Wenn Sie ein Zebra einhakt, um Sie sicher über die Straße zu bringen, kann es dafür nur zwei Gründe geben: Sie sind betrunken auf dem Kölner Karneval oder auf 4000 Meter Höhe in La Paz. Obgleich mit Erfahrung in beiden Fällen, will ich hier lieber von Letzterem berichten:

Das erste Zebra, das ich in La Paz kennenlernte, war mir zunächst sympathisch. Ich traf es am Plaza Murillo, und es rief: "Halt! Die Dame hat Vorrang." In Bolivien ist die Emanzipation überraschend weit fortgeschritten, dachte ich. Doch schon kurz darauf kam mir die Sache spanisch vor. Das Zebra drängte mich plötzlich, über die Straße zu gehen, obwohl ich das gar nicht wollte, und die wartenden Autofahrer kommentierten meinen Widerwillen mit lautem Hupen.

Eine Bolivianerin mit schief sitzender Melone schleppte mich schließlich auf die andere Seite und erklärte mir, dass ich gerade Teil einer grandiosen Regierungsidee geworden war: Unter den Zebrakostümen stecken junge Leute, die den teilweise anarchischen Verkehr in der Stadt sicherer machen sollen. Sie warten an Zebrastreifen auf Passanten, denen sie durch das Verkehrschaos helfen, und stoppen Fahrer, die bei Rot über die Ampel brettern. Davon gibt es in La Paz genauso viele wie Autos. Zebra sein in La Paz ist wahrscheinlich einer der gefährlichsten Berufe der Welt.

Um den kleinen Straßen-Zoo komplett zu machen, gesellen sich zu den Zebras und den Affen am Steuer noch ein paar Esel. Ebenfalls junge Leute in Kostümen, die den Verkehrsteilnehmern je nach Vergehen wechselnde Schilder vor Augen halten: "Sei kein Esel: Geh nur bei Grün!" Oder: "Sei kein Esel: Benutze den Blinker." Hilfreich wäre für uns das bislang nicht existente Schild gewesen: "Sei kein Esel: Stoppe den Kleinbus nicht direkt vor dem Regierungssitz." Auf eine Auseinandersetzung mit den Sicherheitspolizisten von Präsident Evo Morales kann man im Urlaub locker verzichten.

Die permanente Huperei verhinderte leider, dass ich den Zebras erzählen konnte, wem sie ihre Verkleidung zu verdanken haben: dem Hamburger Abendblatt. Ohne diese Zeitung würden die Streifen vielleicht immer noch "Dickstrichketten" heißen. Den heutigen Namen erhielt der Fußgängerüberweg durch die "Aktion Zebra", bei der das Abendblatt 1954 Punkte an vorbildliche Autofahrer vergab. Die Punkte konnte man sich an die Scheibe kleben, und das darauf abgebildete Zebra stand nicht nur für die Ähnlichkeit des Tierfells mit der Markierung, sondern auch für die Z eichen e ines b esonders r ücksichtsvollen A utofahrers.

In La Paz verdient diesen Aufkleber niemand. Kaum ist kein Tier in Sicht, rast plötzlich ein Taxi über eine rote Ampel, der ich naiv Vertrauen geschenkt hatte. Zum Glück ist nichts passiert. Ich wurde nur gestreift.