Wird es trotz Sonne draußen kalt und ungemütlich, sorgen Massagen, Thermen und eine gute Thai-Küche im tropischen Grün für Wärme.

Wenn die Sonne scheint, sieht der Strandläufer die Wellen anders ans Ufer rollen. In einer fast verlässlichen Monotonie zwar, wie schon seit Millionen Jahren, aber mit unzähligen glitzernden Tupfern auf ihren Kämmen, die die Augen blenden. Die Wintersonne wärmt nicht, aber sie macht froh. Vielleicht kann man nur in der kalten Jahreszeit die Seele des Meeres sehen, sanft und von betörender Schönheit, die mit fast zärtlicher Geste die Insel berührt. Aber die Ostsee ist launisch. Am nächsten Tag zeigt sie sich ungestüm, laut, herrisch und angestachelt vom Wind, der dunkle Wolkenberge über die zweitgrößte deutsche Ostseeinsel peitscht. Eine feine Kruste überzieht den Sand, jetzt, da er nicht von den Füßen der Badenden und Strandgänger aufgewühlt ist. Vereinzelt stapfen eingemummte Menschen am eisgrauen Meer entlang, Hundehalter, Angler, Spökenkieker, Einsamkeitsextremisten im Dialog mit den eigenen Gefühlen und Philosophen im Dialog mit der Natur. Die zerrt an den Kleidern aller und rötet ihnen die Wangen.

Man trifft Paare auf Abhärtungstour, die sich gegenseitig ermuntern, Jogger mit dicken Handschuhen und Pudelmützen, Muschelsammler mit Netz und Stiefeln. Das Wasser malt Muster in den Sand, der unter den Sohlen quietscht. Spaziergänger queren gefrorene Dünen, übersät mit Spitzenröckchen aus Eiskristallen, und bewundern bei Ebbe die gefrorenen Wellen auf Steinen und Schwemmholz. Spiegelblank liegt die bleigraue Ostsee 42 Kilometer lang von Peenemünde bis nach Ahlbeck und noch ein Stück weiter auf polnischem Gebiet. Vor lauter Nebel ist kein Horizont auszumachen, nur der rote Fetzenwimpel eines zurückgelassenen Bootes, getönt von der fast verdeckten Sonne, die nur ab und zu zwischen Wolkenfetzen durchsickert. Usedom kann sehr kalt sein.

Deshalb haben sich die Designer verschiedener Hotels eine Schlechtwetteralternative ausgedacht. Im Winter holen sie südliche Wärme in das "Nizza des Nordens". Wie zum Beispiel beim historischen Ahlbecker Hof, den haben sie zu einem Gebäude mit lichten hellen Räumen umgebaut. Im Wintergarten-Restaurant bereiten Thai-Köche im tropischen Grün vor den Augen der Gäste Speisen zu. Niemand wollte glauben, dass Südostasien auf Usedom funktioniert, doch es war von Eröffnung an ein Selbstläufer. Nicht nur Hotelgäste, auch Insulaner kommen gerne hierher. 65 000 Menschen wohnen auf Usedom, 2,7 Millionen Besucher kommen im Jahr, etwa 2,4 Millionen davon in der wärmeren Hälfte. Im Winter sind die Kenner unter sich, haben genug Raum und das Gefühl, Deutschlands schönstes Winterversteck entdeckt zu haben.

Thai-Massagen gibt es im Wellnessbereich. Da kann der Sturm am dunkelblauen Schindeldach über der ocker und cremeweißen Fassade toben, wie er will - innen ist es kuschelig. Nachts hat sich die Stille wie ein Tuch über Ahlbeck gesenkt. Nur ein paar Meter weiter liegt die Seebrücke, 1899 fertiggestellt und mit dem türmchenbekrönten, ganz in Weiß leuchtenden Restaurant, in dem Loriot einen ganzen Film damit verbracht hat, komisch über die Spezies Mensch zu sinnieren. Man hört das ständige Anbranden der Wellen, spürt die Kälte und wie sie zum Durchatmen und Entstressen verhilft. Die Promenade verbindet die drei Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Sie ist gesäumt von spätklassizistischen Villen aus dem späten 19. Jahrhundert, als Usedom zur "Badewanne der Berliner" wurde und selbst zwei Wilhelms als Kaiser mit Entourage der Insel ihre Aufwartung machten. "Majestät", raunte der Leibarzt Kaiser Wilhelms II., "die frische Brise stärkt die Lunge." Warm eingepackte Familien und turtelndes Jungvolk flanieren an den liebevoll aufgepäppelten, teilweise übersanierten Häusern vorbei.

Wer die Insel durchstreift, stößt auf die mystische Caspar-David-Friedrich-Atmosphäre. Der Maler schuf hier seine schönsten Landschaftsbilder. Usedom, 445 Quadtratkilometer groß, ist eine ganz eigene Welt. Beidseitig von Linden und Buchen gesäumte Alleen, mächtige Eichen, Weiden mit Pferden und Kühen. Salzwiesen, Schilfgürtel und auf der Boddenseite entwurzelte Stämme in kniehohem Wasser, auf denen Kormorane hocken. Seeadler, Gänsesäger, Zwergseeschwalben und Sandregenpfeifer bevölkern die Stille am Watt. Sanddornsträucher leuchten - und das mitten im Winter. Usedom vereint perfekt die Besonderheiten des Ostseeraums: flache Dünen, Steilufer, Sandstrand. Das Hinterland ist leicht gewellt, durchzogen von Boddengewässern und mehr als einem Dutzend Binnenseen. Theodor Fontane hielt fest: "Ruhe und frische Luft." Der Blick aufs Meer sei "poetisch und für Herz und Sinn unendlich wohltuend".

Man kann sich auch unter Menschen begeben. Die Ostseetherme präsentiert die größte Saunenvielfalt auf der Insel, beliebt sind die Mitternachtsaufgüsse an den Wochenenden und das Schwitzen im Kerzenschein. Als Spezialität wird das Bad in ionisiertem Sauerstoff angeboten, 20 Minuten in der kleinen Kabine seien so viel wie zwei Stunden am Meer.

Interessant ist eine Führung durch die Korb GmbH, die Firma stellt den an der Ostsee erfundenen Strandkorb und andere Strandmöbel her. Schön ist auch der Dachwintergarten im Maritim-Hotel "Kaiserhof" in Heringsdorf, ein properer Glasbau an der längsten Seebrücke Deutschlands (508 Meter), erst 1995 wiederaufgebaut. Nirgendwo auf Usedom ist man dem Himmel so nah wie beim Kaffeetrinken in diesem Wintergarten, der auch eine Bibliothek mit 1700 Büchern ist, darunter Kinderbücher. Man schmökert und schaut hinaus aufs Meer. Zu jeder Jahreszeit dasselbe, aber im Winter doch anders.