Von den Menschen, die die Dünen festhalten und die Strände schützen: Winter im Sommerparadies an der dänischen Nordseeküste.

Diesen Nachmittag treiben die Böen eine vergessene Plastik-Kuchenform vor sich her, die ein Kind vor ein paar Monaten neben seiner Sandburg liegen gelassen haben wird. Die Wellen versuchen derweil, sich ein Stück Schiffstau wiederzuholen, das sie erst drei Tage zuvor hoch auf den Sand bis fast an die Dünen geworfen haben. Und es ist, als ob der Wind sich einen Spaß mit Hanne Kvist und ihren Helfern erlaubt: Wann immer sie ein neues Strandhafer-Pflänzchen gesetzt haben, zerrt er an den Halmen und versucht, es gleich wieder auszureißen und mitzunehmen. Wann immer sie gegangen sind, wächst er zum Sturm heran und müht sich, mal eben die ganzen Dünen neu zu sortieren.

Hanne Kvist ist eine von nur vier Dünenvögten, auf Dänisch Klitfoged, am Ringkøbing Fjord: "Wir müssen im Kampf gegen den Wind gar nicht Sieger sein. Ein Unentschieden reicht uns schon", sagt sie und zupft die Kapuze ihres Anoraks zurecht, die der Sturm gerade wieder wie einen Luftballon aufgepustet hat. "Die Pflanzen helfen uns dabei. Jede einzelne fixiert mit ihren Wurzeln den Sand, wo er ist. Und sie alle zusammen halten unsere Dünen fest." Sie verhindern, dass sich die Nordsee das Land holt - und eines fernen Tages bis in die Ferienhäuser dahinter schwappen könnte.

Mehr als 50 Kilometer lang ist der Dünengürtel am Holmsland Klit entlang des Ringkøbing Fjordes und bis zu einen halben Kilometer breit: ein Deich, den die Natur gebaut hat. Ein kleines Gebirge aus Sand mit ein paar Pfaden hindurch, mit Strandhafer, Moosen und flachen Brombeerranken, mit breiten Sandstränden auf der einen und Ferienhäusern auf der anderen Seite - Windschutz im Winter, eine riesige Sonnenbank im Sommer.

In nur wenigen Ferienhaus-Fenstern stehen jetzt brennende Teelichter, nur aus ein paar Schornsteinen qualmt es, und am ehesten parken an den Wochenenden die Autos von ein paar Kurzzeitgästen vor den Häusern. Gleichwohl, es gibt einige große Nebensaison-Fans, die gerade wegen dieser Einsamkeit, wegen der Stille und der Weite kommen und es lieben, sich bei endlosen Strandspaziergängen gegen die Stürme zu stemmen. Neuerdings können sie Hanne Kvist helfen, denn ab und zu bietet sie nun Urlauberkurse im Dünenbepflanzen an - und lässt sich so ganz nebenbei von Freiwilligen bei der Arbeit in dem kleinen Gebirge aus Sand zur Hand gehen.

Seit 15 Jahren ist sie Dünenvogtin - ein Job, der üblicherweise in der Familie bleibt und von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zu ihren Aufgaben gehört auch, Schwachstellen - und dazu zählt jeder Durchgang, jeder Pfad zum Strand - rechtzeitig vor den Winterstürmen zu schützen, dort Stroh aufzuschichten, geschlagene Tannen aufzutürmen und all das im Frühjahr wieder wegzuräumen, bevor die Badeurlauber kommen: "Alles dient dem Küstenschutz. Letztlich kämpfen wir um jedes Sandkorn, das hierbleiben soll. Alle zehn Jahre kommt ein Sturm, der die Nordsee bis an die Dünen herantreibt. Er ist überfällig, der letzte war 1999." Jetzt zupft sie wieder die Kapuze zurecht. "Wer im Sommer zum Baden herkommt und auf der Ferienhausterrasse grillt, der ahnt oft gar nicht, was wir alles unternehmen, damit es im nächsten Sommer noch so aussieht wie in den Erinnerungen ans Vorjahr."

Jesper Jensen fährt derweil regelmäßig mit seinem Traktor den Strand ab, winkt den Spaziergängern zu, kurvt einen Bogen um ihre Hunde - und hält nach Fundsachen Ausschau. Er ist einer der 22 Strandvogte der Region, auch das ein weitgehend ehrenamtlicher Traditionsjob: "Früher mussten wir während schwerer Stürme Wache halten und bereitstehen, um Besatzungen zu helfen, wenn ihre Schiffe an Land geworfen wurden. Heute passiert das nicht mehr, Schiffe sind viel sicherer geworden, Wettervorhersagen präziser, und mit GPS-Navigation gerät keiner mehr unwissentlich vom Kurs ab." Gleichwohl, für den Notfall sind diese fast zwei Dutzend "Sandmänner am Holmsland Klit" bei Unwetter in Rufbereitschaft und unterstehen der Polizei. Kritisch könnte es werden, wenn es einen warmen Winter gibt: "Die letzten Jahre", erklärt Jensen, "hatten wir sehr kalte Winter. Dann stürmt es weniger."

Hauptaufgabe der Strandvögte ist es heute, einzusammeln, was immer Großes oder Wertvolles angespült wurde: "Früher durften wir behalten und verkaufen, was wir an unseren Strandabschnitten fanden - und sei es ein ganzer Schiffscontainer voller Schuhe aus China. Heute versteigern wir es ein- oder zweimal im Jahr, müssen den Erlös aber an den Staat abführen und bekommen nur noch eine Provision."

Jesper ist erst seit zwei Jahren Strandvogt. Der Bauernhof in den Dünen, den er damals gekauft hat, ist seit jeher mit den Strandvogt-Rechten und -Pflichten belegt: "Schon als Kind", sagt er, "habe ich ein paar Kilometer von hier im Sand gespielt - und nicht geahnt, dass ich hier mal in offiziellem Auftrag Treibgut einsammeln würde." Er lacht. Ob mal was Wertvolles dabei war? "Die letzten zwei Jahre nicht. Früher gab es Schmugglerkisten voller Schnaps, sogar mal einen Container mit Perserteppichen, heute am ehesten Ausrüstung von Fischkuttern."

Als ob der liebe Gott ein weißes Handtuch mit den Fingern am einen Ende packt und langsam vom Meer aus über den Strand zieht: Plötzlich bedeckt es alles, passt sich der Form der Dünen an, dann den Abmessungen der Ferienhäuser und gleitet langsam darüber hinweg. So fühlt sich eine Nebelbank an, die an diesem Wintertag plötzlich vom Meer aus nach Strand und Dünen gegriffen, die Spaziergänger, die Häuser und auch den Traktor von Jesper Jensen geschluckt hat. Ein paar Stunden später kommt wieder der Wind zum Randalieren, saugt Sandkörner empor und rüttelt an Ferienhausfenstern und -türen, während ein paar glühende Holzscheite in manchem Kamin für wohlige Wärme und Urlaubsgemütlichkeit sorgen. Nachts wird der Wind die Wolken unter dem Sternenhimmel wegschieben und schon mal Platz schaffen für den nächsten Winter-Sonnentag.

Das Wetter wechselt schnell an der dänischen Nordseeküste. "Das ist praktisch", findet Steen Holm. "So haben wir mehrmals täglich schönes Wetter." Auch er zählt in gewisser Weise zu den Sandmännern von Hvide Sande - und schaut diesen Morgen doch etwas traurig: weil ein Schaufelbagger dabei ist, seine Sandburg mitten im Örtchen Söndervig abzutragen. Holm gehört zu den Ausrichtern von Skandinaviens größtem Sandskulpturenfestival.

Künstler aus aller Welt "schnitzen" dafür immer im Juni Figuren aus dem Sand, modellieren ganze Arenen, antike Tempel und riesige Statuen. Bis in den Winter hinein hat all das Bestand - dann muss Platz geschaffen werden für die neuen Burgen des nächsten Sommers: damit die Ferienhausgäste wieder etwas anzuschauen haben werden - falls sie nicht gerade sonnenbaden, schwimmen, Volleyball spielen, auf der Ferienhaus-Terrasse Lachs grillen. Oder Jesper Jensen beim Schatzsuchen helfen. Und Hanne Kvist beim Pflanzen zur Hand gehen.