Auf Gotland , einst eine bedeutende Hanse- und Wikingerhochburg, kommen immer wieder wertvolle Funde zum Vorschein.

Visby. Das eigentümliche Tier auf dünnen, schwarzen Beinen und mit den schneckenförmig gedrehten Hörnern, ein auffälliges Exemplar der Gattung Schaf, prangt auf Wirtshausschildern und an Schaufenstern, auf dem Wappen und natürlich auch auf der Flagge der Insel Gotland. Rund 60 000 Guteschafe soll es auf der Insel geben, mehr als das schwedische Ostsee-Eiland an zweibeinigen Einwohnern zählt (zurzeit ca. 57 000). "Eigentlich aber müssten wir ein ganz anderes Wappentier haben", meint Verena Harbort, die seit Jahren Urlaubern die Sehenswürdigkeiten der Insel zeigt. Zwar bereichere ein zünftiger Lammbraten den Speiseplan, den wahren Reichtum aber verdankten die Insulaner seit Jahrhunderten einem Inselbewohner, der durch seine subversive Wühlarbeit schon so manchen Schatz ans Tageslicht befördert habe - dem Wildkaninchen.

"Fast überall, wo ein Kaninchen einen neuen Bau gräbt, blinkt und blitzt es silbern auf dem Erdboden", erzählt Verena. So erst kürzlich, als zwei schwedische Studenten auf einer Wanderung ganz zufällig einen drei Kilogramm schweren Silberschatz in einem Erdloch entdeckten - mit Armringen, Ketten und zahlreichen Münzen mit arabischen Schriftzeichen. Majvor Osterberg, Archäologe und Museumsleiter in Gotlands Hauptstadt Visby, datierte die Fundstücke auf das 10. Jahrhundert. In eine Zeit also, als die gotländischen Wikinger - die Bauern, Händler und Seefahrer zugleich waren - mit ihren Drachenbooten bis nach Nordafrika vordrangen.

Auch Wrackfunde vor der Küste Gotlands befeuern immer wieder die Fantasien unzähliger Schatzsucher, denn der Legende nach sind zahlreiche Koggen des dänischen Königs Waldemar Atterdag, der in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Insel plünderte und dabei mehr als die Hälfte der Bevölkerung dahinmetzelte, bei der Rückfahrt in der Ostsee versunken. Sie waren zu schwer mit den Reichtümern Gotlands beladen. Kein Wunder, dass auch heute noch unzählige Schatzräuber die Insel heimlich nach unentdeckten Pretiosen absuchen - unter Wasser und an Land. Doch nicht jeder Finder hat so viel Glück wie der Bauer Björn Engström, der vor zehn Jahren beim Umpflügen seines Ackers den größten Silberschatz des Mittelalters entdeckte - Münzen und Schmuck, rund 70 Kilogramm schwer. Björn war ein ehrlicher Finder, der seine Entdeckung getreu ablieferte und dafür sogar eine saftige Belohnung einstreichen durfte. Heute gehen die meisten Schatzfinder allerdings leer aus. "Fast jeder Bauer, der heute einen Schatz aufspürt, pflügt ihn ganz schnell wieder unter", sagt Verena Harbort. "Sonst kommt sofort die Denkmalschutzbehörde und gräbt das Feld Meter für Meter um. Dann kann es Jahre dauern, bevor dort wieder etwas geerntet werden darf."

Gotland ist ein riesiger schroffer Felsklotz, der fast senkrecht aus dem Meer wächst, grün zwar, aber fast baumlos, und mit einer Hauptstadt, die sich mit einer 3400 Meter langen Stadtmauer und 44 Türmen umgürtet hat - gerade so, als müsste sie jeden Eindringling abwehren. Von Stockholm ist es nur ein kurzer Luftsprung auf die größte Insel der Ostsee (3200 Quadratkilometer). Aber der sorgt sofort für eine Überraschung: Kaum hat das Flugzeug die Schären an der schwedischen Küste hinter sich gelassen, da reißt schon die Wolkendecke auf, stahlblau wölbt sich der Himmel über einem ebenso blauen Meer.

Gotland habe doppelt so viele Sonnenstunden wie das skandinavische Festland, behaupten die Gotländer voller Stolz. Und man ist geneigt, es ihnen zu glauben - blühen auf ihrer Insel doch Orchideen und Vanillestauden, wachsen Aprikosen und Pfirsiche, Walnuss- und Maulbeerbäume, reift ein Wein, der im vergangenen Jahr sogar der königlichen Gesellschaft zur Hochzeit der schwedischen Kronprinzessin Victoria serviert wurde. Zu verdanken hat die Insel ihre Fruchtbarkeit einer Reise, die vor 400 Millionen Jahren begann und noch immer nicht zu Ende ist. Denn seit der Trias-Zeit im Erdmittelalter schiebt sich Gotland Jahr für Jahr ein paar Millimeter weiter nach Norden - ein wanderndes Korallenriff, das in seinem Kalksteinplateau nicht nur unzählige Fossilien speichert, sondern auch noch immer die Wärme der Tropen.

Vielleicht ist das ein Grund, warum die Einwohner Gotlands partout keine Schweden sein wollen. "Uns verbindet nicht viel - außer der Staatsangehörigkeit", sagt auch Verena Harbort, die Fremdenführerin mit deutschen Wurzeln. Vor Jahren ist sie schon mit ihrem Mann von Kiel nach Stockholm gezogen. Doch als sie einmal zu einem Urlaub nach Gotland reisten, stand für sie fest: "An keinem anderen Ort in Skandinavien lässt es sich besser leben." Sie kamen und blieben. Und gemeinsam mit vielen anderen Gotländern träumen sie einen Traum, den Insulaner heute ganz offen aussprechen: "Wir wünschen uns, dass Gotland ebenso neutral und autonom wird wie die Åland-Inseln zwischen Schweden und Finnland. Dann würde alles Geld, das wir durch den Tourismus verdienen, auf der Insel bleiben. Wir wären ein kleines Steuerparadies, so eine Art skandinavisches Monaco ..."

Wenn sich Verena Harbort da mal nicht täuscht. Zwar verbringen inzwischen immer mehr Russen und Finnen ihren Urlaub auf Gotland, doch die Haupteinnahmequelle, das Kreuzfahrergeschäft, kommt langsam ins Stocken. Der Grund: Die Kreuzfahrtschiffe werden immer größer, und der Hafen von Visby ist zu klein, um sie aufzunehmen. So bleiben die meisten Schiffsriesen draußen auf Reede, und den Passagieren, die sich zum Landgang entschließen, bleibt meist nur wenig Zeit zum Shopping und zu Restaurantbesuchen. Schließlich gibt es in der Altstadt von Visby (Weltkulturerbe der Unesco seit 1995) zahlreiche Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, war sie doch im Mittelalter eine der reichsten Städte der Welt, die den gesamten Handel auf der Ostsee bestimmte - von Lübeck bis zum russischen Nowgorod. Der Wohlstand brachte der Hansestadt eine rege Bautätigkeit: 92 Kirchen entstanden seit dem 11. Jahrhundert, so viele wie in keiner anderen Region Skandinaviens, mehr als 20 davon innerhalb der Stadtmauern. Heute sind die meisten verfallen, Sonne und Mond scheinen durch die geborstenen Dächer und leeren Fensterhöhlen, Efeu rankt über verwitterte Steine. Krähen und Fledermäuse nisten in dem hohlen Gemäuer. Was war passiert? Der immense Reichtum hatte Gotland zum begehrten Raubobjekt gemacht. Dänen, Russen und Schweden, Piraten wie der Hamburger Klaus Störtebeker, selbst die Lübecker Hansebrüder fielen über die Stadt her und raubten sie aus. Ruhm und Reichtum vergingen so schnell, wie sie gekommen waren. Visby versank in der Bedeutungslosigkeit, wurde zum Freilichtmuseum für die Welt des Mittelalters - mit Türmen, Lagerhäusern, gotischen Treppengiebeln und verwinkelten Kopfsteinpflaster-Gassen.

Draußen vor der Stadtmauer ist Gotland noch das stille Bauernland geblieben. Die Zeit der Wikinger aber lebt heute weiter im "Fornsal" an der Strandgatan, dem Altertumsmuseum, nur wenige Schritte vom Visbyer Hafen entfernt. Dort schlummern, zwischen jahrhundertealten Bild- und Runensteinen, auch die vielen Silberfunde. Und ganz in der Ecke steht auf einem Berg aus Silbermünzen ein ausgestopftes Kaninchen - das heimliche Wappentier Gotlands, dem die Entdeckung so vieler Schätze zu verdanken ist.