Wer Urlaub auf dem fünften Kontinent macht, sollte einen Abstecher zu den Blue Mountains einplanen: Dort bietet Evan Yanna Muru mythische Wanderungen in die Gedankenwelt der australischen Ureinwohner an.

Evan Yanna Muru sitzt im Sand, die Beine übereinander geschlagen, und zerstößt kleine Erdklumpen aus Ocker, Kalk und Kohle zwischen zwei Steinen. Aus einer Pfütze schöpft er Wasser und mischt es mit den bunten Erdpartikeln, bis ein dickflüssiger Brei entsteht. Dann malt er mit den Fingerspitzen Striche in sein Gesicht - rote, weiße, schwarze. Die sieben Teilnehmer seiner Wandergruppe sitzen im Kreis um ihn herum und hören gespannt zu, was er dabei erzählt: von der rituellen Körperbemalung der Aborigines, die er gerade vorbereitet, den geheimen Plätzen seines Volkes und der Regenbogenschlange, die Land und Wasser schuf.

Wir sind unterwegs auf dem Blue Mountains Walkabout, einer mythischen Wanderung durch die fast vergessene Welt der Aborigines. Sie soll uns die Kultur der australischen Ureinwohner und ihre Geschichte nahebringen, aber auch zeigen, wie wir in unserem hektischen und stressigen Leben die alten Weisheiten für uns nutzen können. Wir werden an diesem Tag Eukalyptusblätter in unsere Nasenlöcher stecken (wegen der antibakteriellen Wirkung), Bäume streicheln (um unsere Energie zu spüren), Beeren und Blätter essen (im Einklang mit der Natur). Es dauert ein bisschen, sich einzulassen auf diese fremde Gedankenwelt, aber dann nimmt sie uns mehr und mehr gefangen.

Etwa sieben Kilometer liegen vor uns, quer durch den Busch der Blue Mountains, den Bergen im Westen Sydneys, die ihren Namen den blauen Nebelschwaden verdanken, die entstehen, wenn die Sonne sich an den aufsteigenden ätherischen Eukalyptusölen bricht. Wir folgen einer Songline, einem mythologischen Weg, dessen Verlauf früher durch Gesänge und Tänze von Generation zu Generation weitergegeben wurde, erklärt Evan. Schon seine Vorfahren sind hier gewandert. Fernab von befestigten Wegen klettern wir über Steine und Baumstämme, mal bergauf, dann wieder bergab, durch Dickicht und Gestrüpp. Vom Trubel der Millionenstadt Sydney ist nichts zu spüren, nur das Plätschern des Wassers und das Gezwitscher der Kakadus stören die Ruhe.

Evan kennt jeden Pfad hier, er hat früher als Ranger im Nationalpark gearbeitet. Seine Haut ist hell, seine Vorfahren haben sich seit fünf Generationen mit den Weißen gemischt, erzählt er. Er ist in den Blue Mountains aufgewachsen, schon als Kind nahm ihn sein Vater mit auf die Spuren ihrer Vorfahren und erzählte ihm die Legenden von der Traumzeit, von Ahnen, Geistern und Ritualen. Ein bisschen davon möchte Evan uns an diesem Tag weitergeben. All unsere Sinne will er schärfen, den Geruchssinn durch die Eukalyptusblätter in der Nase, den Tastsinn durch die Farben im Gesicht und das Streicheln der Bäume, den Sehsinn, indem wir kleine Ameisen beobachten, und den Hörsinn durch das Lauschen auf Tiergeräusche. "Geht so vorsichtig, wie ihr könnt", sagt er, "ohne die Tiere und Pflanzen zu beschädigen."

Wir halten an einer Lichtung mit grauen Steinen. Auf den ersten Blick sieht sie unscheinbar aus, dann gießt Evan Wasser über die Felsen, und plötzlich tauchen vor uns die Umrisse eines Kängurus auf, das in die Steinplatte geritzt wurde. Es ist ein geheimer Platz seines Volkes, der Darug, die seit 60 000 Jahren in diesem Land leben. Die geheimen Plätze, lernen wir, stecken voller Energie und wurden früher für Rituale genutzt. Wir schließen die Augen und streichen mit der Hand über die Linien. "Spürt, wie die Energie durch euch fließt", sagt Evan. "Leert euren Kopf: Wer denkt, kann nicht beobachten oder sich selbst wahrnehmen: Das wollen wir heute überwinden und uns auf das konzentrieren, was wir gerade machen - ohne ständig zu grübeln."

Eine halbe Stunde später setzen wir uns an einem Felsüberhang in den hellen Sand. Weiße Handspuren sind dort zu sehen, Malereien, viele Tausend Jahre alt. "Die Aborigines waren sehr aufmerksame Menschen, sie sahen alles, was um sie herum passierte", erzählt Evan. Er spricht von der Traumzeit, der Schöpfungsgeschichte der Aborigines, und der Vorstellung der Ureinwohner, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind. Immer wieder berühren wir Bäume und Blätter und spüren ihre Energie. Ganz langsam leert sich der Kopf und macht schließlich einer angenehmen inneren Ruhe Platz.

Ob er gerne so leben würde wie seine Vorfahren, wollen wir am Ende der Wanderung wissen? Evan schüttelt den Kopf. "Ich schätze die Errungenschaften der modernen Welt", sagt er. "Aber wir können viel von der Lebensweise der Aborigines lernen: uns auf das Jetzt und auf uns konzentrieren, den Stress von uns abfallen lassen. Ich will die Kultur von damals weitergeben und Menschen helfen zu hören und zu sehen, was die Natur uns zu sagen hat."

Bei jedem zweiten Teilnehmer, sagt er, gelinge es. Gerade erst hat er eine Mail bekommen von einer Frau aus England. Dort stand: "Deine Wanderung hat mein Leben verändert." Evan lacht zufrieden.

Die Wanderung beginnt um 10.30 Uhr an der Bahnstation Faulconbridge (80 Minuten mit dem Zug von Sydney Central) und dauert bis etwa 18 Uhr. Kosten: 60 Euro. Anmeldung und Informationen im Internet unter www.bluemountainswalkabout.com