Im Herbst, in der schönsten Jahreszeit, geht es ganz unaufgeregt zu zwischen Yachten und Straßencafés in Antibes, Cannes und St. Tropez.

Sie haben ihr Spielzeug liegen lassen, einfach am Kai festgebunden, und sind nach Hause geflogen - nach all den schönen Stunden im Sommer, all den Partys unter der Mittelmeersonne: zurück nach Amerika, nach England oder in die Emirate. Die Teakholzmöbel haben sie draußen stehen lassen, die hellen Polster liegen noch immer auf den riesigen Sofas, und alles drum herum ist so blitzsauber und hochglanzpoliert wie immer. Über Nacht sind sie verschwunden, als hätten sie plötzlich keine Lust mehr gehabt: bloß weil das Thermometer mal auf unter 25 Grad gefallen ist. Nur weil es einmal gewittert hat.

Im Juli und August sind sie an Bord ihrer millionenteuren Spielzeuge entlang der Französischen Riviera herumgekurvt, haben mitgemacht beim allsommerlichen großen Schaulaufen des Sehen und Gesehenwerdens. Doch die meisten Eigner der über 50 Meter langen Mega-Yachten in den Häfen von Antibes, von Cannes und St. Tropez sind abgereist, als sich der Hochsommer seinem Ende zuneigte. Sie unterschätzen offenbar den Herbst an Südfrankreichs Mittelmeerküste: ein großer Fehler.

Denn in Wahrheit ist er die schönste Zeit - neben dem Frühling. Nun ist es nicht so voll wie im Hochsommer, auch nicht so heiß, aber noch immer an vielen Tagen bis weit in den Oktober hinein herrlich sonnig und warm. In den schönsten Straßencafés von Antibes, in den stimmungsvollsten Restaurants von Cannes, auf den Stegen der Bars an dem Plage de la Garoupe auf dem Cap d'Antibes sind wieder auf Anhieb freie Plätze zu bekommen - und anders als im Sommer haben die Kellner jetzt sogar wieder Zeit für ein Lächeln.

Es scheinen andere Menschen zu sein, die nun an der Côte d'Azur unterwegs sind - oder sie fallen mehr auf als im Sommer: eher die Genießer, eher die Stilleren. Es sind Leute, die den großen Auftritt nicht zelebrieren müssen und, wenn sie die Wahl haben, lieber gar nicht groß in den Mittelpunkt rücken wollen. Es sind Leute, die stundenlang den Boule-Spielern auf dem Place des Lices in St. Tropez zuschauen oder über den Künstlerflohmarkt an der Promenade de la Pantiero in Cannes bummeln. Es sind Leute, die sich am klaren Licht, der samtigen Luft, dem leichten Salzgeschmack auf den Lippen, dem Geruch nach Meer erfreuen. Es sind Menschen, die morgens zwischen den Marktständen in der Altstadt von Antibes Rucola, Brokkoli und Lamm fürs Abendessen in der Ferienhausküche einkaufen und sich anschließend erst mal am nahen Stadtstrand La Gravette unterhalb der Festungsmauer in der Sonne rekeln. Was er denn mache, wenn er nicht dort liege, will eine Frau diesen Mittag von ihrem Strandnachbarn wissen. "Ach", sagt der, "am liebsten genauso wenig wie jetzt gerade." Beide lachen. Dass er später in sein Porsche-Cabrio steigen wird, verschweigt er nun. Denn so ist es viel schöner. Und angeben passt nicht zum Herbst.

Schicke Autos - und vor allem teure - sind auch jetzt noch an der Küste unterwegs, winden sich die Kurven der Straße Corniche d'Or entlang. Aber die Zeit, wo derselbe Ferrari, Aston Martin oder Bugatti im Fünf-Minuten-Takt mal in die eine, mal in die andere Richtung durch Antibes oder über die Croisette von Cannes rollt und sich Fahrer und Begleiterin an den neugierigen Blicken der Passanten ergötzen - diese Zeit ist jetzt vorbei. Die Selbstdarsteller sind seltener geworden.

Dabei ist die Bühne genau dieselbe geblieben. Als hätte es irgendwer für alle entschieden, stehen plötzlich keine Inszenierungen mehr auf dem Spielplan. Was dort jetzt abläuft, ist der ganz normale Alltag. Da ist ein Liebespaar, das auf der Terrasse der Grimaldi-Festung von Antibes Händchen hält, während draußen auf dem Meer eine letzte Yacht Kreise fährt. Einst hat Picasso das Gebäude ein halbes Jahr lang als Atelier genutzt, heute ist dort ein Museum seiner Werke untergebracht. Da sind die beiden Alten, die sich ein faltbares Schachbrett mitgebracht haben und im Schatten der Kirche Notre-Dame de l'Assomption auf einem Klapptischchen in der Sonne sitzen und spielen. Am Horizont tanzen Kite-Schirme am Himmel, und direkt vor der Nase rauschen im selben Moment ein paar Freundinnen auf Rollerblades vorbei, um schon eine Straßenbiegung weiter im Straßencafé Station zu machen und erst mal Café au Lait zu bestellen. Am nahen Strand Plage du Ponteil schaukelt ein vielleicht fünfjähriger Knirps einen handlichen Plastikdampfer auf dem seichten Wasser und ruft dabei sehr zufrieden "Dadadi, dadada", während Papa daneben bis zu den Knien im Wasser steht und in seinem aufgeklappten Taschenbuch liest. Wer mal Immobilien-Tycoon werden will oder auch nur insgeheim von einem Häuschen in dieser Gegend träumt, schiebt ein Stückchen weiter mit der kleinen Kinderschaufel Kies zusammen, um daraus die größte Sandburg mindestens im Fünf-Meter-Radius ums elterliche Badelaken zu errichten. Es geht angenehm unaufgeregt zu in der Nachsaison.

Aus dem geöffneten Küchenfenster des Restaurants Taverne du Safranier zwischen den engen Altstadtgassen klingen derweil Chansons von Patricia Kaas, und es riecht nach gebratenem Fisch. Neben den Bäumen auf dem Platz davor sind Tische gedeckt: noch keiner da. Nur die Kellnerinnen stehen ganz entspannt zusammen, plaudern, lachen, und aus den Wipfeln der Bäume schauen ein paar Singvögel zu. Eine beschriftet derweil mit Kreide die Tafel mit dem Tagesgericht: Dorade vom Grill mit provençalischen Kräutern und Rosmarinkartoffeln für 16, Pulpo-Salat für neun Euro.

Manchmal schauen auch die Crews der in gut 500 Meter Luftlinie sicher vertäuten Mega-Yachten hier vorbei, meistens bleiben sie an Bord. Die Besatzungen stehen rund ums Jahr bereit, falls es sich die Eigner doch mal anders überlegen, weil ihnen irgendwer von den Schönheiten des Herbstes an der französischen Mittelmeerküste erzählt hat, sie spontan wieder vorbeischauen sollten oder das Millionen-Schiff mal eben aus einer Laune heraus auf einen anderen Kontinent verlegen lassen, weil dort gerade die Sonne wärmer scheint. Meistens haben die Crews ihre Ruhe bis Anfang Mai. Es ist die Zeit, in der sie "ihre" Schiffe genießen und endlich mal selber ausprobieren, wie es sich anfühlt, auf dem Oberdeck in der Sonne zu liegen, auf dem Achterdeck zu Abend zu essen und ab und zu nach der Flasche Sauvignon im versilberten Weinkühler zu greifen. Von den Flaneuren am Kai werden sie in solchen Momenten für die Eigner gehalten, möglichst unauffällig mit Handy oder Fotoapparat geknipst. Und im Weitergehen wird derweil diskutiert, welcher Hollywood-Star der braun gebrannte Typ in Badehose und T-Shirt dort auf dem Achterdeck-Sofa wohl gewesen sein wird. Der tut lieber, als bemerke er nichts. Schließlich ist das Schaulaufen zu Ende: endlich Nebensaison.