 1985 setzte man den Bau des gewaltigen Projektes fort, das inzwischen zumindest äußerlich vollendet ist. Das Gebäude ist mit weißem Marmor verkleidet und hat etwa die Ausmaße der Hagia Sophia. Insgesamt 12 000 Menschen sollen hier Platz finden. Wenn es dunkel wird, flammen Scheinwerfer auf und tauchen den riesigen Kuppelbau, der dank seiner erhöhten Lage überall in der Stadt gesehen wird, in effektvolles Licht.

Aber auch sonst zeigt Belgrad vor allem nachts seine Reize. Fast alle schönen Gebäude werden angestrahlt, überall laden nette Restaurants und Bars ein. Doch die Jugend zieht es meistens hinunter zu den Flüssen, denn auf Save und Donau gibt jede Menge schwimmende Discos und Klubs, deren Bässe weit zu hören sind und davon künden, dass sich die geschichtsträchtige und oft zerstörte Stadt inzwischen zur angesagtesten Party-Metropole Osteuropas gemausert hat.