Das Death Valley und die Zockermetropole Las Vegas könnten gegensätzlicher kaum sein. Auf unverwechselbare Weise surreal sind sie beide.

Nur ein Schritt, und die Welt verändert sich komplett. Nach der Kühle des klimatisierten Busses trifft uns die Hitze draußen wie ein Schmiedehammer den Amboss. Gut 45 Grad mögen es sein, 86 Meter unter dem Meeresspiegel, am tiefst gelegenen Ort der westlichen Hemisphäre. Kein Lüftchen regt sich, kein Hauch kühlt den Schweiß. Vor den Augen gleißt ein weißer See, unter den Schuhen knirschen Salzkristalle. Willkommen in Badwater, willkommen im berühmten und berüchtigten Death Valley!

Das "Tal des Todes", ein 200 Kilometer langer und von hohen Bergen umrahmter Grabenbruch, ist eine der heißesten und trockensten Regionen der Welt und eine der spektakulärsten Wüstenlandschaften Amerikas. Mit Salzseen und Wanderdünen, mit Canyons und vielfarbigen Gesteinsformationen, die durch Oxidation von Eisen, Kupfer und anderen Metallen entstehen. Ganze 50 Millimeter Niederschlag fallen hier pro Jahr, und dennoch ist der Nationalpark nicht ohne Leben: Diverse Pflanzen- und Tierarten haben sich dem extremen Schwitzkasten perfekt angepasst.

"Brennende Erde" nennen die Schoschonen das Valley und nach wenigen Sekunden wissen wir genau, was sie meinen. In dieser Hölle wird jeder Schritt zur Qual, eine Kruste aus Salz überzieht das Gesicht, der Mund dörrt komplett aus. Und endlich zurück im kühlen Bus, ergießt sich der Schweiß in wahren Strömen über den Körper. Wahnsinn!

Etwas angenehmer ist der Stopp an den Mesquite Sand Dunes. Ein kurzer Spaziergang, und schon steht man am Rande eines kleinen Stückes Sahara. Immerhin 50 Meter misst die höchste Sanddüne genau in der Mitte dieses Areals, das als Wüstenkulisse in Filmen ausgesprochen gern genommen wird - so drehte zum Beispiel George Lucas auf diesem Gelände Schlüsselszenen seiner "Star Wars"-Trilogie.

Der vielleicht faszinierendste Platz im Valley aber ist Zabriskie Point. Seit 1970 weltbekannt durch den gleichnamigen Hollywood-Thriller, in dem Regisseur Antonioni die irre Landschaft zur Kulisse von Fieberwahn-Fantasien und Hippie-Romantik machte. In der Tat: Wer in der sengenden Sonne die kleine Kuppe erklimmt, wird auf einzigartige Weise belohnt. Mit einem tollen Ausblick. Mit schillernden Farben und surrealen Formen. Mit bizarren Felsen wie dem Haifischzahn und erodierten Furchen wie Saurierrücken. Kein Wunder, dass die Schoschonen Zabriskie Point als heiligen Platz verehren.

Gestorben wird im Death Valley übrigens eher selten. Zumeist sind es tragische Unfälle, die durch Hitzschlag, überhöhte Geschwindigkeit und Leichtsinn verursacht werden. Denn wer hier ohne Wasser loszieht und verloren geht, überlebt keinen Tag - da kennt das "Tal des Todes" keine Gnade.

Nur ein Schritt, und auch in Las Vegas sieht die Welt plötzlich anders aus. Eben noch gefangen im gedimmten Labyrinth eines wohltemperierten Kasino-Hotels, trifft uns der im doppelten Wortsinn heiße Las Vegas Boulevard mit voller Breitseite. Millionen von bunten Lichtern und Neonröhren lassen die Hauptschlagader der Stadt taghell erstrahlen - eine Insel des Lichts inmitten schwarzer Wüste, die mehr Strom frisst als mancher Staat.

Jetzt, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, zieht der Strip alle Register sündiger Verführung und zelebriert surreales Spektakel in Perfektion. Trotz der frühen Stunde sind Heerscharen von Menschen bereit, das Versprechen auf endlosen Rausch und grenzenloses Glück gnadenlos einzulösen. In breiten Strömen schwimmen sie zwischen Planet Hollywood und Venetian, zwischen Bellagio und Mirage hin und her, ziehen von Bar zu Bar, zocken von Kasino zu Kasino und durchfluten die Mega-Einkaufs-Tempel - für neutral-nüchterne Betrachter ein wahres Absurdistan. Aber solche Zeitgenossen sollten Las Vegas ohnehin besser meiden.

Angesichts dieses Massenansturms mag man kaum glauben, dass die Zockermetropole harte Zeiten durchleidet. Banken-, Börsen- und Bilanz-Monopoly hinterließen dramatische Spuren im Spielerparadies, Wirtschafts- und Finanzkrise trafen die Glitzerstadt so hart wie kaum eine andere in den USA. Mangels Geldes mussten Großinvestitionen gestoppt werden, mangels Gästen brachen die Einnahmen aus dem Glücksspiel ein. Und quer durch alle Schichten gingen Jobs und Häuser verloren. Las Vegas, das Symbol für den Boom Amerikas, wurde zum Symbol für seinen Niedergang.

Der Tagesbesucher merkt davon so gut wie nichts, denn "the show must go on!" Wie eh und je tanzen die Fontänen vor dem Bellagio in anmutiger Choreografie. Spuckt der Vulkan vor dem Mirage unverzagt jede Stunde Feuer und Schwefel. Geben sich Weltstars wie Celine Dion und der einzigartige Cirque du Soleil die Ehre in grandiosen Shows. Verfrachten luxuriöse Limousinen spielwütige Kundschaft in die fensterlosen Mega-Kasinos, wo man das Zeitgefühl verlieren soll, um immer noch mehr Dollars in ratternde und bimmelnde Maschinen zu stecken.

Die Illusion vom ewigen Schlaraffenland der Glücksucher ist also nach wie vor perfekt. Und manch einer räumt tatsächlich auch mal gewaltig ab. Wie der Kölner Student Pius Heinz, der Ende 2011 das größte Pokerturnier der Welt gewann und 8,7 Millionen Dollar mit nach Hause nahm. Für die weitaus meisten Spieler jedoch bleibt es bei der Illusion; den Löwenanteil der Beute fährt die Glücksspielindustrie ein.

Geplatzte Träume sind übrigens nicht daran schuld, dass in Las Vegas eher oft gestorben wird. Die Glitzerstadt hat nämlich auch in puncto Selbstmordrate die Nase ganz weit vorne in den Vereinigten Staaten. Amtlichen Untersuchungen zufolge nehmen sich Menschen aber nicht etwa deshalb das Leben, weil sie Haus und Hof verjubelt haben und in Schulden ersticken, sondern weil sie es beim Abgang von der Bühne des Lebens noch einmal teuflisch krachen lassen wollen. Und dafür kann man sich nun in der Tat keinen besseren Platz auf der Welt vorstellen.